„Mahlze!t LU“ – eine warme Mahlzeit, jeden Tag
Am 6. April 2020 startete „Mahlzei!t LU“. Das Heinrich Pesch Haus, selbst von der Corona-Krise stark betroffen und geschlossen, folgte seinem ureigenen Auftrag als christliche Institution und nutzte die Küche des angeschlossenen Hotels kurzerhand zur Zubereitung eines warmen Mittagessens, welches kostenlos an bedürftige Menschen ausgegeben wird. Bislang wurden insgesamt mehr als 30.000 Mahlzeiten ausgegeben, täglich sind es durchschnittlich 100. Entscheidend für den Erfolg der Aktion war auch die verlässliche und freundliche Präsenz von Ehrenamtlichen bei der Ausgabe der Mahlzeiten vor allem an den Wochenenden und Feiertagen. Barabara Guarjardo Toro und Stefan Angert waren von Anfang an dabei und berichten im Gespräch mit Tobias Zimmermann SJ, dem Direktor des Heinrich Pesch Hauses, von ihren Erfahrungen und den Auswirkungen der Pandemie auf bedürftige Menschen.
Tobias Zimmermann SJ: Wer nutzt das Angebot von „Mahlze!t LU“?
Stefan Angert: Es kommen Menschen, die schon länger in Not sind ebenso wie Menschen, denen man die Notlage nicht ansieht. Viele der Menschen kommen aus den ärmeren Stadtvierteln rings um das Heinrich Pesch Haus. Einige nehmen aber auch deutlich längere Wege auf sich, um eine warme Mahlzeit zu bekommen. Und sonntags kommen immer besonders viele Menschen. Vermutlich, weil es in Ludwigshafen am Sonntag sonst kein Angebot gibt. Viele Leute sind von Anfang an dabei. Irgendwann im letzten Sommer und Herbst kamen dann immer wieder neue – wenn so eine Extremsituation wie die Pandemie länger andauert, kommt irgendwann der Punkt, an dem manche nicht mehr können und dann zu einem Angebot wie “Mahlze!t LU” kommen.
Barbara Guajardo Toro: Es hat mich sehr erschüttert, dass Menschen 50 km fahren, um Essen zu besorgen. Menschen müssen gucken, wo sie etwas bekommen.
Tobias Zimmermann SJ: Wir sind froh, da ohne Bürokratie und Nachweise der Bedürftigkeit helfen zu können, gerade auch den Menschen, bei denen das Polster geschmolzen ist.
Barbara Guajardo Toro: Auch jetzt kommen immer wieder neue Leute. Es erschreckt mich gerade, dass die Leute immer jünger werden, junge Erwachsene um die 40, die haben einfach nichts mehr.
Stefan Angert: Für uns gilt, nicht zu urteilen, ob jemand „Mahlze!t LU“ braucht oder nicht. Jeder könnte in so eine Situation kommen und wir wären dann auch froh, so ein Angebot nutzen zu können.
Tobias Zimmermann SJ: Was macht Corona mit diesen Menschen? Was bedeutet die Pandemie für bedürftige Menschen?
Stefan Angert: Wir haben beobachtet, wie sich etliche Personen verändert haben. Manche Leute sind noch einmal eine Stufe heruntergegangen, rein vom Aussehen her. Das ist bedrückend zu sehen. Man macht sich dann Gedanken, wo die Leute jetzt stehen. Das ist nicht einfach,
Barbara Guajardo Toro: Drei der regelmäßigen Besucher sind inzwischen verstorben. Aber Corona ist nicht der Faktor für die Situation der Leute, Corona hat die Situation verschärft und zwar drastisch verschärft. Wir können mit der Essensausgabe nur einen Teil abfangen. Ein Beispiel: Als es im letzten Sommer heiß wurde, konnten sich die Menschen zum Teil kein Trinkwasser besorgen. Wir hatten Situationen, wo Menschen beinahe kollabiert wären.
Stefan Angert: Neben der Essensausgabe sind ja auch andere Angebote für Menschen, die nicht gut versorgt sind, in der Pandemie ausgeblieben. Die Stadtbücherei war geschlossen, dort lesen viele die Zeitung, können ihr Handy laden, Trinkwasser abfüllen oder die sanitären Anlagen nutzen. All das ist während Corona weggebrochen. Die Essensausgabe ist für viele zum Treffpunkt geworden. Gerade für diese Gruppe Menschen ist ein Austausch von Informationen, wo es welche Angebote gibt, wichtig.
Tobias Zimmermann SJ: Was hat Sie bewogen, am Wochenende die Essensausgabe zu übernehmen?
Stefan Angert: Ich habe den Aufruf in der Pfarrei-Info gelesen. Da stand für mich schnell fest, dass ich mich engagiere. So eine Essensausgabe wurde gebraucht. Gut, dass Kirche sieht, wo Hilfe von Nöten ist und wo Kirche präsent und für die Menschen da sein muss.
Barbara Guajardo Toro: Bei mir war es eine E-Mail des Dekans. Da war sofort klar, dass ich mithelfe. Es ist für mich fast wie eine Ehre, bei “Mahlze!t LU“ mitmachen zu können. Das ist ein Angebot ohne lange Wege, vollkommen unbürokratisch – genau das ist mein Anspruch an Kirche: Jetzt vor Ort präsent zu sein, nah bei den Menschen.
Tobias Zimmermann SJ: Wie erleben Sie die Essensausgabe?
Stefan Angert: Ich freue mich auf die Dienste. Man kommt mit den Leuten ins Gespräch, wenn sie es wollen. Die Leute sind nett und dankbar. Ton und Ansprache sind meist in Ordnung, wir sprechen auf Augenhöhe miteinander. Auch mit den Köchen haben wir ein gutes Verhältnis. Es ist eine schöne Atmosphäre, es hat sich eine Gemeinschaft gebildet.
Barbara Guajardo Toro: Viele schätzen bei „Mahlze!t LU“ das Angenommensein, das Gesprächsangebot. Da ist Solidarität, man fühlt sich zugehörig, da ist Gemeinschaft entstanden. Und ganz oft bekomme ich Gottes Segen ausgesprochen.
Nach einer Sommerpause hat “Mahlze!t LU” Mitte Oktober 2021 wieder seine Türen geöffnet. Jedes Wochenende erhalten Bedürftige jetzt wieder eine kostenlose Mahlzeit – immer frisch gekocht, kostenlos und ohne Nachweis der Bedürftigkeit. Für „Mahlzei!t LU“ werden pro Quartal 25.000 Euro benötigt– die bislang ausschließlich durch Spenden finanziert wurden.
Tobias Zimmermann SJ: Mich hat sehr bewegt, wie viele Menschen, Vereine und Gemeinden uns unterstützen. Denn „Mahlze!t LU“ ist ausschließlich über Spenden finanziert Und ohne Sie als Ehrenamtliche hätten wir die Aktion nicht stemmen können.
Barbara Guajardo Toro: Wir Helfer sind eine Gemeinschaft geworden. Vergessen Sie nicht die vielen Leute im Hintergrund, die ebenfalls helfen. Da sind Mützen, Schals und Strümpfe gehäkelt worden, Obst und Nikoläuse für Weihnachten gekauft oder über 1.000 Gläser Marmelade gekocht worden.
Tobias Zimmermann SJ: Ich habe den Eindruck, da ist so etwas wie eine neue Form, Gemeinde zu leben, entstanden.
Stefan Angert: Ja, genau, die Essensausgabe war mein Gottesdienst. Die Arbeit erfüllt mich total. Das ist genau das, was angesagt ist, was Kirche ist.
Tobias Zimmermann SJ: Was wünschen Sie sich für die Menschen, die zu „Mahlze!t LU“ kommen?
Barbara Guajardo Toro: In Ludwigshafen fehlt eine Einrichtung, wo sich Menschen tagsüber aufhalten und informieren können. Mein Traum ist ein Café, wo Menschen einfach hinkommen können. Man muss ihnen Perspektiven schaffen, denn es sind nicht nur die Finanzen, sondern auch die emotionale Seite, die Gesundheit.
Stefan Angert: Wichtig ist, die Menschen zu informieren, wo es welche Angebote gibt. Von Kirche würde ich mir wünschen, dass sie – genau wie hier – die Bedürfnisse der Menschen sieht und aktiv wird. Die Kirche muss die Heiligen Hallen verlassen und dahin gehen, wo Bedarf ist. Das ist gelebtes Christentum.
Mahlze!t LU ist ein Projekt des Heinrich Pesch Hauses in Ludwigshafen am Rhein.
Dokumentation: Dr. Anette Konrad
Das Interview führte Tobias Zimmermann.