Brief Kirche

Sinn  

Antwort auf »Bist du noch da?«

Eine Replik von Tobias Zimmermann SJ

Vor Kurzem hat Stefan Weigand hier auf Sinn und Gesellschaft einen Brief an die Kirche veröffentlicht. Der Jesuit Tobias Zimmermann greift die Themen und Fragen auf – und antwortet.

Du hast in der letzten Ausgabe einen Brief an „die“ Kirche geschrieben. Von wem hast Du eine Antwort erwartet, von Deiner Gemeinde, dem Bischof? Dein Brief umspielt gekonnt die Fragen von Ernüchterung und all der Kirchenaustritte, letzte, enttäuschte Botschaften! Und wieder, an wen eigentlich? Ich merke: Ich ziehe mir den Schuh an. Ich bin traurig. Warum genüge auch ich der Botschaft Jesu offenbar so wenig, dass es in meiner Umgebung Kirchendistanz gibt, obwohl mich selbst die „Freundschaft“ mit Jesus mit Freude und Lebendigkeit erfüllt.

Natürlich gibt es den ganz großen Schmerz: Den Vertrauensverlust angesichts von Gewalt, Korruption und Leitungsversagen. Ein eigenes Thema! Aber erklärt sich unser Mangel an Resilienz gegen diese große Krise nicht durch den schleichenden Verlust an Haltung und die im Alltag erkaltete Liebe? Was für ein kleines Karo bestimmt seit Langem unseren Alltag: Überalterte Gemeinden. Neue Mitglieder werden verjagt, weil sie die Pfründe aufgeteilter Wichtigkeiten und die liebgewordenen Routinen bedrohen. Verbissene Türsteherdebatten, wem bei abweichendem Verhalten und „falschen“ Ansichten die Clubmitgliedschaft entzogen wird. Absurde Theorien, mit denen ein Männerclub seine Privilegien als Theologie tarnt. Kein Wunder, dass Menschen uns, die Kirche, verlassen wie einen Kleingartenverein, der sich in einem Stellungskrieg über die erlaubte Krümmung von Salatgurken eingegraben hat.

Unsere Gemeinschaft ist so viel größer: Mal ganz abgesehen von unserem geistlichen Erbe, von Jesus, haben wir die einzige, bei allen erheblichen Mängeln doch funktionierende, zivile Organisation anvertraut bekommen, die weltweit konkret zusammenlebt und – arbeitet.

Und in einer Welt, in welcher die Durchschnittsüberlebensdauer eines Unternehmens noch nicht einmal zehn Jahre beträgt, wird in unserer Gemeinschaft ein ideeller Kern ununterbrochen seit zweitausend Jahren lebendig an die nächste Generation weitergereicht. Gibt es wenigstens ab und an einen Moment der Ehrfurcht vor all dem? Was für Schätze für die eigene Orientierung und welche Ressourcen an Sinn und Kraft für die Menschwerdung haben wir anvertraut bekommen!

Das alles kampflos aufgeben?

Das alles kampflos aufgeben? Nein! Austreten und Besseres gründen? Es steht mir nicht an, das jemandem auszureden. Aber ich persönlich bin überzeugt: Wenn es nicht in der Vereinzelung endet, dann in einem separatistischen Kleingartenverein, der sich noch biederer, noch irrationaler und noch verbiesterter aufführt.

Meine Mitverantwortung am institutionellen Unrecht? Wie gesagt: Ein großes Thema! In Kürze: Auch da bleibt wenigstens mir nur der mühsame Kampf um Veränderung, so schwer es für alle Beteiligten ist. Ich kann ja auch nicht aus Deutschland austreten, nur weil ich im Moment nicht sehe, wie eine Menschen fressende Einwanderungspolitik zu ändern wäre, mit der wir uns schuldig machen an tausenden Toten im Mittelmeer.

Nüchternheit finde ich, geistlich gesehen, einen Schritt zu persönlichem Wachstum. Das meine ich nicht auf Dich, sondern auf uns als Generation gemünzt. Im Bild gesagt: Wenn Dich die Gummibäume im Pfarrzentrum stören: Mach sie weg! Aber schaff was Schöneres an!

Am Ende geht alles um Vertrauen: Als Ignatius mit der Wahl eines Papstes konfrontiert war, den er für einen Feind der eben gegründeten Gesellschaft Jesu hielt, wurde er blass, verließ den Raum zum Gebet.

Hinterher sagte er nur: „Alles wird gut!“ Ja, am Ende wird alles gut! Und wenn jetzt nicht alles gut ist, liegt es daran, dass es eben noch nicht zu Ende ist.

Brief an die Kirche

»Bist du noch da?« Ein Brief an die Kirche

Vor Kurzem hat Stefan Weigand hier auf Sinn und Gesellschaft einen Brief an die Kirche veröffentlicht. Der Text von Tobias Zimmermann ist eine Antwort darauf. Den ursprünglichen Brief können Sie hier nachlesen:

Fotos: © David-W/photocase.com, © Vadim Brown/photocase.com


theo Magazin

Dieser Brief wurde erstmals in Ausgabe 3/2021 vom theo-Magazin abgedruckt. Das Magazin erscheint fünfmal jährlich und blickt auf Kirche, Glaube, Spiritualität, Kultur und Gesellschaft.


Tobias Zimmermann SJ

ist Priester, Pädagoge und Jesuit. Als Autor und als Mitbegründer des Zentrums für Ignatianische Pädagogik (ZIP), das er seit Oktober 2019 leitet, arbeitet Tobias Zimmermann an Projekten der Entwicklung der katholischen Schulbildung und Spiritualität, in der Schulentwicklung, im Coaching für Leitungskräfte und in der Fortbildung von Schulleitungen und Pädagogen. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Heinrich Pesch Hauses und wirkt mit an der Weiterentwicklung der Akademie im Bereich Online-Bildung, neue Schwerpunktthemen sowie an der Entwicklung der Heinrich Pesch Siedlung, einem Modellprojekt für soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Foto: Stefan Weigand

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