Smartphone Digital Detox

Sinn  

Digitale Stille

Was das Smartphone mit uns macht – und was wir dagegen tun können

Wenn ich mein Handy zu Hause vergesse, dann beschleicht mich ich ein unangenehmes Gefühl. Ich bin entkoppelt von den Möglichkeiten, die mir die kleine Wunderkiste bietet. Dabei geht es mir weniger darum, erreichbar zu sein, sondern um die Möglichkeit, selbst telefonieren zu können. Man stelle sich eine Autopanne ohne Handy vor. Sicherlich auch zu lösen, aber mit einer unmittelbaren Möglichkeit zu telefonieren auf jeden Fall angenehmer. Oder nehmen wir als Beispiel den Heimweg. Man wird zu einer bestimmten Uhrzeit erwartet und gerät in einen Stau. Ein kurzer Anruf oder eine Textnachricht, und schon sind die Lieben zu Hause beruhigt.

Liegt mein Smartphone zu Hause, entfallen alle Optionen, die mir der mobile Zugang zum Internet bietet. Unterwegs Adressen oder Öffnungszeiten recherchieren, eine Navigations-App nutzen, ein Memo in den Notizen vermerken oder auf dem Heimweg vom Ausflug die Speisekarte unseres Lieblingsitalieners studieren. Alles praktische Beispiele, für die ich mein schlaues Telefon nicht missen möchte.

Smartphone als Zeitfresser

Aber ist das schon die ganze Wahrheit? Nein, leider nicht. Tatsächlich verbringe ich deutlich mehr Zeit am Handy, als es für die oben beschriebenen Dinge nötig wäre. Neben meinem E-Mail-Account buhlen zwischenzeitlich fünf verschiedene Messenger um meine Aufmerksamkeit. Freunde stellen lustige Bilder und Videos in den Chat, schicken Grüße am Morgen oder prosten mir am Abend zu. Wenn alle Mitteilungen gelesen sind, durchforste ich unterschiedliche Portale nach den neuesten Nachrichten.

Irgendwann bemerke ich, dass ich gar keine Nachrichten mehr lese, sondern auf irgendeiner anderen Webseite Produktangebote studiere und aus meinen geplanten zehn Minuten bereits eine halbe Stunde geworden ist.

Noch schlimmer ist es, wenn ich auf Youtube einfach mal stöbere. Dann werden aus zehn Minuten gerne mal eine Stunde oder mehr.

Von sozialen Medien wie Facebook oder Instagram habe ich mich bisher ferngehalten. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie viel Zeit ich dort aufwenden würde.

Warum verbringe ich so viel Zeit an meinem Smartphone, obwohl ich das Gefühl habe, es müsste weniger sein? Nach einer Studie an der Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn, mit mehr als 300.000 Studienteilnehmern, greifen wir im Durchschnitt 88-mal am Tag zum Handy, davon entsperren wir es 53-mal am Tag. Im Schnitt ist dies alle 18 Minuten. Warum fällt es uns so schwer, diese Zeiten in den Griff zu bekommen?

Mechanismen hinter dem Suchtverhalten

In seinem Buch „Digitaler Burnout“ erklärt Alexander Markowetz die Mechanismen hinter unserem Suchtverhalten bei der Smartphone-Nutzung. Eine der Triebfedern ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Es ist das Prinzip der „Random Rewards“ (zufällige Belohnungen).

Die Suchtforschung hat herausgefunden, dass das Glückshormon Dopamin nicht nur bei der Erfüllung des angestrebten Wunsches ausgeschüttet wird, sondern schon die Erwartung des erwünschten Ereignisses genügt, damit das Gehirn den Botenstoff freigibt. Tatsächlich funktioniert dieser Mechanismus besonders gut, wenn sich der Erfolg nur manchmal einstellt. Wäre beispielsweise bei der Pilzsuche unter jeder Eiche ein Steinpilz zu finden, würde dieses Hobby den spielerischen Reiz verlieren.

Das gleiche Prinzip lässt sich auf unsere Smartphone-Nutzung übertragen. Wir freuen uns über nette Mitteilungen, lustige Video-Clips, den neuen Status unserer digitalen Freunde oder das Finden interessanter Nachrichten auf unseren bevorzugten Webseiten. Und auch hier greifen wir immer wieder zum Handy, um zu prüfen, ob uns etwas Neues angezeigt wird.

Auf der digitalen Jagd nach Belohnung

Alexander Markowetz beschreibt die digitale Jagd nach Dopamin wie folgt: „Wir schauen regelmäßig in unseren E-Mail-Account, nicht weil dort tatsächlich immer eine wichtige Nachricht ist, sondern weil sie dort sein könnte. Wir lesen unentwegt die Onlinenews, nicht weil es dort immer eine brisante Meldung gibt, sondern eben nur manchmal. Wir blättern durch die Profile bei Tinder, nicht weil wir zuverlässig eine Traumfrau nach der anderen entdecken, sondern weil sie sich vielleicht dort befindet.“

Aktuell beträgt meine durchschnittliche Handy-Bildschirmzeit rund zwei Stunden auf den Tag verteilt. Ergänzt wird meine digitale Aktivität durch die Arbeit am PC mit stetig eingehenden E-Mails.

Durch die Unterbrechungen leiden meine Konzentration und meine Produktivität.

Die Fragmentierung meines Alltags führt zu weniger Vertiefung in meinem Tun, und damit erlebe ich seltener schöne Flow-Erfahrungen, bei denen ich ganz in einer Tätigkeit aufgehe. Mit Multitasking versuche ich, meinen Produktivitätsverlust auszugleichen, obwohl ich weiß, dass Multitasking ein Märchen ist. An schlechten Tagen fühle ich mich überfordert und gerade abends ausgelaugt und lustlos.

Das Smartphone reißt mich immer wieder aus meiner Achtsamkeit. Treffe ich mich mit einem Freund, lockt die Versuchung, mal eben den Posteingang und die Messenger zu checken. Spätestens wenn mein Gesprächspartner kurz den Tisch verlässt, wird die Pause für die digitale Welt genutzt. Das schlechte Gewissen wird meist dadurch beruhigt, dass ich bei meinem Gegenüber oft ein ähnliches Verhalten beobachte.

Der Text ist erstmals in „der pilger – Magazin für die Reise durchs Leben“ erschienen.

Der Weg zum Digital Detox

Vor einiger Zeit habe ich mich mit dem Thema Muße beschäftigt. Gemeint ist damit die Zeit, die man ohne konkretes Tun verstreichen lässt und so für Gemüt und Verstand wichtige Ruhephasen schafft. Dieses tätige Nichtstun in Zeiten der Muße ist die Basis für unsere Kreativität. Inzwischen ist mir bewusst geworden, dass ich nahezu jede nicht geplante Pause mit Handy-Zeit fülle. Warte ich am Bahnsteig auf den Zug, zücke ich das Handy, warte ich im Restaurant auf meine Verabredung, surfe ich im Netz.

Das Wissen um die negativen Auswirkungen des Handybesitzes habe ich schon länger. Einzig fehlte es bisher an ernst gemeinten Versuchen, etwas an meinem Nutzungsverhalten zu ändern. Mitte des vergangenen Jahres habe ich mir vorgenommen, etwas an meinem Handy-Konsum zu ändern. Begonnen habe ich mit der Kontrolle meiner Bildschirmzeit. Diese Funktion des Smartphones zeigt mir täglich und im Wochendurchschnitt den Zeiteinsatz je App und sensibilisiert mich für Hochphasen. Kaum genutzte Apps habe ich gelöscht, Push-Nachrichten in fast allen Apps abgestellt, und schon seit längerer Zeit ist der Ton ausgeschaltet. Zu Hause hat mein Smartphone seinen festen Platz im Flur und ist außerhalb meiner Griff- und Sichtweite. Regelmäßig nutze ich den Flugmodus, um bewusste Offline-Zeiten zu schaffen. Besonders stolz bin ich auf die kleinen Zeiträume, in denen ich das Haus ohne Handy verlasse.

Ich werde bald ein Schweige-Retreat besuchen. Während dieser Auszeit werde ich mich nicht nur in Achtsamkeit üben, sondern auch die längste handyfreie Zeit seit Jahren haben. Ich hoffe, dass mir diese Erfahrungen auch bei meinem weiteren digitalen Detox hilfreich sein werden.

Darf ich Sie abschließend zu einer kleinen digitalen Auszeit einladen? Einfach mal für die nächste Stunde das Handy ausschalten und ungestört Zeit im Hier und Jetzt verbringen. Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei.

Foto: © icepreaw/shutterstock.com


Marco Fraleoni

„Was sind die Dinge, die wirklich glücklich machen? Wie funktioniert Lebensglück? Was gibt meinem Leben Sinn?“ Das sind Fragen, für die Marco Fraleoni schon seit Jahren brennt. Als Geschäftsführer des Bistumsverlages „Peregrinus GmbH“ verantwortet er unter anderem das Magazin „der pilger – Magazin für die Reise durchs Leben“. Die Mitarbeit an diesem inspirierenden Heft ist ihm ein Herzensanliegen. Seine Begeisterung für die Themen Achtsamkeit und Meditation lebt er als Lehrer in seinen Achtsamkeits- und MBSR-Kursen in Neustadt an der Weinstraße.

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