Versöhnung  

Falsche Versprechen

Rücktritte allein helfen nicht bei der Bewältigung der Krise

Der Staat und sein Beauftragter begnügen sich bei verjährten Taten sexualisierter Gewalt und deren Vertuschung in Institutionen wie der Kirche derzeit mit der Rolle des kommentierenden Beobachters. Damit werden aber nicht nur die Betroffenen im Regen stehen gelassen, sondern auch die Kräfte in den Institutionen, die sich um Aufklärung bemühen.

So schnell in der Presse Rücktrittsforderungen erhoben wurden, so schnell kamen jetzt die ersten Persilscheine für Kardinal Woelki. Klar, es gab endlich Rücktritte! Aber so gefühlig unklar oft die Begründungen für die Rücktrittsforderungen waren, so wenig erschließt sich mir, warum damit plötzlich alles gut sein sollte. Na gut, es gibt endlich Verantwortliche, die nicht im Ruhestand oder tot sind, die also in die Verantwortung genommen werden können. Die Betreffenden hätten der Kirche einen größeren Dienst erwiesen, wenn sie – wenigstens in den letzten Wochen – selbst Konsequenzen gezogen hätten. In der Kirche ist viel vom „Dienst“ die Rede. In nächster Zeit ist das kirchlich gesehen ein verbranntes Wort.

Keinem einzigen der für das Debakel Verantwortlichen kam in den letzten Wochen in den Sinn, Verantwortung zu übernehmen, und sei es wenn schon nicht aus Einsicht so doch wenigstens, um etwas Schaden von der Kirche abzuwehren.

Und Woelki?

Ihm wird attestiert, er habe sich nichts vorzuwerfen im Umgang mit Vorfällen der sexualisieren Gewalt im Bistum. Bleibt immerhin das Debakel rund um die beiden Gutachten und vor allem um die Kommunikation gegenüber den Betroffenen. Es waren diese Leitungsfehler, die das Fass zum Überlaufen brachte. Wie aber kam es zu diesen Fehlern? Der Kölner Kardinal wollte den anderen Diözesen zeigen, wie es geht. Die Betroffenen sollten vorbildlich einbezogen werden. Ein Versprechen, das er nicht gehalten hat. Oder eines, das er nicht halten konnte, das auszusprechen also fahrlässig war? Die Diskussion um Rücktritte ist das eine.

Wichtiger wäre nun eine angemessen differenzierte Debatte darüber, was alle Beteiligten aus dem Kölner Debakel lernen könnten. Und diese Frage führt über die Kirche hinaus.

Wahr ist: Die kirchlichen Strafrechtsverfahren lassen selbst basale Standards vermissen. Sie nehmen „Opfer“ nicht ernst und sind für die Öffentlichkeit komplett intransparent. Das ist ein Ärgernis, das unbedingt abzustellen ist! In staatlichen Verfahren haben die Betroffenen das Recht, als Nebenkläger den Gang von Verfahren mitzubestimmen. Aus meiner Sicht eine Frage der Würde, darüber hinaus aber auch ein heilsames Erleben von Selbstwirksamkeit. Mit der Verbesserung kircheninterner Strafverfahren ist aus meiner Sicht aber das Grundproblem scheiternder Aufarbeitung nicht behoben.

Woelki Köln Rücktritt Kirche

Eine Chance für die Kirche

Dabei gäbe es nun eine Chance. Denn in der Kirche schultert zunehmend eine Generation der „Erben“ die Aufklärung. Sie sind großen Teils bereit, die Verantwortung zu übernehmen, wo die Vorgänger sich drückten. Glaubwürdig können Aufklärung und Fragen des Opferausgleichs aber nur gelingen, wo unabhängige Gutachter Zugang zu Akten erhalten und alle Perspektiven zu Wort kommen. Denn natürlich haben auch die Leitungen heute Ebenen zu berücksichtigen, die unter Umständen Perspektiven und Forderungen von Betroffenen entgegenstehen: Datenschutz, Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und, ja auch das gehört dazu, das Recht einer Institution, Grenzen zu ziehen, wo die gebotene Aufklärung in die Zuweisung von Kollektivschuld kippt mit allen Folgen für die ganze Institution.

Wie wenig man als betroffene Institution sich selbst aus dem Sumpf ziehen kann, das könnte der deutsche Staat im Blick auf sich selbst erinnern: Er speiste irgendwann NS-Zwangsarbeiter mit 3.000 Euro Anerkennung ab, lange bevor dann auch eine inhaltliche Beschäftigung mit dem Leid der Betroffenen einsetzte. Länder wie Griechenland warten bis heute auf Entschädigung, weil Deutschland unabsehbare, rechtliche Folgen befürchtet, wenn es diese Schuld anerkennt. Die Wellen der Empörung in den Medien sind längst einem resignierten Schulterzucken gewichen. War halt nicht besser lösbar. Naja, und Mitgliederverlust gab es nicht: Aus Deutschland kann man halt nicht austreten. Also nehmen es alle hin.

Auch Staat und Gesellschaft sind in der Pflicht

Schon alleine das Ausmaß von Vertuschung und Verbrechen in der Kirche müsste es geboten erscheinen lassen, dass Staat und Gesellschaft sich nicht mit der Rolle der Beobachter begnügen. Weil die Kirche aber sicher nicht die einzige Institution ist, die eine Geschichte oft juristisch verjährter, sexualisierten Gewalt und ihrer Verschleierung aufklären muss, darf sich der Staat, können wir als Gesellschaft uns nicht damit abfinden, Leitungen solcher Institutionen beim Scheitern zuzuschauen, wenn sie Aufarbeitung aus eigener Kraft versuchen, weil die meisten Taten verjährt sind und der Staat sich deshalb aus dem Rennen nimmt.

Warum gibt es nicht den Versuch, staatlich-unparteiische Schiedsverfahren für die Aufarbeitung institutionellen Unrechts einzuführen, verbunden mit Kriterien für den Ausgleich institutionellen Unrechts, die dann für alle Institutionen und gesellschaftlichen Bereiche gelten?

Dazu gehören auch überfällige juristische Klärungen: Der derzeitige Sprachgebrauch bezüglich „Anerkennungszahlung“ und „Entschädigung“ ist – mit zunehmender Dauer der Debatte durchaus auch kalkulierter Weise – immer weiter verunklart worden. Damit wird aber auch immer virulenter, welche juristischen Folgen sich aus einer unbürokratischen „Anerkennung“ erlittenen Unrechts ergeben, die Institutionen aussprechen, um Betroffenen nicht noch eine juristische Prüfung des Sachverhalts aufzubürden. Es liegt im Interesse der Allgemeinheit und der Betroffenen beider Seiten, dass hier ein verlässlicher Rahmen für alle Beteiligten geschaffen wird, in dem die Aufarbeitung erlittenen Unrechts von Institutionen gelingen kann.

Es gibt keine unbeteiligten Beobachter, weil die Geschichte sexualisierter Gewalt und ihre Tabuisierung tief in alle Bereiche unserer Gesellschaft reicht. In Köln gab es genug hausgemachte Fehler. Aber bei dieser Feststellung können wir es nicht bewenden lassen, wissend, dass weiteres Scheitern vorprogrammiert ist.

Wir müssen jetzt beginnen, gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Verfahren für Aufklärung und für einen angemessenen Ausgleich mit den Betroffenen zu diskutieren und zu schaffen, die dann freilich auch für alle gelten. Das schulden wir alle den Betroffenen, die sonst ständig einem Wechselbad aus Erwartungen, die geweckt und wieder enttäuscht werden, ausgesetzt sind.

Fotos: © birdys/photocase.com, © MCS-Photography/iStock.com


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