Grillmeyer Freundlichkeit

Zusammenleben  

Ein Dank an die Alltagshelden der Menschenfreundlichkeit

Wie ein kleines bisschen Freundlichkeit unsere Welt verändern kann

Längst will ich einen Dankesbrief an Menschen schreiben, die ich sehr bewundere, weil sie bei allen täglichen Widrigkeiten und damit den Mühen des Alltags eine tiefe Menschenfreundlichkeit leben. Ob in der Warteschlange beim Bäcker, im Gedränge der U-Bahn oder im Straßenverkehr und vor allem – bei so vielen Sitzungen, Besprechungen, Versammlungen – begegnen sie Menschen mit einer unerwarteten und ebenso entwaffnenden Langmut und auch Sanftmut. Ohne Ironie und Hintergedanken möchte ich diesen Menschen mit diesem Text meine Bewunderung und meinen Dank übermitteln!

Man spürt einfach, dass sie grundsätzlich die Menschen mögen! Und es ist faszinierend, wie sehr sie zwar an der Sache interessiert bleiben und gleichzeitig den Nächsten doch immer den Vorzug geben: Wenn sich Effizienz und Effektivität – so nötig sie der Sache willen wären – sich einfach nicht umsetzen lassen, da wir den Menschen gegenüber unrecht tun würden, dann müssen die persönlichen Befindlichkeiten des Gegenübers im Vordergrund stehen und bei allen Unzulänglichkeiten doch Freundlichkeit und Wohlwollen entgegengebracht werden. Einfach bewundernswert, wer das lebt – ein fast grenzenloses Wohlwollen, um nicht gleich im Umgang mit den anderen das große Wort von der Liebe zu verwenden. Chapeau!

Einfach freundlich sein

Es gibt diese schöne Phrase und den dazu passenden Aufruf: „Random Act of Kindness!“ (oft sogar abgekürzt als RAOK) im Englischen. Als Initiatorin für diese Bewegung, immer wieder Formen und Aktionen der Freundlichkeit ohne Erwartung einer Gegenleistung zu vollbringen, gilt die Schriftstellerin Anne Herbert. In den achtziger Jahren soll sie an die Wand eines Restaurants in Kalifornien diesen Aufruf geschrieben haben: „practice random kindness and senseless acts of beauty“. Ihr gleichnamiges Kinderbuch erschien 1993, in dem sie kleine Geschichten von dieser Menschenfreundlichkeit erzählt. Mittlerweile gibt es ganze Ratgeber, wie wir kleine Formen der Freundlichkeit und nette Gesten immer wieder nutzen können, um den Menschen eine Freude zu machen.

Relativ unbeachtet erschien im selben Jahr ein Buch von Jack Womack mit dem Titel: „Random Acts of Senseless Violence” (Grove Press 1993) und damit sozusagen die Gegenposition von Anne Herbert als Wortspiel. In diesem Roman wächst die wohlbehütete 12-jährige Lola Hart in guten Verhältnissen auf, bis sich das Blatt wendet. Das Leben wird unsicher und fragil. Kriminelle zerstören die öffentliche Ordnung. Und bezeichnenderweise findet ihre Mutter als Lehrerin keine Arbeit und ihr Vater, ein Schriftsteller, kann seine Bücher nicht veröffentlichen. Bildung wird also nicht genutzt und ein Schriftsteller nicht gehört.

Wo würden wir uns wiederfinden?

Würde man die Geschichten der unerwarteten kleinen, guten Dinge von Anne Herbert dieser dystopischen Schilderung gegenüberstellen, wo würden wir uns wiederfinden? Wahrscheinlich an manchen Tagen eher bei Womack. Auch um uns herum verändert sich Gesellschaft und Politik nicht zum Guten.

Und dennoch: Die Menschenfreundlichkeit hoch zu halten, sie in kleinen Gesten und Taten zu verteidigen, ohne in den Seufzer Schopenhauers einzustimmen: „Seit ich die Menschen kenne, liebe ich die Tiere!“

Aber ich merke auch, wie viel Energie dies kostet. Vielleicht auch deshalb, weil es eben nicht so einfach ist und wir beim Verschenken von Freundlichkeit nicht auf ein unerschöpfliches Reservoir zurückgreifen können. Zwar bin ich überzeugt, dass wir nicht die direkte Rückmeldung brauchen; wir auch damit umgehen können, wenn die Freundlichkeit eben nicht erwidert wird. Dann kann sogar manchmal ein freundliches und sogar deutliches Trotzdem! und Dennoch! als innere Haltung uns den Weg ebnen, weiterzumachen. Aber ich meine schon, dass wir selbst Quellen brauchen, aus denen wir für diese Freundlichkeit schöpfen können.

Kleine Zeichen der Menschenfreundlichkeit

Ich selbst brauche eine eigene Form von Spiritualität, um die Kraft für die Menschenfreundlichkeit zu finden und zu bewahren. Es ist sicher kein Zufall, dass zur neueren Ausgabe von Random Kindness and Senseless Acts of Beauty der bekannte Geistliche und Menschenrechtsaktivist Desmond Mpilo Tutu ein Geleitwort geschrieben hat. Er legt seine ganze Hoffnung auf diese kleinen Zeichen der Menschenfreundlichkeit, um das große Ganze zu verändern: “We can indeed transform the world, and we are each called to take part in this sacred work. Random Kindness and Senseless Acts of Beauty offers this simple and powerful message of wisdom and hope. Wherever you are, you can create beauty. Moment by moment, you can create joy. Instant by instant, you can offer kindness.”

Das klingt sehr hoffnungsvoll. Ich schließe mich seiner Hoffnung an und wünsche mir, dass sie trägt. Aber in manchen Momenten wird man auch müde und an manchen Tagen spüre ich, dass diese inneren Quellen versiegen. Zumindest an manchen Tagen oder auch nur in manchen Augenblicken. Und dann bewundere ich umso mehr Menschen, die durchhalten! Diese Zeilen sind Ihnen gewidmet!

Bild: © knallgrün/photocase.com


Siegfried Grillmeyer

Er ist seit 2008 Leiter des Caritas Pirckheimer Hauses, der Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens, sowie Geschäftsführer des dazugehörigen Tagungshotels. Zahlreiche Veröffentlichungen zur politischen Bildung sowie privat von Essays und Kurzgeschichten.
www.grillmeyer.info

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