Nachhaltigkeit  

Das gute Leben und der Klimaschutz

Ist weniger mehr?

Macht Konsum glücklich? Oder ist weniger mehr? Und was hat unser Konsum mit der Umwelt – aber auch mit der Wirtschaft zu tun?

Hyperkonsum

Ich bin in einem Mehrfamilienhaus aufgewachsen. Dort gab es ein Telefon für mehrere Parteien: Ein schweres, schwarzes Bakelittelefon, damals sicher schon 20 Jahre alt. Es stand da bis in die frühen achtziger Jahre und hatte damit eine Lebenszeit von 25 bis 30 Jahren. Man konnte damit telefonieren. Sonst nichts – für heutige Verhältnisse unvorstellbar. Heute gibt es dort wahrscheinlich fünf Festnetztelefone und noch zehn bis zwölf Handys. Jedes dieser Geräte kann ein Vielfaches mehr und ist um ein Vielfaches komplexer als das Gerät meiner Kindheit. Sie müssen aber auch permanent „upgedated“ oder falls nicht möglich, durch neuere, noch leistungsfähigere Geräte ersetzt werden.

Diese Überlegung ist auf alles Mögliche übertragbar: Fernseher, Autos, Bekleidung im übertragenen Sinne auch Hobbys oder Reisen. Hinzu kommt, dass wir noch viele Dinge haben, für die es überhaupt kein früheres Äquivalent gibt: E-Bikes, Kaffeevollautomaten, Dolby-Surround Heimkinoanlagen und internetfähige Kühlschränke.

Tischfernsprecher alt

Glück

Die Zeit meiner Kindheit muss sehr entbehrungsreich gewesen sein und die Menschen eher unglücklich. Wir sind glücklicher heute. Zumindest suggeriert uns das die implizite Logik der Konsumgesellschaft. Aber sind wir das auch?

Die „Glücksforschung“ kann das nicht bestätigen. Philosophen, Theologen, Soziologen, Psychologen und auch Ökonomen verschiedenster Denkrichtungen gehen ab einer gewissen Konsumintensität eher vom Gegenteil aus. Der britische Ökonom Richard Layard zeigt auf, dass Geld als Grundlage des Konsums nicht zwangsläufig zu mehr Glück führt, sondern dass echtes Glück sich eher aus anderen Quellen speist (sinnstiftende Arbeit, Freunde und Familie, Gesundheit und Freiheit etc.). Der französische Soziologe Alain Ehrenberg sieht einen Zusammenhang zwischen der immer höheren Anzahl an Menschen, die unter dem Krankheitsbild der Depression leiden, und unserer dauerhaften Überforderung in der sich immer stärker beschleunigten Konsumgesellschaft.

Also sind wir gar nicht glücklich? Wäre es also vielleicht doch besser, wir würden unser Konsum- und Mobilitätsniveau wieder auf ein niedrigeres Level bringen?

Klimawandel und Klimaschutz

An dieser Stelle kommt der „Klimawandel“ ins Spiel. Er ist das Problem unserer Zeit. Schon jetzt kommt es vermehrt zu Extremwetterereignissen,  zum sicht- und spürbaren Abschmelzen der alpinen Gletscher. Das International Panel on Climat Change (IPCC) warnt vor Kipppunkten, also dem kompletten Abschmelzen der Gletscher und Polkappen mit entsprechendem Anstieg des Meeresspiegels und weiteren Folgen, wie etwa dem Auftauen der Permafrostböden, wenn es nicht gelingt, die CO2-Emissionen so zu verringern, dass eine durchschnittliche Erwärmung von mehr als 1,5 Grad verhindert werden kann.

Das Klima wird sich dann unkalkulierbar und irreversibel verändern, so dass sogar Teile der Erde unbewohnbar sein werden.

Es gilt folglich, die CO2-Emissionen drastisch zu reduzieren. Üblicherweise wird dies als technisches Problem betrachtet: Erneuerbare Energien auf der einen und Effizienz auf der anderen Seite, was zu einer Entkopplung von wirtschaftlicher Aktivität und CO2-Emission führen soll. Das ist sehr praktisch so, denn wir müssen nichts in unseren Leben verändern. Wir müssen nur andere Strom- und Gaslieferverträge unterschreiben und andere, effizientere Produkte kaufen, so dass wir uns schrittweise dem Maß an CO2-Emission nähern, das uns vor den „Tipping Points“ bewahren wird.

Ökonomie und Wachstum

Diese Sichtweise übersieht allerdings, dass unsere Ökonomie grundsätzlich auf Wachstum ausgerichtet ist. Jede wirtschaftliche Aktivität ist mit dem Verbrauch von Energie und anderen materielle Ressourcen verbunden. Und wenn die Wirtschaft wächst, wächst auch der Energie- und Ressourcenverbrauch, so dass die anvisierte Entkopplung von Ökonomie und CO2-Emissionen mindestens stark verlangsamt wird. Hinzu kommt die Tendenz, dass eingesparte Kosten durch Effizienz häufig vermehrte wirtschaftliche Aktivität oder Konsum an anderer Stelle erzeugen (Rebound-Effekt).

Vor diesem Hintergrund erscheint die Strategie, den Klimawandel primär durch technische Lösungen zu begrenzen und die grundlegenden ökonomischen Strukturen beizubehalten, mindestens innerhalb des vom IPCC vorgegeben Zeitraums unrealistisch. Analysiert man die Prokopf-Emissionen an CO2 – etwa über den CO2-Rechner des Umweltbundesamts – so stellt man fest, wie groß der Anteil des „sonstigen Konsums“ ist.

All die Dinge, die wir uns kaufen tragen über ihre Produktion, ihren Transport, ihren Gebrauch und ihre Entsorgung an erster Stelle zur Klimakrise bei.

Damit haben wir nun zwei Gründe für die Veränderung unseres Verhaltens: einen extrinsischen, der in der Begrenzung des Klimawandels liegt, und einen intrinsischen, der in der befreienden Wirkung eines reduzierten Mobilitäts- und Konsumverhaltens liegt.

Konsum Nachhaltigkeit
Graffiti an Brücke: “Hör auf zu konsumieren”. Gesehen in Berlin.

Das einfache Leben

Philosophen haben mit dem Fokus auf das „gute Leben“ immer wieder die überstarke Orientierung an materiellen Werten kritisiert. In der aufkommenden ökologischen Krise der siebziger Jahre kamen Aspekte der Nachhaltigkeit hinzu. In dieser Tradition steht auch das Konzept der Voluntary Simplicity, einer aufs Wesentliche reduzierten Lebensweise, die nicht nur mehr Lebensqualität für das Individuum zu erzeugen vermag, sondern auch ökologische Entlastung bringen kann. Im Fokus steht dabei die radikale Frage der Notwendigkeit: Brauche ich das Ding oder will ich es nur? Hinzu kommt die Reduktion des finanziellen Ertragsdrucks: Je weniger ich konsumiere, desto weniger Geld muss ich verdienen, um diesen Konsum zu finanzieren und desto mehr Zeit steht mir für sinnstiftende Tätigkeiten zur Verfügung.

Ist ein Leben in selbstgewählter Einfachheit also die Lösung? Zumindest in der Bloggerszene und auf dem Buchmarkt ist das Thema Minimalismus als Populärform der Voluntary Simplicity nicht mehr zu übersehen. Vielleicht sind wir auf dem richtigen Weg. Allerdings können die Konsequenzen, die ein mobilitäts- und konsumreduzierter Lebensstil haben kann, durchaus reflexionsbedürftig sein. Reduziert sich der private Konsum wie gefordert in erheblichem Maß, wird es zu einem negativen Wirtschaftswachstum kommen, wie Berechnungen des Ökonomen Samuel Alexander zeigen. Der Staat wird dann – wie zuletzt in Deutschland beim coronabedingt negativen Bruttoinlandsprodukt für 2020 – alle Hebel des Anreizsystems in Gang setzen, um die Konjunktur wieder anzukurbeln. Denn ohne Wirtschaftswachstum gibt es im Haushalt kaum politischen Gestaltungsspielraum.

Post-Wachstumsgesellschaft

Wie kann eine Ökonomie aussehen, die sich nicht über Wachstum stabilisiert? Folgt man dem bekanntesten deutschen Postwachstums-Ökonom Niko Paech, dann werden wir alle viel weniger Zeit mit Erwerbsarbeit verbringen, dafür aber mehr Zeit der Eigenproduktion von Nahrungsmitteln, Reparaturarbeiten und gemeinnützigen Aktivitäten widmen. Paech spricht dabei von Suffizienz: Die Reduktion auf das Nötige. Der Titel seines im Jahr 2012 erschienenen Buchs deutet aber auch an, was damit verbunden sein könnte: Eine Befreiung vom Überfluss.

Ausblick

Weniger ist mehr. Folgt man den Überlegungen der Postwachstumsökonomie, ist die Reduktion unserer Konsumintensität die notwendige Bedingung zur Begrenzung des Klimawandels und damit Grundlage für den Erhalt unserer Lebensgrundlage – insbesondere für die folgenden Generationen. Das Schöne dabei ist aber, dass sie gleichsam auch eine Perspektive für ein besseres Leben bietet,  wie es uns die großen Denker immer wieder nahegelegt haben: Jenseits der Befriedigung der Grundbedürfnisse sind es nicht die schönen Dinge, die uns glücklich machen, sondern unsere selbstgewählte Unabhängigkeit von ihnen. Gleichzeitig zeigt die politische Abhängigkeit vom konsumbasierten Wirtschaftswachstum, wie weit wir davon entfernt sind.


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