Warum das Fahrrad mehr als ein Fortbewegungsmittel ist
Im Winter ist der Drahtesel nicht ganz so beliebt wie im Frühling oder Sommer. Für Martin Löwenstein SJ ist aber jeder Tag ein Fahrrad-Tag – und nicht nur das: Im Beitrag berichtet der Jesuit, warum das Fahrrad für ihn ein spiritueller Ort ist.
Es war die fantastische Erfahrung von Freiheit. Die ersten Meter hat mich die Mutter noch angeschoben und dann bin ich davongefahren. Mit meinen vier oder fünf Jahren bin ich sicher noch manches Mal gefallen. Das habe ich vergessen. Aber die Freiheit ist geblieben. Statt auf den Schulbus zu warten, konnte ich starten, wann ich wollte; auch abends in benachbarte Dörfer oder in die Stadt zu kommen – das Fahrrad machte es möglich. So ist es bis heute geblieben, im Alltag und in den Sommerferien. Fahrrad reimt sich für mich auf Freiheit – gerade auch, wenn es bergauf geht oder bei Winterwetter mit Anstrengung verbunden ist.
Viel später erst habe ich darüber nachgedacht. Gerade im Johannesevangelium, in dem so viel vom „bleiben“ die Rede ist, sagt uns Jesus: „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht“ (Johannes 15,16).
Das Fahrrad war irgendwie immer schon mein spiritueller Ort. Das Rosenkranzgebet gehört bei mir auf die Landstraße.
Selbstwerdung
Jeder Mensch findet sich nur, wenn er fähig ist, aus seiner Umwelt herauszutreten und Distanz zu sich zu finden. Das macht alle Menschen aus. Für uns als Christ*innen aber ist zentral, dass der Punkt außerhalb, von dem aus wir versuchen, wir selbst zu werden, Christus ist. „Wer sein Leben retten will, wird es verlieren“ (Matthäus 16,25).
Nur sich selbst zu leben, ist wie „das Fahrrad, das schief an der Wand lehnt“ (Delbrêl). Gerade und stabil ist das Rad erst, wenn es fährt. Aber die Bewegung braucht ein Ziel. Ich war nie ein Sportradfahrer, immer nur Radwanderer mit einem Ziel. Jesus: „Wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten“.
Nie allein
Alles um seinetwillen, dem wir im Dienst aneinander begegnen, in den Hungernden, Dürstenden, Gefangenen, Obdachlosen. Ziellose Bewegung ist genauso unfruchtbar, wie bei sich selbst stehen zu bleiben. Christus aber hat die Seinen nicht nur dazu bestimmt, „dass ihr euch aufmacht“, sondern auch, dass „ihr Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“.
Wenn der Untergrund steinig wird, abseits der vielbefahrenen und gut asphaltierten Straße, geht das Gesetz der Bewegung nicht mehr unbewusst und automatisch. Dann muss ich ganz konzentriert fahren, das richtige Tempo finden, flexibel bleiben, vielleicht auch schieben, aber auch wissen, wohin ich will oder wir wollen. Alleine sind wir in dieser Bewegung nie.
Das Jesuiten-Magazin
Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 4/2024 vom Jesuiten-Magazin. Das Heft widmet sich Madeleine Delbrêl und der Spiritualität der Mystikerin.
Sie können das Heft kostenlos bestellen. Hier gelangen Sie zu weiteren Informationen:
Foto: © pawel.gaul/istock.com