Werden die 480 Politikerinnen im Bundestag die Politik in Deutschland ändern?
Habe ich mich in meinem letzten Essay noch darüber aufgeregt, dass so wenige Frauen wie seit 20 Jahren nicht mehr im Bundestag sitzen – jetzt kann ich mich eigentlich nicht beschweren. Nach dieser Wahl, die für mich auch eine Zeitenwende ist, werden es fast 35 Prozent sein, in Zahlen 480 Sitze für Frauen. Sicher, wir sind 52 Prozent in der Bundesrepublik. Es ist also noch Luft nach oben.
Dennoch will ich den Fokus heute auf zwei Frauen ausrichten, die für viele, gerade junge Frauen „Leuchttürme“ sein können, Vorbilder für einen Weg in die Politik. Das ist die alte und neue Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns, Manuela Schwesig, und die neue Berliner Erste Bürgermeisterin Franziska Giffey. Ein ungewöhnliches Siegerinnen-Duo. Beide waren bereits mal Bundesfamilienministerinnen, für viele Politikerinnen wohl ein Sprungbrett nach oben. Beide kommen aus Ostdeutschland, beide vertreten in der SPD einen pragmatischen, ideologiefreien und bodenständigen Mitte-Kurs. Beide haben auf Grund ihres jungen Alters noch viel Zeit vor sich und ich prognostiziere für beide eines Tages noch weitere Führungspositionen in diesem Land.
Frauen für die Zukunft
Manuela Schwesig holte 39,6 Prozent der Stimmen, einen Zuwachs von neun Prozentpunkten. Sie nennt sich ganz selbstverständlich „Landesmutter“. Als sie 2017 – das Jahr, als die ersten Koalitionsverhandlungen nach der damaligen Wahl wegen Christian Lindner platzten – den an Krebs erkrankten Erwin Sellering im Regierungsamt beerbte, wurde sie in Meck-Pomm, so sagen das die Bewohner dort, noch als „Küstenbarbie“ verulkt.
Das ist vorbei. Sie regiert mit fester Hand. Fährt in der Corona-Krise einen harten, erfolgreichen Kurs und scheut keineswegs die Auseinandersetzung mit der Kanzlerin. Als sie an Brustkrebs erkrankt, zieht sie sich zurück aus der Berliner Politik. Tritt dann mutig nach einem Jahr Operation und Chemotherapie mit kurzgeschorenem Kopf vor die Presse um ihre Heilung zu kommunizieren. Das war beeindruckend. Manuela Schwesig ist für mich gerade jetzt nach diesem Wahlsonntag eine Frau für die Zukunft.
Das attestiere ich auch Franziska Giffey, der Berlinerin. Erst nach einer Zitterpartie in der Nacht zum Montag war klar, dass sie sich gegen die Grüne-Kontrahentin Bettina Jarasch knapp mit 21,4 Prozentpunkten durchsetzen konnte. Die sogar über einige Stunden führte und damit Franziska Giffey beinahe besiegt hätte.
Mit neuen Ideen in die Zukunft
Franziska Giffey will jetzt vieles anders machen in der Bundeshauptstadt. Den Ärger um ihre Plagiatsaffäre vergessen und, wie sie immer wieder Journalisten antwortete: “ In die Zukunft blicken“. Sie kann viele Erfolge als Bundesfamilienministerin vorweisen, sie war eine der ganz erfolgreichen im Merkel´schen Kabinett. Mutig ist sie von ihrem Amt zurückgetreten, mit dem Blick auf den Posten des Regierenden Bürgermeisters in ihrer Stadt. Jetzt hat es geklappt.
Wir werden noch viel von ihr hören. Sie kennt die Stadt wie kaum eine andere. Schließlich war sie bis 2017 auch Bürgermeisterin im Berliner Problembezirk Neukölln und brachte es dort mit Durchsetzungsstärke und Bürgernähe zu großer Popularität. So bekannt, dass sie dann, so erzählt man sich, die Bundeskanzlerin selbst als Ministerin für das Familienministerium ins Gespräch gebracht hat.
Leuchtturm-Frauen in der Politik
Die Bundeskanzlerin, da packt mich ein gewisse Wehmut. Wir werden sie vermissen, in ihrer unaufgeregten, uneitlen Art. Angela Merkel hat als „figurehead“, als Leuchtturm-Frau, ganz sicherlich dazu beigetragen, dass sich wieder mehr Frauen in der Politik engagieren. Da ist eine 16 Jahre Chefin – das geht also! Sie geht aufrechten Hauptes, zu einem von ihr selbst bestimmten Datum, und wird ganz sicherlich nicht, wie so machen Männer in der politischen Szene, irgendwelche weiteren Ämter übernehmen, um noch „dabei“ zu sein. Das ist nicht ihr Stil.
Zu den weiblichen Leuchttürmen in der politischen Landschaft gehört für mich auch Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Wie souverän und gelassen hat sie die Corona-Krise kommuniziert, wie mutig ist die an MS-Erkrankte am Arm von Angela Merkel durch die verwüsteten Dörfer im Ahrtal gegangen. Berührende Bilder.
Bilder prägten den Wahlkampf
Wie es überhaupt auch bei diesem Wahlkampf die Bilder waren, die über die Emotionen die Entscheidungen der Menschen geprägt haben: Der lachende Laschet. Die sich entschuldigende Annalena Baerbock. ( Hat noch nie ein Politiker gemacht). Der finster blickende Söder, nachdem sich die CDU für Laschet entschieden hatte.
Beim scrollen durch die Listen der neuen Abgeordneten in Berlin ist mir aber auch eine 28-jährige junge Frau aufgefallen: Jamila Schäfer von den Grünen in München. Sie ist die einzige Grüne, die jemals bei einer Bundestagswahl einen Wahlkreis in Bayern direkt gewonnen hat. Im Münchner Süden auch noch. Der, so erinnere ich sehr wohl meine Heimatstadt, traditionell konservativ aufgestellt ist. Seit 1976 haben dort nur die Christsozialen gewonnen – jetzt aber: Jamila. Auch von der werden wir noch hören. Sie erzählt der Süddeutschen Zeitung völlig offen von ihrem Wahlkampf: „Wir waren pausenlos unterwegs, an den Haustüren, im Biergaren in den Infoständen.“ Der Erfolg gibt ihr Recht. Dass sie Gast bei Markus Lanz in der Talkshow war, hat ihr sicherlich zusätzlich geholfen …
Wohin jetzt, Deutschland?
Werden die 35 Prozent Frauen im Bundestag die politische Landschaft verändern? Oder werden es doch wieder vor allem die Männer sein, die, wie bei den Koalitionsverhandlungen, den Takt vorgeben? Dennoch blicke ich in voller Hoffnung auf die politische Zukunft unseres Landes. So wie es Bundespräsident Frank Walter Steinmeier zum 125. Geburtstag der Juristin Elisabeth Selbert vor kurzem in Kassel formuliert hat. Denn sie hat damals den Grundstein gelegt mit ihrem Kampf gegen die Männer im Grundgesetzgebungs-Gremium: „Frauen und Männer sind gleich-berechtigt“. Paragraph 3 GG. Aber wahr ist auch : wir müssen immer noch und immer wieder darum kämpfen. Auch 2021.
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