Julia Enxing

Nachhaltigkeit  

»Und Gott sah, dass es schlecht war«

Warum der christliche Glaube und die Verantwortung für die Schöpfung untrennbar sind

Die Klimakrise ist nicht mehr zu leugnen. Doch wie steht es um die Verantwortung von Christ*innen, sich für den Erhalt er Umwelt einzusetzen? Es scheint so, dass dem Schöpfungsgedanken kaum Bedeutung beigemessen wird. Dabei steht und fällt damit das christliche Menschenbild. Ein Plädoyer von Julia Enxing

Die Zukunft, für die die Klimaaktivist*innen unserer Zeit streiten – seien es die Engagierten bei »Fridays for Future«, die »Scientists/Parents/Grandparents/Christians/Church for Future« –, darf keine Zukunft sein, sie muss zur Gegenwart werden. Soll es eine Zukunft für unsere und viele andere Spezies auf diesem Planeten Erde geben, müssen wir uns erinnern, dass dieser Planet uns doch einst zur Bewahrung aufgegeben wurde.

Das Argument, dass unsere bisherige kirchliche Verkündigung, unsere Schöpfungstheologie und Anthropologie, d. h. die Lehre vom Menschen, doch längst den richtigen Pfad gewiesen hätte und es nur gelte, diese auch umzusetzen, hilft uns nicht weiter. Die Wirklichkeit legt offen, dass unsere bisherige kirchliche Lehre und Verkündigung, unsere »Theologie der Erde« an ihre Grenzen gekommen sind.

Wenn die Realität die Theorie diskreditiert, muss sich die Theorie ändern, damit sich die Realität wandelt. Der jesuanische Aufruf: »Kehrt zum Leben um und vertraut dem Evangelium« (Mk 1,15b) gilt für uns heute genauso wie für die Gemeinde der Jünger*innen. Immer wieder ist es an der Zeit umzukehren. Warum? Weil wir uns immer wieder in unserem Handeln und Denken täuschen, solange wir noch nicht erlöst sind.

»Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung mit uns gemeinsam schreit und mit uns zusammen an der Geburt arbeitet – bis jetzt!« (Röm 8,22); solange das Reich G*ttes zwar angebrochen ist, seiner Vollendung aber noch harrt, so lange treffen wir falsche Entscheidungen, müssen unsere Wege korrigieren, einsehen, dass wir zu sehr auf Risiko gespielt haben, uns verkalkuliert und überschätzt haben.

Wir müssen einsehen, dass der Preis für unser Leben zu hoch ist, weil der Preis kein anderer ist als das Leben anderer.

Auch in dieser Erlösungsbedürftigkeit sind wir über alle Generationen hinweg und mit der gesamten Schöpfung vereint. In seinem Brief an die Gemeinde in Rom zieht der Apostel Paulus deshalb folgende Konsequenz: Wenn wir verstanden haben, dass wir uns noch immer verfehlen, einander auch Grausames tun, einander zu wenig füreinander sind, dann, so Paulus, bedeutet das, dass wir uns nicht nur an unseren menschlichen Maßstäben orientieren dürfen, denn diese sind eben noch unvollkommen.

Welche Maßstäbe haben wir eigentlich für unser Handeln?

Das Gute ist: Wir sind nicht ausschließlich an unsere eigenen Maßstäbe gebunden. Als Christ*innen glauben wir daran, dass wir mit der Kraft (G*ttes) beschenkt sind, die uns immer wieder hilft, unsere Selbstzentriertheit zu sprengen, unseren Horizont zugunsten unserer Nächsten zu weiten. Dass die Einbeziehung des Wohls der anderen – durch und in der Kraft des Heiligen Geistes – eine Voraussetzung für Leben und Frieden ist. Das macht Paulus ebenfalls deutlich. Im Brief an die Gemeinde in Rom (Röm 8,4b–9a) formuliert der Apostel:

Das heißt, dass wir nicht nach menschlich begrenzten Maßstäben leben, sondern uns an der Geistkraft orientieren. Diejenigen, die sich durch die menschliche Begrenztheit bestimmen lassen, bleiben in ihren Vorstellungen begrenzt. Jene aber, die sich an der Geistkraft orientieren, gewinnen Einsicht in das Wirken der Geistkraft. Eine begrenzte Lebensperspektive bedeutet Tod, eine an der Geistkraft ausgerichtete Perspektive Leben und Frieden.

Deshalb ist eine begrenzte menschliche Denkweise G*tt gegenüber feindlich, weil sie sich nicht der Tora G*ttes unterstellt und auch gar nicht in der Lage dazu ist. Diejenigen, die in ihren Begrenzungen gefangen sind, haben nicht die Kraft, etwas für G*tt zu tun. Ihr aber seid nicht in menschlichen Grenzen gefangen, sondern lebt in der Geistkraft, so gewiss die Geistkraft G*ttes in euch wohnt.«

Unsere Würde steht auf dem Spiel

Die Frage, wie wir mit unserem Planeten Erde umgehen und wie wir ihn den nachfolgenden Generationen – sowohl den menschlichen als auch den tierlichen – hinterlassen, hängt eng mit der Frage zusammen, welche Menschen wir sein wollen, worin wir unsere Verantwortung sehen und worin Sinn und Ziel unseres Daseins bestehen.

Den Wert, den wir diesem, unserem Leben geben, die Sinnhaftigkeit unseres Seins, drückt sich auch in dem Wert aus, den wir diesem Planeten beimessen.

Sehen wir unser Leben als würdig, unsere Erde als lebenswert, die Schöpfung als erhaltenswert und das eigene sowie das Leben unserer Kinder und Kindeskinder als wertvoll – als mit Werten gefüllt – an, so wäre die Konsequenz, dieser Einsicht auch Ausdruck und Praxis zu verleihen. Nämlich darin, dass wir so integriert leben, dass das, was wir als lebenswert und wertvoll erachten, auch den nachfolgenden Generationen erhalten bleibt und von ihnen erlebt werden kann.

Der Ursprung verpflichtet

Die Würde des Menschen resultiert aus theologischer Sicht (auch) aus dem Glauben, als Ebenbild G*ttes geschaffen zu sein. Hierauf bin ich bereits mehrfach eingegangen. Dies bedeutet aber auch, als gestaltendes und nicht vernichtendes, als erhaltendes und nicht ausbeuterisches Individuum durchs Leben zu gehen. »Die Würde des Menschen ist unantastbar« – so unsere Überzeugung. Papst Franziskus’ Aussage aus Laudato sí 160, dass »wir uns bewusst werden [müssen, J. E.], dass unsere eigene Würde auf dem Spiel steht«, zeigt, wie sehr die aktuelle Klimakrise an den Grundfesten unseres Menschseins rüttelt. Ob wir den nachfolgenden Generationen »einen bewohnbaren Planeten« hinterlassen, entscheidet über unsere eigene Würde, bzw. entscheidet darüber, ob wir die uns eigene und unantastbare Würde eines jeden Einzelnen leben und achten oder sie bis zur Straffälligkeit mit Füßen treten.

Es mag pathetisch klingen, aber ich halte nichts für so dringend wie die Aufgabe, ein neues Bewusstsein für unsere inner- und intergenerationellen sowie planetarischen Verwobenheiten zu wecken und zu schärfen und einen neuen Weg einzuschlagen. Der christliche Glaube lebt aus dem Bewusstsein und der tiefen Überzeugung, dass die gesamte Schöpfung ihren gemeinsamen Ursprung in G*tt hat. Aus diesem gemeinsamen Ursprung wächst eine gemeinsame Solidarität, eine Solidarität füreinander. Wir, die wir aktuell diesen Planeten bewohnen, teilen nicht nur unsere Gegenwart. Wir sind auch für eine geteilte Zukunft verantwortlich.

Buchempfehlung

Buchcover Enxing

Der vorliegende Text ist ein Auszug aus dem Buch »Und Gott sah, dass es schlecht war« von Julia Exing.

Klima- und Umweltschutz sowie der Erhalt der Artenvielfalt kann nur gelingen, wenn wir uns in die ernsthafte Nachfolge Jesu Christi stellen, und das bedeutet: Niemals bequem bleiben, sondern immer mutig vorangehen! Aufstehen, um den entscheidenden Unterschied zu machen! Julia Enxing tritt in ihrem Buch entschlossen dafür ein, den christlichen Schöpfungsgedanken ernst zu nehmen.

Denn gutheißen kann Gott schon längst nicht mehr, wie der Mensch mit der Schöpfung umgeht: meterhohe Müllberge, Meere voller Plastik, Monokulturen so weit das Auge reicht. Zu lange und zu unerschütterlich vom Christentum befeuert, erlag der Mensch seiner Hybris, sich als „Krone der Schöpfung“ zu begreifen. Dabei ist längst allen klar, dass gerade der Mensch in einer besonderen Verantwortung steht, eine Zukunft im Einklang alles Existierenden zu gestalten. Friedvoll bewahrend statt ausbeuterisch unterwerfend!

Kösel Verlag, 192 Seiten, 13,5 x 21,5 cm
ISBN 978-3-466-37292-8

Foto: Amac Garbe


Julia Enxing

geb. 1983, ist Professorin für Systematische Theologie am Institut für Katholische Theologie der TU Dresden. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Theologien der Nachhaltigkeit, Öko- und Tier-Theologien, theologische Gender Studies und Prozesstheologie. Seit Langem fordert sie einen theologischen Paradigmenwechsel hin zu einer ganzheitlichen Theologie alles Existierenden. Sie geht verschiedensten universitären und außeruniversitären Engagements nach, ist u. a. Redaktionsmitglied des theologischen Online-Feuilletons feinschwarz.net, „Wort zum Sonntag“-Sprecherin in der ARD, Mitbegründerin des European Research Network „Transcending Species – Transforming Religion”, Mitglied im Executive Committee des European Forum for the Study of Religion and the Environment sowie Mitglied bei PRISMA – Zentrum für Nachhaltigkeitsbewertung und -politik der TU Dresden. 2023 erhält Julia Enxing den Preis der Herbert Haag Stiftung für Freiheit in der Kirche.

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