(K)eine Chance fürs Klima?!
Wir schreiben das Jahr 2045. Während sich Europa von einem weiteren Dürresommer erholt, hat die deutsche Umweltministerin Luisa Neubauer, früher bekannt als ein Gesicht von „Fridays for Future“, gerade einen internationalen Vertrag zum Einsatz von solarem Geo-Engineering unterzeichnet. Schon wenige Jahre später ist es so weit: Eine kleine Flugzeugflotte mit enormer Spannweite und großen Tanks im Rumpf startet über den Philippinen und verteilt pro Jahr eine Million Tonnen Schwefeldioxid im Luftraum. Das Ziel: das Sonnenlicht dimmen, um die globalen Durchschnittstemperaturen um 0,1 Grad Celsius abzusenken.
So ähnlich beschreibt der Klimaökonom Gernot Wagner in seinem aktuellen Buch „Und wenn wir einfach die Sonne verdunkeln?“ ein mögliches Szenario zum Einsatz von Geo-Engineering. Grundsätzlich lässt sich Geo-Engineering in die Bereiche „Treibhausgasentfernung“ („Carbon Dioxide Removal“, kurz CDR) und „Veränderung der Sonneneinstrahlung“ („Solar Radiation Management“, kurz SRM) unterteilen.
Wohl schon bald Realität: Carbon Dioxide Removal
Anfang 2023 haben Forscher*innen von der Colorado-State-Universität in den USA ermittelt, dass die 1,5-Grad-Schwelle zur Begrenzung der Erderwärmung voraussichtlich schon zwischen 2033 und 2035 geknackt wird – also in etwa zehn Jahren. Folgt man der Studie weiter, ist es „wahrscheinlich, dass auch das Zwei-Grad-Ziel zwischen 2044 und 2065 fällt“.
David Zauner vom „Netzwerk klimareporter°“ schreibt in seinem Kommentar zur Studie: „Wenn die Emissionen bis 2030 halbiert und bis Mitte des Jahrhunderts auf null gesenkt werden, gibt es durchaus noch Hoffnung, das Limit einzuhalten. […] Mit Negativemissionen könnte das Ziel […] zu schaffen sein.“ Und schon sind wir beim Geo-Engineering, denn damit wird klar: Ohne die technische Möglichkeit, CO₂ der Atmosphäre zu entziehen und anderweitig zu binden, rücken die Klimaziele in noch weitere Ferne. Daher werden die Techniken des Carbon Dioxide Removal in Zukunft eine der Speerspitzen im Kampf gegen den Klimawandel darstellen.
Dabei können wir uns glücklich schätzen, dass Mutter Natur uns so zahlreich mit Möglichkeiten für „natürlichen Klimaschutz“ gesegnet hat: Durch Aufforstungsmaßnahmen, Waldmanagement oder die Wiedervernässung von Mooren werden bereits jetzt große Mengen von CO₂ in der Biosphäre gespeichert – größtenteils auf ganz natürliche Weise. Ein weiterer Report, der Anfang 2023 erstmals einen weltweiten Stand von CDR zusammengefasst hat, fordert zusätzlich den massiven Ausbau neuartiger CDR-Methoden wie Bioenergie mit Abscheidung und Speicherung von CO₂ oder die direkte CO₂-Entnahme aus der Luft mit Speicherung. Beide Methoden sind bisher nur für einen Bruchteil der nötigen CO₂-Speicherung verantwortlich und müssten auf ein Vielfaches skaliert werden.
Halten wir fest: Mehr als 50 Jahre nach dem Bericht des Club of Rome, der einen massiven Anstieg der CO₂-Emissionen vorausgesagt hat, müssen wir Menschen uns heute bei Ökosystemdienstleistungen und weiteren technischen Lösungen bedienen, um die Erde wieder in einen stabilen Zustand zu versetzen und unser Überleben darauf zu garantieren.
Liebe liebe Sonne, schein ein bisschen leichter! Solar Radiation Management
Etwas anders sieht es beim technischen Eingriff in die Sonneneinstrahlung aus: Ganz weit oben in der Stratosphäre setzen Konzepte mit riesigen Satelliten-artigen Spiegeln an, die die Sonneneinstrahlung direkt im Weltraum reflektieren. Eine weitere Technik soll in rund zehn Kilometern Höhe eingreifen, indem Flugzeuge Aerosole wie Schwefeldioxid in der Atmosphäre verteilen, um das Sonnenlicht zu dimmen und auf diese Weise das Klima zu kühlen. Als Blaupause hierfür dient der Ausbruch des Vulkans Pinatubo auf den Philippinen im Jahr 1991: Hier sorgte der Schwefelgehalt der Atmosphäre für eine Reduzierung der Temperaturen – allerdings nur regional begrenzt und für knapp zwei Jahre. Interessantes Detail: Diese Technik wäre wohl vergleichsweise günstig für einen einstelligen Milliardenbetrag pro Jahr finanzierbar und wird damit attraktiv im Vergleich zu den kaum zu beziffernden Klimaschäden, die uns erwarten.
Aktueller und kontroverser könnte das Thema kaum sein: Anfang des Jahres 2022 hat eine Gruppe internationaler Forscher*innen – darunter der Präsident des Umweltbundesamtes Prof. Dr. Dirk Messner – einen Appell an internationale Regierungen gerichtet, schnelle und effektive politische Kontrollmechanismen für die Entwicklung von SRM-Technologien zu implementieren und dessen tatsächliche Nutzung auszuschließen.
Welche Argumente sprechen gegen einen großflächigen Einsatz von SRM?
Da ist zum einen die Ebene der Governance, der politischen Regulierung: Weitreichende staatliche oder zwischen-staatliche Vereinbarungen oder Verträge zum Geo-Engineering wird es aktuell und in naher Zukunft nicht geben. Durch seine vielen, aber größtenteils noch unerforschten und hoch-spekulativen Einsatzmöglichkeiten müsste sich die Weltgemeinschaft auf vieles verständigen: Auf oder um wie viel Grad Celsius die Temperatur abgesenkt werden soll, in welchen Regionen die Technik zum Einsatz kommen soll, wer dafür verantwortlich sein und wie die Finanzierung aussehen soll. Utopisch, wie der Politikwissenschaftler Frank Biermann von der Universität Utrecht sagt: „Der Einsatz von solarem Geo-Engineering ist auf faire, demokratische und effektive Weise nicht zu regeln“ – vor allem im Rahmen des derzeitigen internationalen politischen Systems.
Dann stellt sich die Frage der Risikoabwägung: Zum einen müssen die einzelnen, unterschiedlichen Maßnahmen des Geo-Engineering einer Technikfolgenabschätzung unterzogen werden, um die jeweils individuellen Gefahren zu kennen und zu bewerten. Zum anderen hat sich der Zustand der Erde bereits derart verändert bzw. verschlechtert, dass es sowieso keine Rückkehr zu einem Idealzustand gibt und bestimmte Kipppunkte bereits überschritten sind.
Daher müssten der Einsatz von Geo-Engineering nicht mit einer vorindustriellen Welt verglichen werden, sondern mit dem Zustand, auf den wir aktuell zusteuern, argumentieren Forscher*innen. Gernot Wagner führt hier den Begriff einer „Risiko-Risiko-Abwägung“ ein. Konkret bedeutet das etwa:
Wollen und können wir lieber in einer Welt mit zwei Grad Erwärmung leben oder mit dem Wissen, dass dutzende Satelliten gerade dafür sorgen, dass die Temperatur eben doch relativ konstant bleibt?
Und nicht zuletzt besteht die Gefahr des Relativismus, dass durch Geo-Engineering weniger echter Klimaschutz betrieben wird. UBA-Präsident Dirk Messner konstatiert: „Solares Geo-Engineering lenkt von der Ursache für die Klimakrise ab“, und fordert stattdessen eine konsequente, tiefgreifende Umstellung unserer Produktions- und Wirtschaftsweise. Bei seiner klugen und differenzierten umweltpolitischen Betrachtung des „Geo-Engineering-Dilemmas“ stellt Gernot Wagner dagegen die These auf, dass „die Verfügbarkeit von riskantem (solarem) Geo-Engineering […] ein ehrgeizigeres Klimaschutzabkommen wahrscheinlicher machen“ könne – nach dem Prinzip: Wenn Staaten nur genug Angst vor riskantem Geo-Engineering hätten, erhöhe sich ihre Motivation, echten Klimaschutz zu betreiben.
Fazit: Geo-Engineering – eine Chance für das Klima?
Ja, Geo-Engineering bietet eine Chance für das Klima. Dabei bringt es jedoch zahlreiche Auswirkungen auf unser Zusammenleben auf dem Planeten Erde mit sich und wird daher in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen diskutiert und beforscht.
Einige Maßnahmen zur Entfernung von Treibhausgasen werden in naher Zukunft sicherlich eingesetzt werden, um die schlimmsten Schäden abzuwenden – vor allem deshalb, weil die Menschheit bisher im Kampf gegen den Klimawandel viel zu zögerlich agiert. Diese neuen Techniken dürfen kein Feigenblatt sein, mit dem wir uns die bereits vorhandenen CO₂-Emissionen schönrechnen und erkaufen, dass alles so weitergehen kann wie bisher. Klar ist, dass wir – auch mit Geo-Engineering – eine deutliche Reduktion der Treibhausgase brauchen, und zwar schnellstmöglich und sektorübergreifend.
Keinesfalls sollten wir akzeptieren, dass Geo-Engineering von ein paar Superreichen oder Failed States genutzt wird, um die eigene Klimabilanz aufzupolieren. Denn dafür birgt die Technik zu viele Gefahren und Hindernisse, die wir nicht absehen können – daran wird wohl auch zeit- und kostenintensive Forschung so schnell nichts ändern. Umso wichtiger ist es, dass wir Entwicklungen wie das Geo-Engineering objektiv und kritisch begleiten – als Wissenschaft, Politik und Gesellschaft.
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