Sinn  

Die christliche Fastenzeit und die Moden des Fastens

Was Fasten wirklich bedeutet

»Dry January« oder der Trend des »Minimalismus«: Fasten und Verzicht sind Modephänomene geworden. Erlebt mit ihnen die christliche Fastenzeit einen neuen Boom? Nicht ganz, denn es gibt einen großen Unterschied. Frank Berzbach wirft darauf einen näheren Blick.

Läuft man durch die Fußgängerzonen der Großstädte, dann fallen einem zunehmend Süßigkeitenläden auf, die voller Fässer mit Billignascherei stehen. Mit einer Schaufel kann man gleich Kiloweise neonfarbene Ware kaufen. Wir leben in einer maßlosen Zeit, alles steht 24/7 zur Verfügung, egal ob Junkfoot oder Kurzvideos.

Dem entgegen entsteht der Trend, zu fasten. Ob »Dry January« oder die Fastenzeit nach alkoholisiertem Karneval, ähnlich wie beim Trend des »Minimalismus« werden religiöse Traditionen profanisiert, öffentlich zelebriert und auf diffuse Weise mit dem Wort »spirituell« geadelt. Es geht durchaus um Klicks und Applaus für den temporären Verzicht. Warum einer Diät für die Idealfigur nicht einen tieferen Anstrich geben?

Das christliche Fasten kann als Beleg dafür fungieren, dass man den Glauben ernst meint, ihn »praktiziert«. Sich in eine Tradition zu stellen, verleiht durchaus Kraft. Man nimmt sich eine Zeit lang zurück um wieder Herr im eigenen Haus zu werden, um nicht immer stärker Gewohnheiten und Alltagssüchten zu erliegen. Man folgt selbst erfundenen Regeln und macht die Erfahrung, dass man fähig ist, diese einzuhalten. Im Unterschied zu den weltlichen Fastenmoden ist aber die christliche Fastenzeit nicht auf Öffentlichkeit aus.

Bei den Wüstenvätern kann man nachlesen, dass man das Fasten nicht vor sich hertragen soll; Fasten ist eine stille Angelegenheit. Der Ehrgeiz, der nicht dem eigenen Ego gelten soll, darf nicht so weit gehen, dass man angebotene Speisen ablehnt mit Hinweis auf die persönliche Askese. Konkret: Auch in der Fastenzeit isst man, wenn man es angeboten bekommt, ein Stück Kuchen, um danach konsequent wieder zum Fasten zurückzukehren.

Wie für das Beten zieht man sich auch für das Fasten zurück. Es sei denn, so war es ursprünglich gedacht, man befindet sich innerhalb einer Gemeinde, die zusammen fastet. In Zeiten der Individualisierung wird das allerdings die Ausnahme sein. Die Kraft der Gemeinschaft wird dabei tendenziell unterschätzt.

Viel schwieriger als der Verzicht auf bunte Zimtschnecken

Das religiöse Fasten verlangt also viel: Es ist eine Übung der Selbstdisziplin, die verborgen bleiben sollte; es bedarf des Ehrgeizes, der uns aber keine sozialen Pluspunkte bringt; der Lohn der Fastendisziplin wird uns nicht von anderen Menschen gegeben, sondern liegt vielleicht außerhalb unseres Lebens. Das es positive Nebeneffekte geben kann, steht nicht im Vordergrund. Wer fastet muss nach innen diszipliniert und nach außen locker sein, das ist viel schwieriger wie der Verzicht auf bunte Zimtschnecken. Fasten ist also für Christen keine Praxis, die nur den eisernen Willen trainiert.  

Still und beinah unbemerkt ambitioniert zu sein, als Buße, zur Konzentration, als Einkehr und vor allem für Gott zu fasten, dies ist herausfordernder als »demonstratives Fasten«. In der Fastenzeit soll man, so schreibt Anselm Grün in einem Klosterbüchlein über das Fasten, auch auf düstere oder klagende Gedanken eine Zeit lang verzichten. Es geht hier gar nicht nur ums Essen. Man kann Verhaltensweisen fasten (Shoppen, destruktive Handlungen, Süchte), man kann auf Alkohol oder, klassisch, auf Fleisch verzichten und auch ohne soziale Netzwerke geht das Leben weiter – vielleicht sogar besser.

Im Hinblick auf den Fleischkonsum sollte dem Christen generell kurz die Frage ins Gedächtnis kommen, warum er das Leiden fühlender Wesen erzeugt, als hätte Albert Schweizer über die Ehrfurcht vor der Kreatur nie nachgedacht. Aber wie im Hinblick auf das Fasten generell ist das bürgerliche Christentum eher beliebig geworden.

Fasten im »Alleingang«?

Es stellt sich die Frage, wie die Kirche die Zeit des stillen Verzichts begleitet. Sie kann das Fasten einerseits nicht permanent thematisieren und damit an eine Öffentlichkeit zerren, andererseits wäre Ermutigung durchaus ihr Anliegen. Bisher werden die Fastenden schon allein deshalb allein gelassen, weil niemand den Mut hat, konkrete Fastenregeln vorzuschlagen. Wie auch im weltlichen ist das christliche Fasten der Beliebigkeit überlassen, es wird individualistisch angepasst an die subjektiven Wünsche. Damit verzichtet die Kirche auch darauf, dass sich die Gemeinde im Fasten verbunden fühlt. Jeder folgt, wenn überhaupt, anderen Regeln.

Aber warum haben die Kirchen keinen Mut einmal auszuformulieren, worin das christliche Fasten besteht, welche Regeln hier gelten? Jeder Moslem kann sich in der Fastenzeit verbunden fühlen mit den Mitgläubigen, alle folgen den gleichen Regeln und erzeugen so eine Verbindung. Auch die jüdischen Ernährungsregeln sind den subjektiven Vorlieben entzogen. Die Chance gemeinsamer Regeln liegt darin, dass sie eine Verbindung zwischen den Praktizierenden herstellt, sie Stärkt und so die Disziplin fördert.

Hyperindividualismus

Zum Moment der Askese tritt die Kraft der Gemeinschaft hinzu. Dafür würden schon einige Regeln genügen, die alle 40 Tage lang einhalten? Ist man Christ, um sich ähnlich wie Atheisten einem Hyperindividualismus hinzugeben und auf das Verbindende zu verzichten? Während also das Bedürfnis zu Fasten steigt, senkt die Kirche ihre Ansprüche – das will nicht recht zusammen passen.

Vielleicht ist die anstehende Fastenzeit auch für die Kirche ein Grund, sich auf die umfassenderen Aspekte zu besinnen. Niemand muss Fasten, aber wenn er es tut, jenseits nur weltlicher Moden, hat es einfacher, wenn er einer Form folgt, die sein Ego übersteigt, die aus einer Tradition hervorgeht, der ich mich in Demut anschließen kann. Ich erfinde weder die Gebete selbst noch die Form der Heiligen Messe. Aber nur noch die Länge der Fastenzeit als Regel zu kommunizieren, ist schwach. Auch wer im Stillen fastet, wäre bestärkt und ermutigt, wenn er wüsste – er ist damit nicht nur allein.    

Foto: © Westend61/photocase.com


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