Warum die Fastenzeit ein guter Anlass ist, sich zu fragen:
Was brauche ich für ein gutes Leben?
Grundsätzlich neigt der Mensch dazu, sein Verhalten zu legitimieren und sich von seinem schlechten Gewissen freizukaufen. Sei es mit fairer Kleidung, die – so die Argumentation – bedenkenlos gekauft werden kann, weil sie fair hergestellt wurde. Oder der Griff zu Produkten in Plastikverpackungen, die im Recyclingkreislauf landen, so die Entschuldigung. Selbst Erneuerbare Energien werden von dieser Denkweise vereinnahmt, müssen herhalten als Begründung für zusätzlichen Konsum. Dabei wird immer offensichtlicher, dass das Niveau, auf dem wir konsumieren und produzieren, nicht gehalten werden kann und darf, sondern ein sparsamer und bedachter Umgang mit den Ressourcen das Ziel sein muss.
Bei allem, was wir kaufen, werden Rohstoffe benötigt, alle Produkte, die wir besitzen, angefangen von der Seife über den Pullover bis hin zu den Wänden im Eigenheim, gehen auf Kosten der Natur. Der Sozialpsychologe Harald Welzer führt in seinem Buch „Selbstdenken“ anschaulich vor, wie viele umweltschädliche Produkte auf den Markt gelangen, ohne dass es dafür einen guten Grund gibt.
Ein bekanntes Beispiel ist eine Kaffeemaschine. Wer kennt sie nicht: die Werbung mit dem attraktiven George Clooney? Es wird für eine Kaffeemaschine geworben, die mit Kaffeekapseln funktioniert, deren Verpackung aus Aluminium hergestellt wird. Der Kilopreis für den Kaffee ist astronomisch hoch. Die Produzenten werben damit, den Käufer mit einem höchst aromatischen, qualitativ hochwertigen Kaffee zu verwöhnen, der dazu noch schnell zubereitet werden kann. Die „Sinnlichkeit“ des Produktes wird in den Vordergrund gestellt, wie stark mit den Aluminium-Kapseln die Umwelt belastet wird, erfährt der Käufer und Konsument nicht. Als die Kunden aufgrund der ökologisch fragwürdigen Verpackung aufbegehrten, wurde eine umweltfreundlichere Variante „erfunden“. Harald Welzer dazu: „Schwupps konnte ein Produkt als umweltfreundlich gelten, das es vor Kurzem noch gar nicht gab und das ausschließlich aufgrund seiner Inexistenz umweltfreundlich war.“
Ein Werbespot für ein Leben im Verzicht
Wir hinterfragen zu wenig die Sinnhaftigkeit von Produkten – und setzen uns nicht wirklich gedanklich damit auseinander, was wir wirklich brauchen, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen. Zum Beispiel hegt wahrscheinlich jeder ab und zu einmal den Wunsch, sich mehr zu bewegen. Dann entschließt man sich, mit dem Joggen zu beginnen. Vor dem ersten Lauf steht ein Besuch in einem Sportgeschäft oder eine intensive Internetrecherche. Wieso ist es schwer, einfach nur loszulaufen? Ohne besonderes Lifestyle-Outfit, sondern lediglich nur um des Laufens willens. Was ist die Intention: Geht es um die Bewegung oder doch um die Absicht, durch die Kleidung etwas darzustellen? Etwas zu sein, das man vielleicht gar nicht ist? Wieso brauche ich so viele Dinge, wieso lege ich so viel Wert auf das Äußere?
Wieso gibt es eigentlich keinen Werbespot für ein glückliches Leben ohne Konsum?
Stellen Sie sich vor, wie George Clooney über eine Wiese läuft, lacht, seine Füße im kalten Wasser des Baches kühlt und am Ende des Tages entspannt mit Freunden an einem Baum lehnt und mit ihnen gemeinsam den Sonnenuntergang genießt. Ist das nicht ein wünschenswerter Zustand? Zugegeben, das könnte auch der Vorspann für eine Auto-Werbung sein, wie man sie im Fernsehen sieht. Aber in diesem Werbespot gibt es eben kein Auto. Es ist nur Werbung für das Leben, in seiner ganzen Einfachheit, aber auch in seiner ganzen Schönheit – ausgeben muss man dafür keinen Cent, man muss noch nicht einmal auf etwas verzichten. Verzicht hat viel damit zu tun, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, damit auch zu erkennen, wo die eigenen Schwachstellen liegen, und einen Weg zu finden, diese zu akzeptieren.
Lesen Sie hier Teil 1 des Textes:
Warum Verzicht das Leben bereichern kann – nicht nur in der Fastenzeit
Den Zauber des Lebens erkennen
Haben Sie auch ein Bild vor Augen, das für Sie perfekt ist, in all seiner Schlichtheit? Das kann die Bergtour sein, die Aussicht von der Bergspitze auf die umliegenden Berge und Täler. Die großartige Landschaft, die sprachlos macht. Das können die ersten Erdbeeren im Jahr sein, die das ganze Haus mit ihrem Duft erfüllen. Das kann ein Regenbogen sein, der wie durch Zauberhand am Himmel erscheint. Das kann ein echtes Lachen sein, ungehemmt und frei.
Zufriedenheit, das Bewusstsein, mit sich im Reinen zu sein, in seinem Leben einen Sinn zu sehen, kann nicht erkauft und nicht durch die Anhäufung von Konsumgütern erreicht werden.
Der Wirtschaftswissenschaftler Niko Paech betrachtet die Thematik in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen. Nachhaltige Entwicklung könne nur eine Kunst des Verzichts sein, ist er überzeugt. Deshalb zielt die von ihm propagierte Postwachstumsökonomie darauf ab, die Vorstellung von einem unendlichen Wirtschaftswachstum zu überwinden. Ein solches Wirtschaften beute die Natur aus, gehe zu Lasten zukünftiger Generationen und bedrohe die Schöpfung. Paech sieht den Menschen auf Gemeinschaft hin ausgerichtet und beschreibt in seinen Publikationen und Vorträgen die Vision von einem gesellschaftlichen Zusammenleben, bei dem die Menschen nicht mehr 40 oder 50 Stunden pro Woche arbeiten, sondern sehr viel weniger.
Das ist keine Einladung zum Faulenzen, sondern es geht um Zeit für eine andere Art von Arbeit – um Nachbarschaftshilfe, um Aufgaben für die Gemeinschaft, um Leistungen in Tauschringen, um mehr Selbstversorgung, wo immer möglich. Paech setzt sich ein für eine Wirtschaft mit „menschlichem Maß“, die sich wieder auf die Region konzentriert, für eine „Ökonomie der Nähe“. Er setzt auf die Verbreitung eines neuen Verständnisses von Wohlstand, einen Konsum, der nicht orientierungslos macht. Einer seiner Kerngedanken: „Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht.“ Es gibt genügend Kritiker an solchen Überlegungen, doch neue Denkansätze werden dringend benötigt zur Gestaltung einer guten Zukunft.
Unser Wohlstand hat einen hohen Preis
Wir haben Grenzen überschritten, wenn man den Zustand der Welt betrachtet. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst schickte im Dezember vergangenen Jahres von der Internationalen Raumstation ISS eine Botschaft an seine potenziellen Enkel und entschuldigte sich dafür, dass es „momentan so aussieht, als ob wir euch den Planeten in keinem guten Zustand hinterlassen. Ich hoffe sehr für euch, dass wir noch die Kurve kriegen und ein paar Dinge verbessern können“, sagte Alexander Gerst, der mit seinem besonderen Blick auf den blauen Planeten die Schönheit ebenso wie die menschengemachte Zerstörung beobachten konnte.
Die Fastenzeit ist ein guter Anlass, uns zu fragen: Was brauche ich für ein gutes Leben, welche Verantwortung habe ich ganz persönlich? Lassen wir uns ein auf den Zauber des Einfachen, den Verzicht, der uns reicher macht, der uns Freiheit und Zufriedenheit schenkt.
Der Text erschien erstmals in „der pilger- Magazin für die Reise durchs Leben“.
Fotos: © Stefan Weigand