Lukas Ambraziejus SJ berichtet über seine Arbeit auf Covid-Pflegestationen
Wir Jesuiten in Vilnius haben in der Quarantäne eigentlich ganz komfortabel in einem großen, fröhlichen Haushalt gelebt. Wir hatten immer die Möglichkeit, ins Freie zu gehen und sich auf andere Gedanken zu bringen. Wegen der Quarantäne war mein Arbeitsrhythmus in keinster Weise langsamer; im Gegenteil, es wurde nur noch intensiver. Ich fühlte mich auf jeden Fall nicht in die Enge des Alltags gepresst und im Allgemeinen fühlte ich mich nicht allzu sehr von den negativen Folgen der Pandemie betroffen.
Dennoch erlebte ich diese Privilegien auch als Verlust: Ich hatte das Gefühl, dass ich damit die Realität nicht in all ihren Facetten erlebte und dass ich die Lasten nicht mit meinen Brüdern und Schwestern teilte.
Meine Welt war sicher, aber klein. Damit sie groß wird, musste ich die Sicherheit aufgeben.
Ich fühlte, dass ich Gottes Gegenwart mehr in einer unsicheren und harten Realität eines notleidenden Pflegeheims erfahren würde als in meinem schönen und aufgeräumten Zimmer.
Das Bedürfnis für mein Ehrenamt war nicht nur spirituell, sondern es gab auch einen konkreten Hilferuf. Als Ende November das Coronavirus das Pflegeheim Sankt Maria in Marijampolė (Litauen) erreichte, wurden sofort ein Dutzend Krankenpfleger und fast alle 40 Heimbewohner krank. Fiebrige Krankenschwestern mussten im Bett bleiben. Kranke Bewohner blieben ohne lebenswichtige Pflege. So erreichte mich ein Hilferuf der dortigen Ordensschwestern und Anfang Dezember machte ich mich auf den Weg nach Marijampolė.
24-Stunden-Schichten
Als ich ankam, wurde ich in einem nahe gelegenen Gästehaus mit zwei anderen Freiwilligen untergebracht, die dort bis zu meiner Ankunft wohnten und die ganze Arbeitslast fast alleine ausgetragen hatten. Mehrere andere Freiwillige aus einer anderen Ordensgemeinschaft waren bereits abgereist, weil sie sich mit dem Virus angesteckt hatten und nicht weiterarbeiten konnten Alles fühlte sich an wie die Ankunft auf einem Schlachtfeld.
Morgens wurde ich direkt für eine 24-Stunden-Schicht eingeteilt und mir gezeigt, wie genau ich diversen Schichten der Schutzkleidung anziehen muss. Alle verbleibenden Bewohner waren durch das Virus geschwächt und auf Pflege angewiesen. Selbst die sonst selbstständigen Senioren benötigten eine Grundversorgung mit Nahrung und Hygiene. Bei Arbeiten wie dem Wechsel der Bettwäsche begann der Schweiß sofort am Körper herunter zu laufen, da die Anzüge völlig luftundurchlässig sind. Die Visiere stoppen die Luftzirkulation. Die Schutzbrille beschlägt ständig. Nach einigen Stunden beginnt die Haut an den Ohren und Wangen zu brennen. Viel schlimmer aber war der Anblick der Schwerkranken.
Und dennoch: Ich fühlte mich in der Arbeit glücklich. Jedes Gefühl von Trägheit oder Unzulänglichkeit verflüchtigte sich. Ich spürte klar in meinem Herzen: Gott ist mit mir.
Mein persönlicher Beitrag in der Pandemie
Die ganze Zeit konnte ich die heilige Kommunion nicht empfangen. Aber selbst das machte mich glücklich. Ich war einer von Millionen Menschen, die wegen geschlossener Kirchen keinen Zugang zu den Sakramenten hatten. Ganz alleine betete ich mit Freude in meiner kleinen Isolationszelle, wie jene vergessenen Unmündigen, denen das Himmelreich gehört. Ich war betroffen von dem Leid und den Unannehmlichkeiten der Situation, aber ich freute mich, wie die Ärzte und die Pflegekräfte, die während der Pandemie unermüdliche Opfer für andere gebracht haben, meinen Beitrag zu leisten.
Als ich nach Vilnius zurückkehrte, musste ich mich isolieren und verbrachte Weihnachten allein in einem kleinen Raum auf einer anderen Etage als die restliche Kommunität. Auch diese wichtige Erfahrung brachte mich auf eine sehr reale Weise nahe an alle einsamen, besonders ältere, Menschen, die in ihren Häusern eingesperrt sind und von ihren Angehörigen nicht besucht werden können. Diese bis zum Innersten schmerzhafte soziale Ausgrenzung, die ich in einer so festlichen Zeit erlebte, habe ich daher mit freudiger Dankbarkeit erlebt.
Ein zweiter Einsatz auf einer Covid-Pflegestation
Nach Weihnachten erhielt ich eine Nachricht, dass in einem Sozialpflegeheim in Utena, die Situation ebenfalls kritisch wurde und man vor Ort schnell Freiwillige benötigt. Nach einem negativen Corona-Testergebnis eilte ich für eine weitere Woche nach Utena, um auf der Covid-Pflegestation zu arbeiten.
Ich wohnte mit Ordensschwestern vor Ort, die eine ganze Woche vor meiner Ankunft die ganze Pflegestation alleine versorgten. Aus dieser Zeit nehm ich einige unvergessliche Momente mit nach Hause: das beharrliche Gebet einer nahezu bewusstlosen alten Dame „Mein Gott, rette mich, mein Gott, rette mich“, meine von meinen Arbeitskolleginnen vorbereitete Geburtstagsfeier mit 25 Makronen und Kerzen, eine tiefe Augenbegegnung mit einer Nonne, die nicht mehr sprechen kann oder mein eigenes Gebet am Leichnam einer Dame, die während der Nachtschicht verstarb, als ich der Einzige auf der ganzen Station war …
Sowohl in Marijampolė als auch in Utena war es gut, die Gemeinschaft mit den Ordensschwestern zu teilen, mit denen wir abends nach der Arbeit lange Gespräche führten. In Marijampolė bekamen meine beiden Kolleginnen nach der Hälfte meines Freiwilligendienstes Fieber und fingen an zu husten. Später verloren sie auch ihren Geschmacks- und Geruchssinn. Ab dem Zeitpunkt legte ich mich in Gottes Hände und beschloss, das geschehen wird, was geschehen muss. Obwohl ich an beiden Einsatzorten sehr kranken Menschen auch ohne Schutzausrüstung sehr nah kam, bin ich selbst niemals krank geworden.
91. Psalm spendet Trost
Während meines Freiwilligendienstes wurde ich durchgehend vom 91. Psalm getröstet, den ich auch am Abend vor meiner Abreise nach Marijampolė mit großer Andacht gebetet habe: „Wer im Schutz des Höchsten wohnt, der ruht im Schatten des Allmächtigen. Ich sage zum HERRN: Du meine Zuflucht und meine Burg, mein Gott, auf den ich vertraue. Denn er rettet dich aus der Schlinge des Jägers und aus der Pest des Verderbens. Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht, Schild und Schutz ist seine Treue. Du brauchst dich vor dem Schrecken der Nacht nicht zu fürchten, noch vor dem Pfeil, der am Tag dahinfliegt, nicht vor der Pest, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die wütet am Mittag. Ja, du, HERR, bist meine Zuflucht. Den Höchsten hast du zu deinem Schutz gemacht. Dir begegnet kein Unheil, deinem Zelt naht keine Plage. Denn er befiehlt seinen Engeln, dich zu behüten auf all deinen Wegen. Sie tragen dich auf Händen, damit dein Fuß nicht an einen Stein stößt.“
JESUITEN-Magazin
Dieser Artikel erschien in gekürzter Version im JESUITEN-Magazin 02-2021 »Jesus» in der Kategorie »Was macht eigentlich«. Das Magazin erscheint viermal im Jahr und kann hier kostenlos abonniert werden: