Wie kommen wir eigentlich zu guten Entscheidungen?
Damit ein Hocker stabil steht, braucht er braucht mindestens drei Beine. Beim Entscheiden funktioniert das ähnlich: Eine Entscheidung ist dann „gut aufgestellt“, wenn sie nicht nur auf einem Bein steht, sondern auf mehreren. Sie wird umso tragfähiger, je mehr alle Entscheidungskräfte zum Tragen kommen, die uns zur Verfügung stehen. Kopf, Bauch und Herz gehören dazu. Wie melden sich die drei Kräfte zu Wort und wie lassen sie sich verbinden, so dass wir zu guten Entscheidungen kommen?
Ein Traumteam: Kopf und Bauch
In Alltagsgesprächen und bei der geistlichen Begleitung habe ich viel mit Fragen zu Entscheidungen zu tun. Ich erlebe oft, dass Menschen sich von ihrer Unsicherheit bestimmen lassen – und dann in eine Unausgeglichenheit oder eine regelrechte Starre verfallen. Manche schieben Entscheidungen auf, weil sie sich nicht trauen, sie zu treffen. „Das Leben tritt auf der Stelle“, sage ich dann oft meinem Gegenüber. „Aber wie gelange ich denn zu einer guten Entscheidung?“ – die Frage höre ich dann immer wie ein Echo.
Auch ich kenne Wahlsituationen, in denen ich nicht weiter weiß. Einmal konnte ich mich wochenlang nicht entschließen, weil ich Angst vor den weitreichenden Konsequenzen hatte. Mal sprachen Argumente für diese und mein Bauchgefühl für jene Richtung. Und am nächsten Tag genau umgekehrt. Es war zum Verrücktwerden!
Hör auf deinen Bauch! Hör auf den Kopf! – Was nun?!
Wenn es um Entscheidungen geht, wird umgangssprachlich oft zwischen einem Kopf- und einem Bauchtyp unterschieden. Klar, das sind nur Bilder, denn niemand entscheidet ausschließlich aus dem „Bauch“ heraus oder nur mit dem „Kopf“. Doch viele haben in dem Miteinander von Fühlen und Denken ein Stand- und ein Spielbein.
Der spontan-emotionale Bauchtyp
Gerhard hat in seiner Firma ein großes Projekt übertragen bekommen und stellt nun eine Risiko-Folgen-Abschätzung zusammen. Genauer gesagt: Er sollte sie zusammenstellen. Doch er bekommt einen Anruf, ob er bei einem Konzert seiner alten Band mitmachen möchte. Das reizt ihn spontan. Begeistert stimmt er zu. In der Nacht wälzt er sich unruhig von einer Seite auf die andere: „Wie soll ich das bloß alles hinbekommen? In 14 Tagen muss ich das Paper abgeben! Und gleichzeitig soll ich drei Mal pro Woche für das Konzert proben …“ Wie schon so oft bereut Gerhard seine übereilte Zusage.
Wer wie dieser Mann zu einem spontan-emotionalen Verhalten neigt und sich leicht begeistern lässt, denkt nicht lange nach, sondern legt sich schnell fest. Dabei verlässt er sich auf sein situatives Gefühl. Damit kann er intuitiv richtig liegen. Doch der Schnellschuss kann auch gehörig daneben gehen. Wer offen für Neues ist und gerne spontan Dinge übernimmt, bugsiert sich dadurch öfters ins Chaos hinein.
Für emotionale Schnellentscheider liegt die Herausforderung darin, sich selbst zu verlangsamen. Denn nur dann haben Verstand und Herz die Chance, zum Zug zu kommen. Das sieht bei einem zweiten Charaktertyp schon ganz anders aus …
Der kontrolliert-rationale Kopftyp
„Wahnsinn, wie rational die Frau die Dinge betrachtet!“, staune ich. Je länger ich ihr zuhöre, umso mehr kommt mir das Bild von einem Kopf auf zwei Beinen. Brillant analysiert die Frau ihre Situation und die verschiedenen Handlungsalternativen samt ihrem Für und Wider. Doch gefragt, was sie bei den verschiedenen Möglichkeiten empfinde, kommt … nichts! Sie fühlt nichts! Der Zugang zu ihren Körperempfindungen und Gefühlen wirkt wie verschüttet.
Menschen mit einem rationalen Entscheidungsstil denken lange nach, ehe sie handeln. Sie wägen genau ab und investieren viel Zeit in die Planung künftiger Ereignisse. Müssen sie einen schnellen Entschluss treffen, macht sie dies unsicher und unzufrieden. Solche Personen können hervorragend analysieren und Strategien entwickeln! Doch es gelingt ihnen nur schwer, ihre Analyse mit ihren persönlichen Bedürfnissen und Zielen abzustimmen. Was sie angesichts von verschiedenen Entscheidungsalternativen empfinden, nehmen sie nur schwach wahr.
Wer das Gespür für sich selbst so wenig entwickelt hat wie die genannte Frau, tut sich schwer, stimmige Entscheidungen zu treffen. Denn sie schöpft nicht aus dem Erfahrungsreservoir, welches das Bauchgefühl zur Verfügung stellt. Erkenntnisse der Hirnforschung unterstreichen das: Gefühle und Körperempfindungen sind ein immenser Wissensspeicher auf dem Weg zu einer guten Entscheidung!
Das bedeutet: Je besser Kopf und Bauch miteinander kooperieren, umso tragfähiger werden unsere Entschlüsse! Denn beide – Kopf und Bauch – haben uns in Entscheidungssituationen etwas zu sagen. Die Kunst einer klugen Wahl besteht darin, dass wir die Stärken und Schwächen von Kopf und Bauch kennen und situationsgerecht einsetzen. Gelingt ihre Kooperation, ist ein Traumteam am Start!
Man wählt nur mit dem Herzen gut
Einfach mal so auf die Schnelle Kopf und Bauch miteinander abzustimmen, das ist gar nicht leicht! Das weiß ich selbst aus vielen Alltagssituationen: Da stehe ich vor mehreren Entscheidungsalternativen und die beiden ziehen mich in verschiedene Richtungen. Setzt sich jetzt zwangsläufig der Bauch auf Kosten des Kopfes durch oder umgekehrt? Oder gibt es eine moderierende Instanz, die abwägt, was von Kopf und Bauch an Impulsen daherkommt, und dann entscheidet?
Ja, wir Menschen haben eine Kraft in uns, die uns zu einer ganzheitlichen, ausgewogenen Wahl befähigt: das Herz!
Ähnlich wie bei der Rede von Kopf und Bauch ist mit dem Herz natürlich nicht das Organ gemeint, das in unserem Brustkorb schlägt. Es handelt sich um einen bildhaften Begriff, vertraut aus zahlreichen Redewendungen: Jemand ist nur mit halbem Herzen dabei. Liebeskummer kann einem das Herz brechen. Oder: Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. Es gibt Herzenswünsche, Herzenskälte und Herzensfreundschaften …
Die Mitte der Person
Das Herz steht für die Mitte unserer Person. Es befähigt uns zu einer ganzheitlichen Wahl. In ihm laufen alle Fäden zusammen – Gedanken und Gefühle, Empfindungen und Impulse. Im Herz können wir die Signale von Kopf und Bauch erwägen. Und wir nehmen wahr, welche Entscheidungsoption stimmig ist. Ob sie also zu uns als Person passt oder nicht. Denn entweder gibt das Herz mittels seiner Resonanz seine Zustimmung zu einem konkreten Vorhaben – dann stellt sich ein innerer Frieden ein. Oder eine bleibende Unruhe weist darauf hin, dass etwas (noch) nicht stimmt.
Stellt sich ein innerer Frieden ein? Oder bleibt eine latente Unruhe? Dieses Kriterium steht im Zentrum der Kunst, eine gute Entscheidung zu treffen! Denn der innere Friede betrifft den ganzen Menschen. Hierzu ließe sich sehr viel Interessantes entfalten – gerade auch aus spiritueller Sicht. Doch ich möchte nur kurz erzählen, welche Kriterien mir – inspiriert von dem Jesuiten Josef Maureder – persönlich wichtig sind, um mit ganzem Herzen eine Entscheidung treffen zu können.
Welche Option führt wohin?
Stehe ich vor einer Wahl und wäge zwischen den verschiedenen Handlungsmöglichkeiten ab, dann spielen für mich vier Fs eine wichtige Rolle: Welche Option führt mich mehr (1) zu einem inneren Frieden? Mehr (2) zu einer echten Freude (diese meint nicht, als ständig lächelnder Smiley durch die Welt zu laufen, sondern eine Heiterkeit, die auch Tränen kennt)? (3) Zu einer inneren Freiheit? Und (4) zu einer wachsenden Freundschaft mit mir und mit anderen?
Auf den Punkt gebracht: Entscheidungen gelingen, wenn ich Kopf und Bauch zu Wort kommen lasse und dann auf mein Herz höre: Welche Alternative weckt mehr inneren Frieden, Freude, Freiheit und Freundschaft mit mir und anderen.
Eine gute Entscheidung ist kein Glücksspiel, sondern eine Kunst! Ihr Alltag bietet das ideale Trainingslager, um diese Kunst einzuüben und zu vertiefen. Und in Ihnen sind viele Kräfte, welche Ihnen eine tragfähige, ganzheitliche Entscheidung ermöglichen. Sie sind reich begabt!
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Bearbeiteter Auszug aus dem Buch:
Melanie Wolfers, Entscheide dich und lebe!
Die Kunst, eine kluge Wahl zu treffen,
bene! Verlag 2020, 72–92