Was ich mir von meiner Kirche wünsche
Ab und an frage ich mich, wann unser Glaube vom Hand-Werk zum Kopf-Werk wurde. Und wann der Moment war, als das Kopf-Werk sich selbstständig machte, mehr Geist-Werk und freischwebend und schließlich abgehoben und ohne Bodenhaftung unterwegs war. Vielleicht irre ich mich damit ja auch, aber so manche Diskussion erscheint mir zwar in der internen Logik des Elfenbeinturms geschlossen – aber ohne jede Relevanz für Mensch und Gesellschaft.
Glaubwürdigkeit hat mit Würde zu tun
Jesus war Handwerker. Er konnte sicher auch reden und war ein kluger Kopf – aber zunächst einmal war er Handwerker. Es spricht also einiges dafür, dass eine gewisse „Erdung“ in der DNA des Christentums stecken müsste. Leider sprechen unsere goldglänzenden Bauten und quasi-höfischen Zeremonien da eine ganz andere Sprache. Ausgerechnet die mehr oder minder säkulare Mitwelt hat einen feinen Sensus dafür, dass da etwas nicht zusammenpasst: Wenn goldene Badewannen ins Spiel kommen, ist der freie Fall der Institution, die für sich proklamiert, Fürsprecherin der Armen und Bedürftigen zu sein, nicht mehr aufzuhalten. Glaubwürdigkeit hat eben mit Würde zu tun, mit Werten und Achtung derselben. Mit Bodenhaftung. Mit Handwerk.
Ich bedauere sehr, dass meine Kirche nach wie vor nicht versteht: Auch in der Post-Badewannen-Ära von Kirche in Deutschland sind die Details, die erst zur Glaubwürdigkeitskrise führten, längst nicht behoben. Sie werden gerne beiseite gewischt oder gegen die großen Fragen, die sogenannten „heißen Eisen“ wie etwa die Öffnung des Priestertums für Frauen, ausgespielt. Dabei steckt die eigentliche Arbeit eben in den Details. Handwerk lebt von der professionellen Detailtreue.
Glaube als Kraftquelle
Das Christentum stand und steht für ein Menschenbild, das ich nach wie vor für vorbildhaft halte: Personalität, Solidarität, Subsidiarität sollen als Prinzipien des Miteinanders dafür sorgen, dass jedem Menschen als Ebenbild Gottes Würde zugesprochen wird.
Jeder Mensch ist wertvoll. In jedem Menschen blitzt Gott auf.
In der Konsequenz ist alles zu tun, um menschenwürdiges Leben zu ermöglichen: Armut bekämpfen, Krankheiten lindern, Frieden möglich machen.
Unsere Kraftquelle dafür ist der Glaube an einen Gott, der es genauso gemacht hat. Unsere Kraftquelle, um Seinem Auftrag gerecht zu werden, sind die Verinnerlichung und Erinnerung an Jesus, den Gott mit menschlichem Gesicht. Dieses Verinnerlichen und Erinnern ist – im eigentlichen und ursprünglichen Sinn – Gottesdienst.
Gottesdienste als Kraftquelle
Gottesdiente zu feiern ist also nicht unsere primäre Aufgabe, sondern unsere Kraftquelle, die es uns erst möglich macht, unsere Aufgabe, unseren Dienst zu erfüllen. Sie sind kein Selbstzweck. Die Aufgaben liegen im Sehen und Lindern von Not, und ergänzend in der kontinuierlichen Selbstreflexion: Gelingt mir, gelingt uns das gerade? Wo lässt sich Augenhöhe herstellen, indem ich mich klein mache? Wo ist sie dadurch herzustellen, dass das Gegenüber groß gemacht wird? Wo entbehren Situationen der Würde? Wie können wir Sorge dafür tragen, dass das aufhört?
Wünsche an meine Kirche
In der Umsetzung schätze ich Professionalität. Handwerk kommt nicht ohne aus. Konkret würde ich mir wünschen, dass Kirchenräume wirklich Begegnungsorte sind: Dass sie barrierefrei gestaltet sind. Dass man dort einen Kaffee und ein offenes Ohr findet. Dass dort Kinder spielen können und im Winter ein wärmender Raum für Wohnungslose zur Verfügung steht. Ich würde mir wünschen, dass „Ordinariate“ und „Generalvikariate“ „Servicesstellen“ heißen und auch so arbeiten: Dass sie Co-Working-Spaces zur Verfügung stellen, um mehr Miteinander zu ermöglichen. Dass aus hochherrschaftlichen Anwesen Kreativzonen werden. Dass man Titel an der Tür ablegt und statt dessen – wenn überhaupt – funktionale Bezeichnungen verwendet, die klar machen, welche Dienstleistung der-/diejenige für die Kirche und ihr Gegenüber erbringen kann.
Ich wünsche mir, dass wir nicht mehr feiern, wenn Nicht-Geweihte („Laien“ sage ich bewusst nicht. Apropos Professionalität.) Leitungsaufgaben übernehmen, sondern dass wir feiern, wenn es uns gelingt, das als Prinzip im Unternehmen Kirche zu etablieren. Ich wünsche mir, dass Seelsorge nicht mehr in muffigen Besprechungszimmern von Pfarrbüros stattfindet, sondern in schönen, hellen Räumen mit Wohnzimmercharakter, an Krankenbetten, im Abholbereich der Kitas, in der Schule, auf dem Marktplatz. Nur mal zuhören.
Was sonst noch alles so geändert werden sollte …
Ich wünsche mir, dass wir Friedhofcafés betreiben, weil Trostspenden ein Dienst ist. Dass wir miteinander – auch und gerade im Kirchen-Verwaltungsbereich – so umgehen, dass unsere Werte als vorbildhaft gelten: Dass wir Vorschläge von Mitarbeiter:innen aller Ebenen Beachtung schenken. Dass der Abbau von Hierarchie so weit geht, dass ein „Kommunitäts-Du“ möglich wird, das sich gegen die Hinterzimmergespräche durchsetzt („Schwestern und Brüder“ statt „Mitbrüder“).
Dass wir nicht nur Bewahrung der Schöpfung predigen, sondern in allen Bezügen ökologisch verantwortbar handeln. Dass wir mit unserem Vermögen so umgehen, dass darin ein Dienen zum Ausdruck kommt. Das reicht von Investitionen in sozial engagierte oder ökologisch ausgerichtete Unternehmen bis zu Kleinkrediten für die Verlierer:innen der Coronakrise. Wenn wir unsere Kirchräume nicht mehr brauchen, weil sich hier nicht mehr so viele Menschen zum Gottesdienst versammelt: Was hindert uns, sie zu großartigen Wohnprojekten werden zu lassen, generationenübergreifend, inklusiv …? Wäre das nicht im besten Sinn „Gottes – Dienst“?
Ich wünsche mir, dass meine Kirche sich darüber den Kopf zerbricht. Dass sie ihr Handwerk neu lernt.