Zusammenleben  

Unterdrückung überwinden – Couragiert gegen Diskriminierung

Was wir gegen Rassismus, Klassismus und Sexismus machen können

Von Rassismus, Klassismus, Sexismus und der damit einhergehenden Diskriminierung in Deutschland bin ich nicht betroffen. Im Gegenteil: Immer wieder, ob auf meinem Lebensweg oder auf den Wegen, die ich durch den öffentlichen Raum nehme, spüre ich es. Ich bin strukturell bevorteilt, sogar dreifach privilegiert: Ich bin ein sogenannter Cis-Mann, bei dem das im Geburtenregister eingetragenen Geschlecht mit der Geschlechtsidentität übereinstimmt, ich bin weiß und ich bin aus der Mittelschicht.

Dazu ein aktuelles, konkretes Beispiel:

Bei der Wohnungssuche in einer mittelgroßen deutschen Stadt habe ich fünf Wohnungsbesichtigungen. Da ich nicht unmittelbar auf die Wohnungen angewiesen bin, trete ich selbstsicher und ohne Nervosität auf. Die unbelastete Schufa-Auskunft ruht neben anderen Dokumenten, die meine Bonität beweisen, in der Tasche. Durch meine Sozialisation und Bildung kann ich mich relativ eloquent ausdrücken, bin gut vorbereitet und kenne einige der „feinen Unterschiede“ (Pierre Bourdieux). Ich erhalte fünf Zusagen. Manche der Vermieter*innen raunen mir nach der Besichtigung Dinge zu wie: „Sie sind mein Favorit – wenn Sie die anderen Gestalten hätten sehen können, die schon da waren“. Oder: „Ihren Namen kann ich wenigstens aussprechen“.

Reflektieren – Kritisieren – Handeln

Die Privilegien, die vor allem weißen Cis-Männern in Deutschland zukommen, nicht zu erkennen, wäre blind und unreflektiert. Es braucht nur einen minimal taxierenden Blick, um die kleinen und großen Ungleichheiten, die täglich reproduziert werden, zu erfassen.

Nur in Ansätzen kann ich mir vorstellen, wie es Menschen geht, die den eurozentristischen, heteronormativen Idealen weniger entsprechen. Da gibt es zum einen die Mikroaggressionen (Blicke, Gesten, Kommentare), denen sie ausgesetzt sind und für die die Journalistin Alice Hasters treffende Worte findet:

„Diese kleinen Momente wirken wie Mückenstiche. Kaum sichtbar, im Einzelnen auszuhalten, doch in schierer Summe unerträglich“.

Zum anderen bestehen einschneidende, strukturelle Ungerechtigkeiten wie zum Beispiel bei der beschriebenen Wohnungssuche, jedoch auch in deutschen Behörden oder im medizinischen Bereich.

Rassismus, Klassismus und Sexismus sind nicht selten verschränkt und wirken gemeinsam. Diese sogenannte Intersektionalität äußert sich dann besonders verheerend.

Rassismus, Klassismus und Sexismus sind macht- und herrschaftsstabilisierende, komplexe und ineinandergreifende Systeme, die die soziale Wirklichkeit auch in Deutschland strukturieren. Diese Systeme trennen die Menschen in dominierende und unterdrückte Gruppen. Und sie bilden auch die Grundlage für Hass und menschenverachtende Gewalttaten, besonders wenn sie in Rechtsradikalität vereint sind: die Mordserie der Terrororganisation NSU, der rechtsterroristische Mord an Walter Lübcke, Halle, Hanau …

Was ist zu tun?

Das deutsche Grundgesetz stellt die Würde des Menschen sowie Werte wie Gleichheit, Freiheit und Anerkennung an die erste Stelle. In unserer Verfassung werden Teilhaberechte für alle Bürger*innen festgelegt. Moderne Demokratien generell berufen sich auf Pluralität und Parität. Das Problem ist, dass diese Werte und Ansprüche für viele zwar „normativ versprochen, aber empirisch nicht gewährt“ werden, wie die Professorin Naika Foroutan ausführt.

Nicht falsch verstehen: In Deutschland sieht es heute besser aus als vor 20 Jahren und sehr viel besser als vor 50 Jahren. Rassismus, Klassismus und Sexismus werden häufiger und deutlicher benannt als zu früheren Zeiten. Die Stimmen unterschiedlichster Minderheiten sind lauter geworden und werden öfter gehört. Es wird mehr miteinander gesprochen. Dies sind gute Entwicklungen. Auch gesetzliche Änderungen finden statt, zuletzt etwa die Überwindung der diskriminierenden Regelungen beim Blutspenden.

Doch es muss mehr getan werden: Es braucht eine gesamtgesellschaftliche Anerkennung der historisch gewachsenen, tiefgreifenden Diskriminierungsstrukturen in Deutschland. Es braucht das entschiedene Handeln der Politik und langfristige Initiativen der Bundesregierung. Und auch im Bildungsbereich müssen wir reagieren: Die schulische und außerschulische Bildung muss die koloniale Vergangenheit Deutschlands vermehrt zum Thema machen und Anti-Diskriminierungs-Praktiken erklären.

Veranstaltungstipp:

Couragiert gegen Rassismus

In unserer Republik ist kein Platz für Rassismus, Hass und Hetze! Der Aktionstag „Couragiert gegen Rassismus“ am 27. April im Heinrich Pesch Kaus soll Jugendliche empowern und für die Themen Rassismus und Diskriminierung sensibilisieren.

Freiheit und Gleichheit in der ‚sozialen Demokratie‘

Der amerikanische Philosoph John Dewey hat treffend beschrieben, wie die Verwirklichung der ‚sozialen Idee‘ der Demokratie aussehen kann. Für Dewey ist es besonders wichtig, dass die existierenden demokratischen Institutionen und Gesetze auch von demokratischen Werten unterfüttert werden:

In einer echten Demokratie existieren nicht nur demokratische Regierungsstrukturen, sondern die gesamte Gesellschaft, alle gemeinschaftlichen Belange sind demokratisch organisiert. In einer echten Demokratie können alle Menschen ihre individuelle Einzigartigkeit voll entfalten und sind durch den freien Verkehr und Austausch ihrer Erfahrungen miteinander verbunden. In einer echten Demokratie gibt es keine Mauern, die die Menschen in oben und unten, in zugehörig und nicht-zugehörig, in bedeutend und unbedeutend trennen.

Im Gemeinschaftsleben einer ‚sozialen Demokratie‘ wird die Losung der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verwirklicht. Gleichheit bedeutet dabei die „wirkliche Achtung für alles, was in jedem Menschen besonders und einmalig ist, ungeachtet physischer und psychologischer Ungleichheiten“.

Vielleicht wird die ‚soziale Demokratie‘ niemals Wirklichkeit. Es liegt jedoch an uns, sie auf den Weg zu bringen.


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