Greenwashing

Nachhaltigkeit  

Gefühlte Nachhaltigkeit

Von der Leichtigkeit des Seins in der grünen Illusion

Deutschland ist die Heimat des Umweltschutzes. Das ist allgemein anerkannt. Wir sind Weltmeister im Mülltrennen. Wir kaufen Transfair Biokaffee in recyclebaren Kapseln und trinken Biowein aus Südafrika. Unsere Wäschetrockner gehören der Effizienzklasse A+++ an und in unseren Blumenkästen gedeiht die „Bienenweide“. Wir kompensieren unsere Urlaubsflüge bei Atmosfair (zumindest ab dem nächsten Flug). Auf unseren Einfamilienhäusern wird Strom produziert und unsere Autos sind Plug-in-Hybride.

Wir wählen grün und natürlich unterstützen wir die Fridays for Future-Bewegung. Wir unterschreiben und teilen Petitionen, wir demonstrieren für eine effektivere Klimapolitik und wir echauffieren uns über ökologische Unverantwortlichkeiten von transnationalen Konzernen in aller Welt.

Also: Wo ist das Problem?

Schon das Konzept der Nachhaltigkeit ist deutsch. Es entstammt der Forstwirtschaft und geht auf den sächsischen Bergbeamten Hans-Carl von Carlowitz (1645–1714) zurück. In seiner bereits 1713 publizierten „Sylvicultura oeconomica oder haußwirthliche Nachricht und Naturmäßige Anweisung zur wilden Baum-Zucht“ gemahnt er den „respektvollen“ und „pfleglichen“ Umgang mit dem Wald und kritisiert den Raubbau.

In diesem Sinne ist Nachhaltigkeit ein Handlungsprinzip, durch das die Stabilität und Regenerationsfähigkeit der natürlichen Ressource Wald als Grundlage zu dessen dauerhafter Nutzung gesichert werden soll. Die Logik ist einfach: Fälle nur so viele Bäume, wie auch nachwachsen. Dieses Prinzip lässt sich leicht verallgemeinern. Stellen wir nicht den Wald in den Mittelpunkt unserer Überlegungen, sondern den Planeten auf dem wir leben, dann funktioniert das genauso. Doch dieses Prinzip wurde längst von „der Wirtschaft“ erkannt.

Greenwashing als Marketinginstrument

Auch die Wirtschaft ist sichtbar um Nachhaltigkeit bemüht: Entsprechende Hinweise auf den Produktverpackungen, Labels und Zertifizierungen bezeugen echten Veränderungswillen. Zugegeben, manchmal schießt das Ganze ein bisschen übers Ziel hinaus, etwa wenn moderne Dieseltechnologie als revolutionäre Maßnahme zum Klimaschutz dargestellt oder wenn Duschgel in Plastikflaschen mit einer kleinen Beimischung aus „Meeresplastik“ als Lösung des Plastikmüllproblems in den Weltmeeren stilisiert wird. Wir erinnern uns: Für das Jahr 2050 prognostiziert man, dass es mehr Plastik als Fische in den Meeren geben wird!

Dafür gibt es einen Begriff: Greenwashing. Greenwashing ist eine Marketingpraxis, deren Ziel es ist, durch die bewusst selektive (ggf. auch wahrheitswidrige) Aufbereitung von Information insgesamt nichtnachhaltige Produkte oder Praktiken als nachhaltig darzustellen. Dabei schlägt man gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen verschleiert man die tatsächlichen ökologischen Hintergründe eines Produkts und kann zudem in Zeiten von Fridays for Future neue Gruppen von Konsumenten bzw. Käufern erschließen: Weltrettung als Produktattribut. Das ist ziemlich übel.

Greenwashing als Gewissensentlastung

Allerdings kommt es auch unseren Interessen entgegen.

Greenwashing bringt das (lästige) ökologische Gewissen zum Schweigen.

Wer kennt das nicht: Wir öffnen eine Dose Thunfisch und müssen plötzlich an in Schleppnetzen ertrinkende Delfine denken. Umso schöner ist es, wenn uns auf der Dose ein entsprechendes Label mit lachenden Delfinen sagt, dass wir uns um das Schleppnetzproblem keine Sorgen machen müssen. Und ist es nicht auch so, dass es mit jeder zertifizierten Dose Thunfisch, die ich kaufe, den Delfinen in den Weltmeeren ein kleines Stückchen besser geht?

Nur damit keine Missverständnisse entstehen: In bestimmten Fällen machen Labels Sinn. Aber der Mechanismus der Gewissensentlastung funktioniert auch dann, wenn es nur die halbe Wahrheit ist oder wenn es überhaupt nicht stimmt. Dann wird aus der Marketingpraxis des Greenwashing eine Art autosuggestives Greenwashing unserer je eigenen Lebenspraxis. Wir suggerieren uns, nicht Teil des Problems zu sein, sondern Teil der Lösung. Wir fühlen uns nachhaltig. Wir machen es uns gemütlich in einer illusionären Blase eines Lifestyles der Gesundheit und Nachhaltigkeit mit all den Dingen, die wir dazu brauchen.

Nachhaltigkeit Greenwashing

Doch warum nur wird in der realen Welt nichts besser?

Weil die Politik versagt hat. Spätestens seit dem Klimaschutz-Abkommen von Paris im Jahr 2015, in dem sich 175 Staaten der Erde verpflichtet haben, ihre jährlichen Treibhausgas-Emissionen signifikant zu senken, sollte klar sein, wohin die Reise gehen muss. Doch was ist passiert? Global betrachtet sind die Treibhausgasemissionen eher gestiegen als gesunken und auch im Ursprungsland der Nachhaltigkeit sinken die Emissionen nur marginal. Und schon wieder sind wir fein raus. Das 1,5 Grad-Ziel ist zwar nicht haltbar, aber wir sind persönlich nicht verantwortlich dafür. Die Politik hat’s vermasselt.

Doch wie lange können wir diese Haltung noch aufrecht erhalten? Denn all die Dinge, die wir glauben zu brauchen, müssen produziert, verteilt, genutzt und entsorgt werden. Und selbst wenn die Dinge partiell ökologisch besser erscheinen, etwa weil in der Produktion Ökostrom genutzt wurde oder weil über 90 Prozent der in der Produktion verwendeten Rohstoffe aus Recyclingprozessen verwendet wurden, bleibt doch ein ökologischer Footprint zurück.

Und wenn uns die Darstellung der partiellen Verbesserung dazu animiert, mehr zu konsumieren, dann ist sie nicht Teil der Lösung sondern Teil des Problems und unser Gefühl der Nachhaltigkeit macht uns zu einem Teil des Problems.

Wie wir nachhaltiger leben können

Nachhaltig wäre es, keinen Tunfisch zu essen, keine Duschgels in Plastikflaschen zu kaufen und statt mit dem Diesel mit dem ÖPNV oder dem Rad zu fahren. Verlegen wir also unsere Aufmerksamkeit von den Nachhaltigkeitsnarrativen der Werbeindustrie auf unser je eigenes Leben und stellen uns die Frage: Ist das, was ich da gerade tue nachhaltig? Ggf. ist das eine schwierige Frage, weil sie komplexe Hintergründe hat und wir eben permanent Greenwashing-Strategien ausgesetzt sind. Es kann auch dazu führen, dass wir nach kritischer Betrachtung bestimmte Dinge einfach nicht mehr tun können.

Es geht aber um viel: Zum einen um die Umkehrung der zunehmend irreversiblen Zerstörung unserer Lebensgrundlage, auch wenn unser persönlicher Beitrag dazu quantitativ betrachtet marginal erscheinen mag. Zum anderen aber auch um unsere persönliche Authentizität. Der Mechanismus des Greenwashings funktioniert ja gerade, weil wir einen starken Anspruch auf Nachhaltigkeit verinnerlicht haben. Worauf also noch warten?

Foto: © Tanaonte/iStock.com, © Eliza/photocase.com


Timo Sauer

Timo Sauer ist Philosoph und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Dr. Senckenbergischen Institut für Geschichte und Ethik der Medizin. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als klinischer Ethiker befasst sich Timo Sauer mit Fragen des guten (Zusammen-)Lebens in der fortschreitenden ökologischen Krise. Er lebt nach den Prinzipien der Voluntary Simplicity und ist Mitglied der SoLaWi (Solidarischen Landwirtschaft) KArotte e. V..

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