Internet Überwachung

Zusammenleben  

Schöne neue Sicherheit – und der stille Tod der Freiheit

Der hohe Preis der digitalen Kontrolle

Was geplant ist, erinnert weniger an Fürsorge, sondern an den Versuch, das digitale Briefgeheimnis abzuschaffen. Private Nachrichten sollen auf verdächtige Inhalte durchsucht werden – präventiv, automatisiert, flächendeckend. Ein Algorithmus liest mit, wo früher Vertrauen herrschte. Artikel 10 des Grundgesetzes – das Post- und Fernmeldegeheimnis – wird damit faktisch zur Fassade.

Freiheit stirbt selten mit einem Knall. Sie stirbt leise, scheibchenweise – und oft im Namen des Guten. Nicht immer durch Verbote oder Zensur von oben, sondern durch das, was Michel Foucault einst als „Selbstdisziplinierung“ beschrieb: Menschen passen sich an, beginnen, sich selbst zu überwachen. Denn wer weiß, dass jede Nachricht potenziell gelesen werden könnte, formuliert anders, denkt anders, schweigt vielleicht ganz.

Allein die Möglichkeit der Überwachung schafft Zensur.

„Ich habe ja nichts zu verbergen“, hört man oft – ein gefährlicher Satz. Denn er verkennt, dass Freiheit nicht darin besteht, nichts zu verbergen zu haben, sondern etwas verbergen zu dürfen. Das Recht, sich privat auszutauschen, ohne staatliche Einsicht, ist kein Luxus, sondern Kern der Menschenwürde.

Sicherheit – eine trügerische Währung

Immer wieder wird uns suggeriert, dass wir nur ein Stück Freiheit opfern müssten, um sicherer zu leben. Doch Sicherheit ist ein Versprechen, das Macht nicht selten als Köder benutzt. Die Geschichte lehrt uns, dass Überwachungssysteme – egal ob von links, rechts oder aus der Mitte – immer missbraucht wurden. Macht neigt zum Übergriff, wenn sie nicht begrenzt wird. „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut“, schrieb einst Lord Acton.

Auch der Blick auf andere Entwicklungen zeigt, wie schleichend Kontrolle zur Norm wird. Die Debatten um den digitalen Euro oder die Abschaffung des Bargelds folgen demselben Muster: Bequemlichkeit und Sicherheit als Lockmittel, totale Nachverfolgbarkeit als Preis. Doch Bargeld ist gelebte Freiheit – anonym, selbstbestimmt, menschlich. Wenn jede Zahlung digital registriert wird, entsteht ein vollständiges Verhaltensprofil. Big Brother ist längst nicht mehr Fiktion.

Unschuldsvermutung auf dem Prüfstand

Das Prinzip der Unschuldsvermutung – einer der Grundpfeiler unserer Rechtsordnung – droht durch solche Maßnahmen ausgehöhlt zu werden. Wenn jede private Nachricht präventiv kontrolliert werden darf, wird der Bürger nicht mehr als unschuldig betrachtet, bis das Gegenteil bewiesen ist. Er wird zum potenziellen Verdächtigen, bevor überhaupt ein Verdacht besteht. Eine Gesellschaft, die so denkt, misstraut ihren eigenen Menschen.

In welcher Kultur wollen wir leben?

Karl Popper sprach von der offenen Gesellschaft, die sich durch Kritikfähigkeit, Transparenz und individuelle Freiheit auszeichnet. Doch Offenheit braucht Vertrauen – nicht Kontrolle. Eine Gesellschaft, die ihre Bürger permanent beobachtet, verliert ihr Fundament: die freie, mündige Person.

Es geht nicht nur um Technik, sondern um Kultur.

Wollen wir in einer Kultur der Angst leben, in der jeder Klick verdächtig sein kann? Oder in einer, die dem Menschen zutraut, Verantwortung zu tragen – ohne permanente Aufsicht?

Die Grenze zwischen Schutz und Überwachung ist schmal. Doch wenn wir sie überschreiten, riskieren wir mehr als unsere Privatsphäre. Wir riskieren, den Geist der Freiheit zu verlieren, der Europa einst groß gemacht hat.

„Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren.“
Benjamin Franklin

Und vielleicht sollten wir uns am Ende nur eine Frage stellen: Wollen wir wirklich in dieser „schönen neuen Welt“ leben – einer Welt, in der Big Brother freundlich lächelt, während er über uns wacht? „Ist doch nur zu unserer Sicherheit“, haben wir gesagt. Doch gibt sie uns wirklich Sicherheit – oder nur das Gefühl davon? Und werden wir überhaupt noch merken, wenn wir längst freiheitslos – aber zufrieden – geworden sind?


Cathrin Rieger

ist Diplom-Sozialpädagogin (FH), Lehrerin, Systemischer Coach und Mediatorin. All dies wurde schon in jungen Jahren durch die Fragen ausgelöst: „Wozu sind wir Menschen auf der Welt? Und warum fühlen, denken und verhalten sich Menschen so, wie sie das tun? Wie können Beziehungen gelingen?“ Beruflich kann sie all ihre Kompetenzen und Herzensanliegen in ihrer Arbeit als Bildungsreferentin im Zentrum für Ignatianische Pädagogik umsetzen.

www.zip-ignatianisch.org

Foto: Anette Konrad

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