Ein Brief an die Kirche
Liebe Kirche,
eigentlich ist es eine gute Gepflogenheit, einen Brief mit einer wohlwollenden Floskel zu beginnen. Also so etwas wie „ich freue mich sehr, von Ihnen zu hören“ oder „es ist einfach gut, dass es dich gibt“. Aber jetzt hier? Mir fällt auf die Schnelle nichts ein. Vielleicht liegt das daran, dass ich gar nicht weiß, welchen Beziehungsstatus wir gerade haben. Du, als Kirche. Und ich als Mensch Anfang 40, mit Kindern und mitten im Job. Aber so eine Unschlüssigkeit sagt ja auch viel aus.
Du weißt, wir waren mal echt gute Freunde. Ich war zwar nie Ministrant, aber trotzdem als Kind jeden Sonntag im Gottesdienst. Sogar noch als Jugendlicher. Dann wollte ich mehr wissen und habe Theologie studiert – Kirchengeschichte, Bibelwissenschaften, Liturgie und all die anderen Fächer, die so viele Schlaglichter auf dich werfen. Und ich hatte wichtige Begegnungen und Gespräche, die es nur gab, weil du starke Menschen in deinen Reihen hattest. Dafür bin ich dir heute noch dankbar.
Aber wie das so ist, mit der Zeit verändern sich die Dinge. Und die Menschen. Bin ich zu anspruchsvoll geworden?
Es ist gar nicht so leicht, sich mitten in der Dauerturbulenz des Lebens nicht aus den Augen zu verlieren. „Papa, wann reparierst du endlich mein Fahrrad?“ – „Ok, Sonntag früh.“ Wann sonst? Damit ist wieder ein Sonntagsgottesdienst verschoben. Die Menschen um mich herum brauchen eben auch ihre Aufmerksamkeit. Wenn ich mich dann doch auf den Weg in den Gottesdienst mache, gebe ich mir echt Mühe, der Predigt zu folgen – bis ich aufgebe. So viel gibt es darin gar nicht, dem man folgen konnte oder das man mitnehmen möchte. „Naja, wenigstens muss man sich nicht aufregen“, höre ich mich dann sagen.
Ich weiß nicht, ob Funkstille ein zu hartes Wort ist. Aber mir fällt gerade kein besseres dafür ein, dass wir uns gerade nicht allzu viel zu sagen haben. Soll das wirklich so weitergehen?
„Naja, wenigstens muss man sich nicht aufregen“ – der Satz hallt nach. Und ich merke, dass er mich selbst aufregt. Und zwar nicht wegen mir – sondern wegen dir. Es kann doch nicht sein, dass du dich so gehen lässt. Dass man mittelmäßige Gottesdienste schulterzuckend hinnimmt. Dass sich die verkrüppelten Gummibäume im Pfarrzentrum zur ästhetischen Normalität etablieren. Dass du meinst, du müsstest mit deinem Segen geizen und ihn nicht für alle Liebenden aussprechen. Dass Bischöfe im Blick auf die horrend hohen Kirchenaustrittszahlen nur noch „Was soll man schon tun?“ als Kehrvers ihrer Klagelitaneien aufsagen.
Dabei steckt doch so viel Freude an Wachstum und am Besseren in dir. Die Bibel erzählt von Senfbäumen, die aus kleinsten Samenkörnern in den Himmel wachsen. Ignatius von Loyola bringt den Gedanken des Magis ins Spiel: Sich weiterzuentwicklen ist ein ganz spirituelles Thema. Und Aufgabe.
Einfach so abtauchen, weg von der Bildfläche? Jesus hat sich ja auch nicht im Grab verkrochen. Sondern ist wieder raus zu den Menschen. Er läuft an der Seite von zwei Jüngern nach Emmaus, stellt sich dem ungläubigen Thomas und hängt am Lagerfeuer des Petrus herum. Das will ich auch wieder! Dass wir wieder Gefährten werden. Über Lebensthemen sprechen und uns gegenseitig guttun. Den ersten Schritt habe ich jetzt gemacht. Und ich frage dich einfach so: Kann es noch was werden mit uns? Hast du Lust?
Foto: © Vadim Brown/photocase.com
Dieser Brief wurde erstmals in Ausgabe 2/2021 vom theo-Magazin abgedruckt. Das Magazin erscheint fünfmal jährlich und blickt auf Kirche, Glaube, Spiritualität, Kultur und Gesellschaft.