Nick Cave and the bad seeds

Versöhnung  

Der wilde Gott des Rock

Nick Cave als christlicher Musiker

Mit »Wild God« hat der Rockmusiker Nick Cave gemeinsam mit seiner Band »The Bad Seeds« ein großartiges Album geschaffen. Nicht nur musikalisch ist das Werk ein Meilenstein – auch die Texte stechen hervor: In Songs geht es expliziter um Gott als jemals zuvor auf den 20 Vorgängeralben. Frank Berzbach hat sich seit Jahren der Musik und der Lyrik von Nick Cave verschrieben. Hier geht er dem neuen Album tiefer auf den Grund.

Nick Cave, so hat es James Murphy einmal gesagt, ist der letzte große Mystiker der Rockmusik. Damit stellt er ihn zurecht in die religiöse Ecke. Mehr noch: Cave selbst vermeidet sogar die Konsensformel der »Spiritualität«, dies sei ihm zu unspezifisch, ihn interessiert ganz konkret das Christentum. Er hält sich gern in den alten Kirchen auf, schätzt die gewachsene Unordnung dieser Raritätenkabinette und die Irrationalität des Glaubens. Schon mit Anfang 20 wurde er zum Bibelleser. Da machte er noch Musik, mit der die Amtskirche sicher wenig anfangen kann.

In einem Vortrag berichtete Cave davon, dass er Rivers of Babylon von Boney M im Radio hörte, eine Vertonung des Pslam 137 – und das habe ihn inspiriert; auch wird er in dieser Zeit Patti Smiths Song über Psalm 23 nicht überhört haben. Cave gehört zu den Größen des Pop, die man ohne christliche Bezüge überhaupt nicht verstehen kann, ähnlich wie es bei Elvis oder Johnny Cash, Bob Dylan, Sam Cooke oder Cleo Sol ist. Es geht dabei nicht nur um »Wurzeln«, sondern um das jeweils individuelle Christentum dieser Künstler, der Reiberei mit Gott und der Orientierung an den biblischen Erzählungen. Sie sind Cave ein unendlicher Fundus.  

Kein Verkünder – sondern Sucher

Es gibt ganz unterschiedliche Weisen sich in die Tradition christlicher Musik zu stellen. Sie wird direkt für die Heilige Messe komponiert, es werden Passionen entworfen, man kann als Liedermacher für die christliche Mission werben oder wie Johnny Cash in Gefängniskonzerten vor Straftätern ein Werk der Barmherzigkeit tätigen. Cash lies Billy Graham auf seinem Man in black-Album direkt predigen. Auf den beiden christlichen Alben von Bob Dylan geht es irritierend frömmelnd zu. Der Saxophonist John Coltrane vertonte ein eigenes Gebet zum Jazzklassiker A Love Supreme.

All das wird Cave kennen, um schließlich ganz eigene Wege zu gehen. Sein Gottesbild ist von Zweifeln geprägt, der Rockmusiker ist kein Verkünder, sondern ein Sucher. Er predigt nicht, er erzählt Geschichten. Nimmt man die Kardinaltugenden, so sind die Liebe und der Glaube in Nick Caves Musik zentral – die Hoffnung bleibt allerdings in den düsteren vom Bluesrock beeinflussten Songs aus.

»Nicht nur den Menschen fehlt Gott – Gott trauert auch um die Menschen«

An seiner Stelle steht etwas, dass ihm an der Bibel anzieht: Gemetzel, Gewalt, Rache und Schuld. Das färbt jedoch nicht alles schwarz, Cave ist weder ironisch, noch zynisch oder gar Pessimist. Es ist eine gläubige Wut, ein gläubiger Abgrund, aus dem diese Musik erklingt.

Zu seinem neuen Album Wild God sagte er in einem Interview, er stelle sich Gott durchaus wütend vor: Voller Zorn auf einen Menschen, der nach der Vertreibung aus dem Paradies nicht still hält und sich bessert – sondern mit einem Brudermord anfängt. Das ist enttäuschend, sogar für den Schöpfer.

Nicht nur den Menschen fehlt Gott – Gott trauert auch um die Menschen, die nicht mehr an ihn glauben. Der Mensch hat ein Ziel in Gott, seine Kreativität speist sich aus der Sehnsucht. Und beides ist Gott wohl wichtig, er hat gern Teil und Glück an der menschlichen Kunst.

Das rückt Caves christliche Musikphilosophie nahe an einen Gedanken, den der Romancier Neil Gaiman im Roman American Gods für die nordischen Götter gewaltvoll durchgespielt hat. Odin, Thor, Frigg, Loki und andere leben in den USA im Exil, und sie verlieren an Macht, weil weniger Menschen an sie glauben. In den Kampf mit anderen Göttern wird der menschliche Protagonist, der gerade aus dem Gefängnis kommt, verwickelt.

Auch im Kosmos von Nick Cave braucht der christliche Gott den Menschen, wie der ihn. Und wir sind in dessen Zorn und Strahlkraft, in Schuld und Schöpfung verwickelt. Ohne Gott gäbe es gar keine Geschichten, keine Offenbarungen, weder Wissen noch Sündenfall. Eine Welt ohne Gott, ein Land der Gottlosen, ist für Cave leer und hässlich, es ist ohne Liebe und damit ohne ästhetische Bedeutung. Er besingt einen Gott, der dort Anwesend ist, wo es brennt – in drastischen Formen von Begierde und Leid, Gott und Mensch sind auf der Flucht und gesuchte Mörder, der Mensch ist ihm ein »wanted man«. Der Thron Gottes wird da durchaus zum Elektrischen Stuhl, aber es bleibt eben auch die Gnade.

Nick Cave Wild God

Schreibmaschine und Polaroid, Stifte und Papier, Bücherstapel

Diese schwarze Romantik hat bei dem inzwischen 67 Jahre alten Nick Cave nicht mehr heroin-selige Züge, seine Erzählwelten sind nicht heller, aber sie sind ruhiger und inniger als in frühen Jahren. Über die Augenblicke aufblitzender Schönheit schleicht sich die Hoffnung ein. In den neueren Songs geht es expliziter um Gott als jemals zuvor auf den 20 Vorgängeralben.

In einem Stück fliegt der mit wehendem weißen Haar durch ein Zimmer in Brighton, Bilder entstehen wie William Blake sie geschaffen hat. Der belesene Nick Cave ist ganz der Sohn eines australischen Literaturlehrers und einer Bibliothekarin, er versteht sich als Dichter, der für seine Poesie dann noch Musik komponiert, um sie besser vortragen zu können. Auch da scheint er seelenverwandt mit Vorbildern wie Leonard Cohen oder Johnny Cash.

Im Song Frogs geht ein Paar sonntags durch den Regen vom Gottesdienst zurück nach Hause und denkt nach über die Geschichte von Kain und Abel. Am Wegesrand springen die Frösche, ein grünes Zeichen der Vitalität. Am Ende denkt der Erzähler an einen Song des Country-Musikers Kris Kristofferson und spielt darauf an.

Cave sucht im Christentum keine Moral, nicht einmal den Zeitgeist.

Ähnlich wie Proust ist er an den alten Kirchen interessiert, an archaischen Geschichten und imaginierten heiligen Orten. Er ist ein analoger Arbeiter, die Fotos seines Schreibtisches – sein Hauptquartier – zeigen Schreibmaschine und Polaroid, Stifte und Papier, Bücherstapel: Dabei heraus kommen Songtexte, die kaum einer bestimmten Dekade zuzuordnen sind. Die Tiefe seines Glaubens nimmt nach Schicksalsschlägen zu, ist durch sie aber keineswegs bedingt. Seine seelsorgerische Seite lebt er in einem einzigartigen interaktiven Format aus, den Red Hand Files, einer Website, auf der er Fragen öffentlich beantwortet. Hier geht es auch, aber nicht nur um Musik.

Cave kann überaus reif auf existenzielle Probleme eingehen, er schreibt nicht als Star, er ist fehlbar wie sein Gott. Er spricht von sich und nie als »Lifecoach«. Wie sehr er sich den Anliegen seiner Hörer widmet zeigt sein großes Interesse am Menschen, an den er – vielleicht wegen all der Abgründe – am Ende glaubt.

Nicht weniger als: Heiligkeit

WILD GOD ist nach drei innerlichen, spartanischen, trauernden Alben die Rückkehr in energetische Musiklandschaften. Zusammen mit seiner Band Bad Seeds gibt es düstere Spielfreude, sphärischen Rock und zum Teil große Instrumentierung. Die Lyrics sind offen und laden zu Deutungen ein. Da es sich um Kunst handelt, sind sie nicht vollends zu entschlüsseln.

Manches funktioniert hier wie im Traum: Wir haben etwas erlebt, können es aber nicht einfach nacherzählen.

Am Ende sieht ein Erzähler seine Frau im Sessel schlafen, Jesus steigt aus dem Schatten des Grabes – im kleinen Detail, im Schlaf seiner schönen Frau findet Cave die Eingangstür zum Heiligen. Das ist nicht nur Romantik, es ist christliche Botschaft. Den Alltag in Heiligkeit verwandeln, das ist die Mission von Nick Cave.   

Der Albumtrailer zu WILD GOD:

Frank Berzbach im Deutschlandfunk über Nick Cave:

Foto: © Jack Flynn/shutterstock.com


Frank Berzbach

Jahrgang 1971, unterrichtet Literaturpädagogik und Philosophie an der Technischen Hochschule Köln. Nach einer Ausbildung zum Technischen Zeichner studierte er Erziehungswissenschaft, Psychologie und Literaturwissenschaft. Über Wasser hielt er sich als Bildungsforscher, Wissenschaftsjournalist, Fahrradkurier und Buchhändler. Er hat eine Vorliebe für Schallplatten und Bücher, Tätowierungen und Klöster. Er arbeitet und lebt in Köln und auf St. Pauli. Zuletzt erschien: »Die Kunst zu glauben. Eine Mystik des Alltags« im bene!-Verlag. 
www.frankberzbach.com

Foto: © Tristan Hachmeister

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