Zusammenleben  

Entmachtet diese Kirche

Warum die katholische Kirche ein Umdenken braucht

Lisa Kötter und Maria Mesrian legen in ihrem neuen Buch „Entmachtet diese Kirche und gebt Sie den Menschen zurück“ den Finger in die Wunden der katholischen Kirche. Sie sind sich einig: es braucht ein Umdenken; sie zeigen auf, wie Kirche im positiven Sinn wieder sichtbar werden kann.

Wenn Menschen sich nach Würde, Sicherheit und Augenhöhe sehnen, wenn sie mit ihrer Lebensleistung und auch in ihrer Not gesehen werden wollen, dann ist das ein ganz existenzielles Bedürfnis. Ebenso wie der Wunsch, als Frau einen geistlichen Beruf ausüben zu dürfen, eine bestimmte Rolle auszufüllen. Keine, die zugewiesen wurde – sondern eine selbst gewählte. Dann ist das keine Laune, kein Vogel unterm Pony, sondern im wahrsten Sinne des Wortes notwendig – und eigentlich selbstverständlich. Dennoch wird all das vielen Menschen verwehrt.

Es ist zutiefst unmenschlich, ungerecht, diskriminierend, einen Menschen wegen seiner Armut oder
Krankheit, seiner Herkunft oder seines Geschlechtes oder der sexuellen Orientierung herablassend zu
behandeln, ihn zu übersehen oder ihm gar den Segen Gottes* abzusprechen. Unseren Alltag und unseren
Glauben in Würde und Selbstbestimmung leben zu können ist für unsere Seele so notwendig,
wie es Wärme für unseren Körper ist.

Und doch werden solche Bedürfnisse von Verantwortlichen in der Kirche immer wieder missachtet,
zurückgewiesen oder einfach als nicht-existent negiert. Es wird viel über Würde und Liebe gesprochen
und doch anders gehandelt. Man weist Menschen wegen einer angeblich mangelbehafteten Lebenseinstellung,
wegen ihres Geschlechtes oder einer mutmaßlich „falschen“ sexuellen Orientierung zurück.
Viele Äußerungen der hohen Kirchen-Herren zu Themen wie „Priestertum der Frauen“, „Gleichberechtigung“ oder „Sexualmoral“ sind leider genau so aufzufassen. Und mit dem Blick auf die Schwachen
und Armen bleibt es viel zu oft bei Lippenbekenntnissen und Almosen. Ganz so, als ob man einem
frierenden Menschen, der eigentlich einen Mantel bräuchte, einen Handschuh anbietet. Oder
eben ein Taschentuch, auch wenn es eigentlich gilt, ein Kind für die Nacht warm zu kleiden.

»Gnade ist eine Umarmung«

Gnade ist nichts, das hoheitsvoll zugeteilt werden sollte. Gnade ist eine Umarmung. Wenn wir dem
anderen etwas geben, dann in dem Bewusstsein, dass alles, was wir selbst haben, ein Geschenk ist.
Unsere Herkunft, unsere Staatsangehörigkeit, unser Geschlecht, unser Verstand, unser Glaube, unsere
Familie, unsere Möglichkeiten, unsere Begegnungen, unsere Chancen, unsere Begabungen, unsere
Erkenntnisse – alles ist ein Geschenk! Und dieses Geschenk ist zum Weitergeben gedacht.

In diesem Licht ist der riesige Reichtum dieser Kirche und ihr Umgang damit regelrecht absurd:
Jesus hat dazu einen klaren Blick, wenn er in einem Gleichnis sagt: „Leichter geht ein Kamel durch ein
Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Mk 10,25).

Gnade heißt, Augenhöhe herzustellen, wo immer sie fehlt. Nicht von oben herab zu agieren, sondern
selbstverständlich miteinander und gleichgestellt. Nicht zubilligend, sondern, weil uns das Gegenüber
teuer ist. Das ist ein Handeln aus Gerechtigkeitssinn. Wissend, dass ich etwas geschenkt bekommen
habe, was nicht selbstverständlich, letztlich nicht mein „Verdienst“ ist, teile ich es.

Alles ist ein Geschenk. Baronin zu sein; Mann, Frau oder divers zu sein – reich zu sein, schön zu sein, begabt zu sein. Alles ist zum Teilen da. Nur liebend können wir das Brot teilen, nur vertrauend uns verletzlich zeigen. Wir sollten sichtbar machen, dass wir alle in dieser Zerbrechlichkeit des Lebens stehen. Davon spricht Jesus, wenn er vom Reich Gottes* spricht. Diese Untrennbarkeit von Gottes- und Nächstenliebe ist der Grund, warum wir uns wandeln müssen. Wir müssen vor allem Schenkende sein, weil wir selbst reich beschenkt sind. Wir müssen Gnädige sein, weil wir selbst in der Gnade leben. Wir brechen das Brot miteinander und teilen es, weil wir um die Zerbrechlichkeit des Lebens wissen. Nur so wird Weitergeben, Zugestehen und Teilen selbstverständlich!

Menschenorte

Wenn die römische Kirche positiv sichtbar werden will, so hat sie dafür alle Möglichkeiten. Aber es braucht an vielen Stellen ein deutliches Umdenken. Dort, wo bislang Besitztümer verteidigt wurden, ist ein echtes Teilen notwendig. Wir müssen kirchliche Räume zu Menschenorten machen und sie für alle öffnen.

Alle, die für die Kirche arbeiten, egal ob hauptamtlich oder im Ehrenamt, sind in der Lage, die Kirche Jesu auf eine ganz neue Art und Weise sichtbar zu machen. Und das braucht es: Aufwärmorte für die Heimatlosen, Gemeinschaftsorte für die Einsamen, Vertrauensorte für die Enttäuschten. Allen, die davon träumen, dass es anders wird mit der Kirche, möchten wir sagen: Auf euch kommt es an. Auf jede und jeden. Räumt die Bänke aus den Kirchen und schafft Raum für Neues! Gebt die Schlüssel großzügig und voll Gottvertrauen den Menschen! Sie wissen schon, was sie brauchen! Deckt für alle den Tisch. Dann ist das „Reich Gottes*“ nur eine Haaresbreite entfernt.

»Entmachtet diese Kirche«

Der Text ist ein Auszug aus dem Anfang Mai 2022 erschienen Buch „Entmachtet diese Kirche und gebt sie den Menschen zurück“ und ist im bene-Verlag erschienen.

Lisa Kötter, Jahrgang 1960, hat 2019 die Bewegung Maria 2.0 mitgegründet sowie
2021 mit Maria Mesrian und anderen den Verein Umsteuern! ROBINSISTERHOOD. Sie lebt als freischaffende Künstlerin in Münster.

Maria Mesrian, Jahrgang 1974, hat Katholische Theologie studiert und als Pressereferentin beim
ZDF gearbeitet. Sie engagiert sich seit 2019 in der Bewegung Maria 2.0, setzt sich gegen Machtmissbrauch ein und Vorsitzende des Vereins Umsteuern! ROBINSISTERHOOD.
Sie lebt in Köln.


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