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Zusammenleben  

Das Ende einer Freundschaft oder: Worauf es jetzt ankommt

Deutschland und Europa haben jetzt keine Ausreden mehr, aber die Wahl

War das die entscheidende Essenz der Lehren aus dem Auftritt des amerikanischen Vizepräsidenten J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz: das Ende der deutsch-amerikanischen Freundschaft? Ich denke, es gibt mehr zu lernen, und dies gerade nicht.

Erstens: Mit dem Amerika, das J. D. Vance verkörpert, kann es gar keine Freundschaft geben. Freundschaften basieren auf Werten wie persönlicher Integrität in den Absichten, Interesse am Anderen, der Bereitschaft zum Ausgleich und auf Verlässlichkeit in der Gestaltung von Beziehungen. Wie wenig ihm all das bedeutet und wie sehr für ihn Stärke darauf beruht, all diese Werte im Zweifel für dubiose Geschäfte über Bord zu werfen, das sagt und lebt Donald Trump offen vor. Und seine Klone Musk und Vance ahmen ihn eifrig nach.

Kriegserklärung an demokratische Institutionen

Vor allem beruht Freundschaft mit anderen auf der Fähigkeit zur Annahme seiner selbst und zu innerem Frieden. Trump aber und mindestens der militante Teil seiner Anhänger, alles angeblich Republikaner, also Feinde der Tyrannei, stehen für den inneren Furor einer Meinungstyrannei, die alles ausgrenzt, zerstört und demütigt, was nicht zum eigenen Bild von Amerika passt. Sie haben demokratischen Institutionen den Krieg angesagt. Damit repräsentiert ausgerechnet Donald Trump, der noch an jeden Abfalleimer „America First“ klebt, als Präsident in Wahrheit eine tief kranke und zerklüftete Nation, die mit sich selbst im Krieg liegt.

Wer will schon Freundschaft mit dieser USA, deren Botschafter J. D. Vance ist? Ist nicht eher dies die erste Lektion für Deutschland und Europa:

Wir müssen uns mit allen Kräften wehren gegen den Spaltpilz einer politischen Unkultur der roten Linien, der Ultimaten und der Ausgrenzung von Andersdenkenden sowie der hemmungslosen Polarisierung und persönlich ausgelebten Feindschaft gegen politische Gegner? Damit Europa, damit Deutschland nicht bald ein ähnlich trauriges Bild abgeben wie die USA.

Entschiedene Verteidigung der Demokratie

Zweitens, Europas Zukunft und umso mehr Deutschlands Zukunft liegen, bei allen Meinungsunterschieden, in der entschiedenen und solidarischen Verteidigung einer offenen und demokratischen Kultur, die Freundschaft nach innen und nach außen erst möglich macht. Die Säulen dieser Kultur sind regelbasierte, faire Beziehungen, die der Willkür der Herrschenden entzogen sind, und eine kritische Öffentlichkeit, die sich neben der freien Meinungsäußerung einem Ethos der Wahrheit verpflichtet weiß.

Genau hier aber liegt der Kern der ersten Lektion. Bevorzugtes Ziel des giftigen Auftritts von J. D. Vance war die kritische Öffentlichkeit in Europa, die sich nicht willfährig den undurchsichtigen Regeln der Brutalo-Kommunikation unterwirft, die das Geschäftsmodell der amerikanischen Social-Media Giganten bilden. Hier sollte Europa als allererstes ansetzen und das Monopol amerikanischer Konzerne wie X, Facebook etc. nicht gewähren lassen. Emmanuel Macron liegt mit seinem politischen Vorstoß in diese Richtung wieder einmal absolut richtig. Deutschland sollte ihn mit seinem Zaudern diesmal nicht allein im Regen stehen lassen.

Ist das das Ende der Freundschaft zu Amerika?

Was aber bedeutet diese Zäsur nun für die Freundschaft von Deutschland und Europa zu Amerika? Das Ende? Nein, ganz sicher nicht. Erstens gibt es immer noch all die wundervollen Menschen, die ich in den USA kennenlernen durfte; Menschen unterschiedlicher politischer Lager. Sie verkörpern in ihrem Leben sicherlich auch heute noch jenes offene, solidarische und demokratische Erbe, das es für mich zum Privileg machte, Freund dieses Amerikas zu sein. Mit diesem freiheitsliebenden, solidarischen und weltoffenen Amerika fühle ich mich weiterhin verbunden, auch wenn es heute geschunden und mit sich selbst Feind am Boden liegt.

Ich bin mir sicher, es wird auferstehen, in dem Moment, in dem es sich auf seine Wurzeln besinnt, die Tyrannen zu bekämpfen. Nein, Europa darf sich keine Gegnerschaft mit den USA aufzwingen lassen, solange es noch Freunde von Europa in Amerika gibt, und schon gar nicht von einer Administration, die noch nicht einmal vorgibt, Amerika in Gänze zu repräsentieren. Dazu kommt: Es ist auch eine Frage der Freiheit, sich – so lange es geht – keine Gegnerschaft aufdrängen zu lassen, die nicht dem eigenen Wunsch und Interesse entspricht.

Keine verlässliche Freundschaft mit Tyrannen möglich

Drittens aber sollten Europa und erst recht Deutschland sich klarmachen, dass es keine verlässliche Freundschaft mit Tyrannen gibt, auch nicht mit den Tyrannen Amerikas, die einer demokratischen Wahl entsprangen. All die Spezis von Trump, die sich nach seinem Wahlsieg in seinem Ruhm sonnten oder die im Wahlkampf den Trump geben mit markigen Sprüchen; insbesondere auch die AFD, die sich gerade über die Wahlwerbung von Musk und Vance freut. Sie alle sind für das Amerika Trumps keine Freunde, sondern nützliche Idioten für die Spaltung und die Schwächung Europas. Und wenn dann noch etwas lächerlich ist, dann sind es Deutsche, die die Trump-Masche von „America First“ kopieren wollen, während ihr „Freund“ J. D. Vance sie gerade an Russlands Hegemonialstreben in Europa verfüttert.

Nein, Verlass wird auf die USA im nächsten Jahrzehnt nicht sein. Sich dem zu stellen, mit aller Entschiedenheit und Konsequenz, ist nicht nur unbequem, sondern eine Herausforderung, die zu stemmen die Anstrengung einer ganzen Generation braucht. Europa muss sich selbst neu erfinden, wenn es sich treu bleiben will.

Aber ich bin mir sicher: Europa und Deutschland im Kreis der europäischen Freunde können das, wenn wir es wollen und wählen. Die einhellige Klarheit und die ruhige Entschiedenheit, mit denen Politiker unterschiedlichster Lager wie Frank-Walter Steinmeier, Annalena Baerbock, Wolfgang Pistorius und Markus Söder dem destruktiven Auftritt der Trump-Administration entgegentraten, macht mir Hoffnung.

Ebenso die umsichtige und ruhige Entschiedenheit an der europäischen Spitze in Brüssel. Und Deutschland hat jetzt die Wahl: Wählen wir Parteien wie die AFD oder die BSW, die uns aus Angst, Bestechlichkeit oder Bequemlichkeit der Willkür von Tyrannen ausliefern wollen? Oder bleiben wir uns selbst treu als freies, demokratisches und offenes Europa? Lasst uns den Anfang machen. Nein, Mr. Vance, mit uns fahren Sie nicht Schlitten!

Foto: © Wildpixel/iStock.com


Tobias Zimmermann SJ

ist Priester, Pädagoge und Jesuit. Als Autor und als Mitbegründer des Zentrums für Ignatianische Pädagogik (ZIP), das er seit Oktober 2019 leitet, arbeitet Tobias Zimmermann an Projekten der Entwicklung der katholischen Schulbildung und Spiritualität, in der Schulentwicklung, im Coaching für Leitungskräfte und in der Fortbildung von Schulleitungen und Pädagogen. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Heinrich Pesch Hauses und wirkt mit an der Weiterentwicklung der Akademie im Bereich Online-Bildung, neue Schwerpunktthemen sowie an der Entwicklung der Heinrich Pesch Siedlung, einem Modellprojekt für soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Foto: Stefan Weigand

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