Warum es wichtig ist, mit Menschen mit Behinderung über das Thema »Nachhaltigkeit« zu sprechen
Anna Lena Abend, Förderschullehrerin und Ansprechpartnerin für Menschen mit Behinderung im Bistum Speyer, hat zusammen mit Alexander Mack, Referent für sozial-ökologische Transformation und Bewahrung der Schöpfung am Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen, eine Veranstaltungsreihe mit Menschen mit Behinderung zum Thema „Nachhaltigkeit“ gemacht. Dabei haben sie versucht, mit ihnen über den Klimawandel zu sprechen, ein Verständnis dafür zu schaffen und zu schauen, was jede*r einzelne dagegen tun kann. Hier berichten sie über ihre Erfahrungen.
Anna-Lena, die Veranstaltungsreihe hat im Club 86 stattgefunden, der ja seit Jahrzehnten einen festen Platz im Heinrich Pesch Haus (HPH) hat. Wer seid ihr und was macht ihr normalerweise so?
Der Club 86 ist ein Freizeittreff für Menschen mit Lernschwierigkeiten und mehrfachen Behinderungen und ihre Freund*innen. Wir treffen uns zweimal in der Woche am Dienstag- und Mittwochnachmittag hier in unseren Räumen im HPH. Gemeinschaftlich gestalten wir unsere Nachmittage durch Spiele, Bastel- oder Bewegungsangebote und Ausflüge. Immer wieder bieten wir ein thematisch ausgerichtetes Angebot an. So sind verschiedene Religionen, Länder unserer Welt und das Leben von Geflüchteten schon Thema im Club gewesen. Nun haben wir uns mit dir zusammen an das Thema Nachhaltigkeit gewagt.
Vielleicht kannst du mal einen kleinen Einblick in unser Programm geben: Wie waren die vier Nachmittage aufgebaut und was waren die Schwerpunkte?
Unsere Clubnachmittage sind nach einer festen Struktur aufgebaut, die unseren Clubler*innen Sicherheit und Verlässlichkeit bietet. Bekannte Rituale eröffnen und beschließen unsere Clubnachmittage. In diesen Rahmen haben wir das Thema Nachhaltigkeit integriert, indem wir uns am ersten Nachmittag mit den Begriffen Natur und Umwelt auseinandergesetzt haben. Wir sind raus in den wunderschönen Garten des HPH gegangen und haben Dinge wie Äste, Steine, Vogelfedern, Blätter, Blüten, Insekten in der Natur gesucht und über unsere Erfahrungen in der Natur gesprochen.
Am zweiten Nachmittag haben wir uns mit dem Treibhauseffekt beschäftigt. Dazu haben wir sowohl kleine Filme zur Veranschaulichung geschaut als auch einen Versuch gemacht, bei dem wir ein Thermometer unter eine Glaskuppel gelegt haben und eines nicht. Abstrakte Erklärungen werden durch konkrete Versuche greifbarer und verständlicher. Dann haben wir überlegt, wo diese Gase herkommen und was man tun kann, damit wir nicht mehr so viele Treibhausgase produzieren. Dabei war uns wichtig, vorhandene nachhaltige Verhaltensweisen aufzugreifen und zu bestärken.
Am dritten Nachmittag haben wir uns mit dem Thema Müll beschäftigt. Dazu haben wir verschiedene Verpackungen und alte Papiere eingeteilt in wiederverwendbar und nicht wiederverwendbar. Zum Schluss haben wir den Müll in Töpfen vergraben mit der Fragestellung, wie sich der Müll wohl über mehrere Wochen verändern wird.
Am vierten und letzten Nachmittag haben wir gemeinsam gekocht. Dabei war uns wichtig, möglichst plastik- bzw. müllfrei einzukaufen. Es gab Nudeln mit einer selbstgemachten Tomatensoße, die allen sehr gut geschmeckt hat. Zum Abschied durften sich unsere Clubler*innen noch einen „guten Vorsatz“ mit nach Hause nehmen. Dieser lautete zum Beispiel: „Ich bringe meine eigene Tasche mit zum Einkaufen.“
Natürlich hatten wir bestimmte Lernziele und einen Fahrplan, was wir wann thematisieren und erreichen wollen. Trotzdem haben wir immer wieder von Woche zu Woche geplant, neue Methoden gefunden und vorhandene Bausteine an die Zielgruppe angepasst. Welche Methoden fandest du besonders sinnvoll – und welche haben nicht so gut funktioniert?
Inhalte, die konkret handelnd nachvollzogen werden konnten, kamen meines Erachtens besser bei unseren Clubler*innen an als die abstrakten Inhalte. Sie waren aktiver bei der Sache und haben viele eigene Ideen und Erfahrungen einbringen können.
Die Vereinten Nationen haben in ihren Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ja schon 2015 festgelegt, dass es für eine nachhaltige Entwicklung wichtig ist, Ungleichheiten zu verringern – dazu würde ich auch eine möglichst inklusive Gestaltung unserer Gesellschaft zählen. Trotzdem gibt es relativ wenig Bildungsformate für Menschen mit Behinderung, die sich mit Nachhaltigkeit oder Klimawandel beschäftigen. Warum ist es denn aus deiner Sicht so wichtig, auch mit dieser Zielgruppe über dieses Thema zu sprechen?
Der Klimawandel betrifft uns alle und der Schutz unserer Umwelt geht uns alle etwas an, denn wir leben ja gemeinsam in ihr. Aber ich kann nur schützen, was ich kenne und was ich verstehe. Und ich kann meine Umwelt nur schützen, wenn ich dafür die nötigen Ressourcen habe. Wer täglich um sein Überleben, das Essen auf dem Tisch bangen muss, hat keinen Kapazitäten, in Sachen Umweltschutz aktiv zu werden.
Erst wenn Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten abgebaut und irgendwann überwunden werden, können Klima- und Umweltschutz langfristig und nachhaltig gelingen.
Als langfristige und feste Begleiterin kennst du deine Klient*innen ja sehr gut. Wenn du mit etwas Abstand auf das Projekt schaust: Würdest du sagen, dass sich bei ihnen etwas verändert hat?
Ich denke, dass sich durchaus ein stärkeres Bewusstsein hinsichtlich nachhaltigen Verhaltens entwickelt hat. Hier können wir gut ansetzen und versuchen, dieses Thema fest zu verankern, zum Beispiel, indem wir es regelmäßig wiederholen oder einen Nachhaltigkeitstag fest im Jahresprogramm etablieren.
Unsere Zielgruppe ist konfrontiert mit systembedingten Benachteiligungen. Sie können ihr Konsumverhalten und ihre Lebensstile teilweise nur verändern, wenn sich auch das System verändert, in dem sie leben. Insofern macht es am meisten Sinn, an ihren bereits vorhandenen Kompetenzen und Ressourcen anzusetzen und diese zu bestärken, etwa indem man sagt: „Hey, das machst du doch schon richtig gut – weiter so!“. Auf diese Weise können nachhaltige Verhaltensweisen noch stärker in die jeweiligen Lebenssituationen unserer Clubler*innen Einzug halten und möglicherweise auf ihr Lebensumfeld abfärben, z. B. auf ihre Familien, Wohngruppen oder Kolleg*innen.
Das Wichtigste zum Schluss: Welche Rückmeldungen gab es denn von den Menschen im Club 86 zu unserer Workshop-Reihe?
Da fällt mir sofort das Zitat eines Teilnehmers ein: „Gut, dass ihr das mit uns gemacht habt!“