Nachbarschaft Siedlung

Zusammenleben  

Auf gute Nachbarschaft

Wie die Heinrich-Pesch-Siedlung dafür sorgt, dass Nachbarschaften sich gut entwickeln

Wie können wir aktiv dazu beitragen, dass unter Bewohnerinnen und Bewohnern eine gute Nachbarschaft entsteht? Diese Frage stellt sich gerade den Initiatorinnen und Initiatoren des Heinrich-Pesch-Siedlungsprojektes in Ludwigshafen. Sie planen ein Stadtviertel, das circa 1.500 Menschen ermöglichen soll, ökologisch nachhaltig und in guter Nachbarschaft zu leben. Was also könnte es im Blick auf dieses konkrete Projekt bedeuten, gute Nachbarschaften zu gestalten?

Nachbarschaft kann bedeuten, sich zu grüßen, Pakete anzunehmen und vielleicht auch persönliche Gespräche zu führen. Manchen Menschen reicht ein flüchtiger Gruß, andere möchten mit Nachbarn ihre Freizeit gestalten. Die Heinrich-Pesch-Siedlung, die in Ludwigshafen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen entsteht, geht da einen Schritt weiter: Sie hat das Ziel organisierter Nachbarschaften.  

Das Projekt umfasst mehr als 570 Wohneinheiten, Mehrfamilienhäuser, Reihenhäuser, Gewerberiegel und Terrassenhäuser. Ein Viertel der Wohnungen wird im geförderten Wohnraum gebaut, die Hälfte ist für mittlere Einkommen und ein Viertel für Besserverdienende vorgesehen.

Ein Begegnungshaus mit Gemeinschaftsflächen, Bildungseinrichtungen und ein Quartiersplatz bieten in der verkehrsarmen Siedlung sehr gute Möglichkeiten, starke Nachbarschaften auszubilden. Hausgemeinschaften, ein Quartiersmanagement und ein Verein fördern und stabilisieren Nachbarschaften.

Heinrich Pesch Siedlung
Rechts im Bild: Das Heinrich Pesch Haus in Ludwigshafen. Auf dem angrenzenden Areal wird in den nächsten Jahren die Heinrich-Pesch-Siedlung entstehen.

Nachbarn sind für viele Menschen wichtig.

Die Nachbarschaft berührt unmittelbar Fragen des Zusammenlebens: In welcher Nachbarbarschaft möchte ich leben? Was ist auch gesellschaftlich erwünscht oder unerwünscht? Heute leben Familienmitglieder an verschiedenen Orten, die soziale Vielfalt nimmt zu, und wegen steigender Mieten müssen alteingesessene Mieterinnen und Mieter vertraute Wohnlagen verlassen. Die Bedeutung von Nachbarschaft ist stärker in das Bewusstsein gerückt. Auch die Corona-Pandemie bewirkt eine höhere Aufmerksamkeit für die unmittelbare Wohnumgebung, zu der ich selbstverständlich auch die Nachbarn zähle.

Soziale Mischung

In vielen Städten entwickeln sich die Wohngebiete auseinander. Einerseits bilden sich Stadtviertel mit schlechter Bausubstanz aus, in denen Geringverdiener, Alleinerziehende und Migranten leben. Andererseits leben Wohlhabende unter sich, jedoch in geringerer Dichte und mit höherem Wohnstandard. In der Heinrich-Pesch-Siedlung werden verschiedene soziale Schichten nah beieinander wohnen und stärker aufeinandertreffen als dies typischerweise in städtischen Neubaugebieten der Fall ist.

Ich erwarte, dass unterschiedliche Formen und Niveaus des Zusammenlebens auszuhandeln sein werden und dies auch nicht konfliktfrei verläuft.

Heinrich Pesch Siedlung

Die Heinrich-Pesch-Siedlung ist eines der größten Siedlungsprojekte in Ludwigshafen und Mannheim der letzten Jahre. Das Konzept sieht weitaus mehr vor als die übliche Flächennutzung durch Wohnbau und Gewerbe: Die Siedlung wird als gesellschaftliches Gestaltungselement verstanden. Unterschiedliche Altersgruppen und Menschen formen ihren gemeinsamen Alltag und sorgen für ein neues Miteinander

Was ist überhaupt Nachbarschaft?

Nachbarschaft ergibt sich zunächst einmal rein räumlich: Zwei räumliche Einheiten (Wohnungen, Grundstücke) grenzen aneinander und legen den Bewohnerinnen und Bewohnern nahe, soziale Beziehungen einzugehen. Nachbarschaftsverhältnisse reichen von Ablehnung über Gleichgültigkeit bis hin zur Freundschaft.

Probleme entstehen vor allem dann, wenn die nahen Nachbarn in ihren Werthaltungen und Lebensstilen weit voneinander entfernt sind. Manche Menschen entziehen sich – sofern die Verhältnisse es ermöglichen – fremden Umgangsweisen, indem sie sich abgrenzen und Nähe vermeiden. Eine Ähnlichkeit von Bewohnern nach Lebensphasen (Familien mit kleineren Kindern, ältere Menschen), Werthaltungen und Vorlieben erhöht im Allgemeinen die Chance auf eine aktive Nachbarschaft, die sich möglicherweise im Bedarfsfall auch wechselseitig unterstützt.

Traditionellerweise geht es bei Nachbarschaft um die Nothilfe in Form von Ausleihen, Kinder mitzunehmen, beim Einkauf etwas mitbringen, Babysitten oder auch Gartenarbeit für ältere Menschen. Um das Verhältnis im Gleichgewicht zu halten, wird eine wechselseitige Unterstützung angestrebt. Nachbarn signalisieren für kleine Kinder im Wohnumfeld soziale Zugehörigkeiten. Nicht zuletzt sind Nachbarn Kommunikationspartner. Die “kleinen Kontakte des Alltags”, über den Gartenzaun hinweg, an der Mülltonne oder an der Haustür sind vor allem für die weniger Mobilen unter uns wichtig.

Siedlung Heinrich Pesch

„Nicht allein sein und doch frei sein.“

Dieses Zitat stammt aus einem unserer Interviews zu gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Auch die Heinrich-Pesch-Siedlung bietet Möglichkeiten für den Traum, mit Freunden und Bekannten zusammenzuwohnen.

Das neue Quartier trägt dazu bei, Nachbarschaft neu zu formulieren und der Stadtentwicklung neue Impulse zu geben.

Mit den verschiedenen Bewohnerinnen und Bewohnern und ihren Gewohnheiten, Sprachen und Bräuchen müssen auch Wege gefunden werden, die die weniger Redegewandten einschließen. Eine organisierte Nachbarschaft wie in der Heinrich-Pesch-Siedlung wird zudem immer wieder die Balance zwischen Nachbarschaft und Großstadtleben, Aktivität am Ort und anderen Interessen finden müssen. Auch wenn Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohner, Familien und ältere Menschen ihre Nachbarn besser kennen als jüngere Menschen, die allein oder in Partnerhaushalten leben, sind die letztgenannten mit ihrer Nachbarschaft nicht unzufriedener.

Ich bin gespannt, wie sich die unterschiedlichen Nachbarschaften entwickeln werden. Georg Simmel hat formuliert: „… dass diese Nähe die Grundlage sowohl des überschwänglichsten Glücks wie des unerträglichsten Zwanges sein kann“ (1908): Der Heinrich-Pesch-Siedlung wünsche ich in ihrer Vorreiterrolle vielfältige, anregende und zufrieden stimmende Nachbarschaften.


Annette Spellerberg

Annette Spellerberg hat an der TU Kaiserslautern die Professur „Stadtsoziologie“ im Fachbereich Raum- und Umweltplanung inne. Sie hat vor allem die Wechselwirkungen von sozialen und räumlichen Verhältnissen und arbeitet zu den Themenbereichen Wohnen, demografischer Wandel, Stadt- und Regionalsoziologie und räumliche Folgen der Digitalisierung. Bevor sie 2002 nach Kaiserslautern kam, hat sie an der Universitäten Bamberg, der FU Berlin und am Wissenschaftszentrum Berlin zu Lebensphasen und Lebensstilen gelehrt und geforscht.

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