Raul Krauthausen Inklusion

Zusammenleben  

Die gläserne Decke der Inklusion

Warum es keine warmen Worte braucht – sondern Taten

Inklusion finden alle gut. Die Versprechen jedenfalls sind grenzenlos – bis sie an eine gläserne Decke stoßen: Wenn es nämlich konkret wird, wenn das Recht auf Teilhabe hier und dort Taten statt warmer Worte einfordert, dann geraten Menschen mit Behinderung an eine mit Tarnfarbe bestrichene Grenze.

Eine Bewerbung um einen Posten bei einer Zeitung? „Wir besprechen die technischen Möglichkeiten in der Redaktion.“ Ein angeblich barrierefreier Bahnhof ist es seit Wochen nicht mehr? „Vielen Dank für den Hinweis.“ Ein Videokanal von, mit und für behinderte Menschen wird abgesetzt? „Wir wollen in Zukunft mehr Menschen mit Behinderung in andere Formate integrieren.“

Den Antworten folgt dann – nichts. Wird die Umsetzung des Menschenrechts auf Inklusion handfest, wird dann plötzlich so getan, als wäre Behinderung ein neues Phänomen.

Diese gläsernen Decken sind stete Wegmarken. Dann kommt man nicht weiter in der Karriere, bei Gesetzgebung, Teilhabe und Barrierefreiheit. Die Tatsache, dass wir uns heutzutage so viel über Inklusion unterhalten, liegt schlicht daran, dass sie immer noch kein Alltag, sondern nur ein „Danke für den Hinweis” ist.

Die vorherrschende Erwartung ist oft, dass man wenig erwartet

Diese Grenzen kennen auch andere Bevölkerungsgruppen. Der Begriff der gläsernen Decken wird meist benutzt, um die berufliche Benachteiligung von Frauen zu beschreiben. Eine Studie von McKinsey hat herausgefunden, dass diese mitunter von vorherrschenden Erwartungen geprägt wird, die sich an dem Modell eines Mannes orientieren würden, dessen Frau die Verantwortung für Haushalt und Familie trage.

Vorherrschende Erwartungen an behinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind oft, dass man wenig erwartet. Und die Arbeitgeberinnen, die sich überlegen, welcher Arbeitsplatz für diesen oder jenen Menschen geeignet ist, sind in Deutschland mit der Lupe zu suchen; hierzulande ist noch immer die Norm, dass der Mensch zum Arbeitsplatz zu passen habe. McKinsey stellte ferner fest, dass es an weiblichen Rollenbildern fehle und einer Änderung der Kriterien für Beförderungen bedürfe. Kommt das bekannt vor?

Es nützt ja nichts, wer soll es sonst anstellen?

Das System der gläsernen Decken setzt auf Beharrungskräfte. Was schon immer so gemacht wurde, erscheint richtig. Bei der Besetzung wichtiger Posten sucht man nach seinesgleichen – das beruhigt. Gegen diese Macht der Gewohnheit hat Inklusion einen schweren Stand. Sie zeigt sich nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern überall.

Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Es nützt ja nichts, wer soll es sonst anstellen? Es braucht engagierte, inklusive Berichterstattung aus der Sicht der Betroffenen. Gläserne Decken sind farblos. Strahlen wie sie also an und leuchten sie aus.

Foto: © Anna Spindelndreier Fotografie / gesellschaftsbilder.de
Der Original-Text ist im Magazin Rollstuhl-Kurier erschienen:
www.rollstuhl-kurier.de/2020/03/13/kolumne-die-glaeserne-decke-der-inklusion


Raúl Krauthausen

Als Inklusions-Aktivist und Gründer der SOZIALHELDEN, studierter Kommunikationswirt und Design Thinker arbeitet Raul Krauthausen seit über 15 Jahren in der Internet- und Medienwelt. Seit 2011 ist er Ashoka Fellow und engagiert sich bei den SOZIALHELDEN. Neben dem klassischen Projektmanagement und strategischen Aufgaben, die er inne hat, vertritt er die SOZIALHELDEN-Projekte und deren Vision nach Außen. 2013 wurde Raul Krauthausen mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet und im Januar 2014 veröffentlichte er seine Biographie „Dachdecker wollte ich eh nicht werden – Das Leben aus der Rollstuhlperspektive“. Seit 2015 moderiert er mit „KRAUTHAUSEN – face to face“ seine eigene Talksendung zu den Themen Kultur und Inklusion auf Sport1. www.raul.de

Foto: © Anna Spindelndreier Fotografie

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