Imagine Song John Lennon

Versöhnung  

Imagine

Warum »Imagine« von John Lennon uns noch heute berührt

Ein Song, der von der Vision einer Gesellschaft frei von Religion, Nationalismus und Besitz erzählt. Das klingt erst einmal kompliziert. Doch überall dort, wo »Imagine« gespielt wird, berührt der Song die Menschen sofort. John Lennon veröffentlicht ihn 1971 auf dem gleichnamigen Album und fünfzig Jahre später hat das Lied nicht an Faszination verloren. Uwe Birnstein geht der Entstehung von »Imagine« auf den Grund.

Ein Gebetbuch, ein Gedicht seiner Liebsten Yoko Ono und viel Love, Love, Love im Herzen: Das waren die Zutaten, aus denen Ex-Beatle John Lennon seinen Welt-Friedens-Hit Imagine komponierte. Seit er die japanische Künstlerin Yoko Ono kennengelernt hatte, schwebte Lennon – trotz des Stresses mit seinen Beatles-Kollegen und anderer Krisen – im siebten Himmel.

Ein Dreizeiler aus Yoko Onos Aktionskunst-Buch „Grapefruit“ hatte Lennon inspiriert: „Stell dir vor, die Wolken tropfen. Grab ein Loch in deinem Garten und leg sie hinein!“ Und dann war da noch ein christliches Gebetbuch, das ihm der Künstler und US-Bürgerrechtler Dick Gregory geschenkt hatte. Lennon zog daraus die Idee, dass man sich den Frieden vielleicht nur fest genug vorstellen, ihn imaginieren, und – christlich gesprochen – für ihn beten müsse, damit er sich einstelle.

Wenn sich nur genug Menschen eine Welt ohne Nationen, ohne privaten Besitz und ohne Religionen vorstellten – dann könnte er vielleicht ganz von selbst wahr werden.

Eine Art Kinderlied

Begleitet von einem wundervoll einfachen Klavier-Thema und wenigen soften Akkorden, ist Imagine auch musikalisch ein Vorgeschmack auf eine Welt des Friedens. Die Melodie wirke wie „eine Art Kinderlied“, erklärte Lennon. Die kindlich naive Fantasie, die der Song auch dadurch wachruft, ist vielleicht ein weiterer Grund, weshalb er so viele Menschen berührt. Alles könnte so einfach sein, wären die Menschen nicht in Gier, Nationalismus und Gotteswahn verstrickt. Und durch die Schlichtheit der Komposition gelang Lennon noch etwas: Der Song ist eingängig. Heute können Millionen Menschen überall auf der Welt Imagine mitsingen.

John Lennon

In den Kirchen allerdings weiß man noch immer nicht recht, ob der Song so ganz im christlichen Sinne ist. Auf die Hölle kann man ja zur Not verzichten – aber „no heaven“?  Die Vorstellung, es gebe einen solch paradiesischen Ort bei Gott, gehört schließlich zur Essenz des Glaubens! Eine Welt ohne Nationen, ok, das ist eine nette Vision. Aber eine Welt ohne Religion?!

Lennon erklärte später, er habe keineswegs dazu aufgerufen, eine Welt ohne Gott zu imaginieren – „obwohl du auch das darfst“. Mit der Formulierung „no religion“ meine er nicht eine Welt ohne Glauben, sondern „ohne dieses Mein-Gott-ist-größer-als-deiner-Gerede“. Institutionalisierte Religionsgemeinschaften würden den Frieden nicht fördern. Aber: „Stell dir vor: keine Konfessionen. Sich vorzustellen, dass wir Jesus Christus, Mohammed, Krishna, Milarepa gleichermaßen verehren. Wir müssen keinen davon anbeten, wenn wir nicht müssen, aber stell dir vor, es gibt keine Katholiken/Protestanten. Keine Juden/Christen […] wäre das schlimm?“

„Ich versuche zu leben wie Christus.“

Von Christus halte er allerdings viel, bekannte Lennon: „Christus war perfekt. Das brachte man mir als Kind bei […]. Ich versuche zu leben wie Christus. Es ist schwer, wirklich. Ich weiß nicht, wie jemand wie ich, der alles infrage stellt, bis hin zur Farbe seiner Socken, an einen alten Mann im Himmel glauben kann.“ Im selben Interview erklärte er, was ihn an den „sogenannten Christen“ stört: Sie seien „ständig dabei, sich und andere zu verdammen, Menschen zu predigen oder, schlimmer noch, für Christus zu töten. Keiner von denen kapiert, was es bedeutet, sich wie ein Christ zu verhalten.“ Und dann beschreibt Lennon seine Sympathien für die mystische Spielart des Glaubens: „Für mich sind die einzigen wahren Christen die Gnostiker, die an Selbsterkenntnis glauben, das heißt, selbst Christus zu werden, die Christus in sich zu finden.“

Vor diesem Hintergrund ist Lennons Empörung über eine Anfrage der „Weltkirche“ gut nachvollziehbar. (Vermutlich meinte er mit ‚Weltkirche‘ den Ökumenischen Rat der Kirchen, die Dachorganisation hunderter Kirchen.) Die Kirche wollte den Song gerne verwenden, aber an einer Stelle ändern: statt „no religion“ sollte es „one religion“ heißen. Das zeigte, dass die Verantwortlichen überhaupt nicht verstanden hatten, worum es ging. Eine solche Änderung würde schließlich die ganze Botschaft des Songs, zunichtemachen.

Mit seiner Religionskritik hat Lennon leider recht behalten. Auch heute noch ist der Ruf nach heiligen Kriegen nicht verstummt.

P.S. Good to know:

Nach der Ermordung John Lennons im Jahr 1980 ist Yoko Ono weiter als Künstlerin tätig und engagiert sich als Friedensaktivistin. In Islands Hauptstadt Reykjavik schuf sie 2007 den „Imagine Peace Tower“, eine gigantische in den Himmel ragende Lichtsäule, die in jedem Jahr an Lennons Geburtstag für einige Zeit zu leuchten beginnt.
Link zum Imagine Peace Tower

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Foto John Lennon: © Universal Music; Headerbild: shutterstock.com


Uwe Birnstein

Der Theologe Uwe Birnstein (*1962) arbeitet seit 40 Jahren als Journalist für Print- und Onlinemedien, Radio und Fernsehen. Der SPIEGEL-Bestsellerautor schrieb bislang mehr als 30 Sachbücher. In seinen letzten Veröffentlichungen widmet er sich den religiösen Spuren in der Popmusik, u.a. im Werk von Leonard Cohen, Bob Dylan und Udo Lindenberg.

Foto: © Maren Kolf – www.maren-kolf.de

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