Gut gewollt oder gut gemacht?
Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in allen Lebensbereichen ist in weiten Teilen der Bevölkerung angekommen. Zwar reduzieren noch viele Mitbürger den Begriff „Nachhaltigkeit“ auf Umweltschonung oder – noch enger – Klimaschutz und CO2-Reduktion. Jedoch gehen die ESG-Kriterien darüber weit hinaus. Sie stehen für Environmental, Social, Governance, also Umweltschutz, soziales Verhalten / faire Arbeitsbedingungen. Und die ebenfalls relevanten SRI-Kritierien stehen für Socially Responsible Investment (auch: Sustainable Responsible Investment), verstehen Nachhaltigkeit also ebenfalls umfassend und über den reinen Umweltschutzgedanken hinaus.
Eine Folge der großen medialen Aufmerksamkeit rund um Nachhaltigkeit ist das Interesse an entsprechenden Geldanlagemöglichkeiten. Nach aktuellen Umfragen 2021/22 wünschen die Deutschen für rund jeden zweiten Euro Ihrer Reserven eine nachhaltige Anlagemöglichkeit.
Wirklich nachhaltiges Anlegen ist keineswegs einfach
Doch zwischen Wunsch und Wirklichkeit liegen leider Welten und bei nur wenigen Themen ist die Kluft zwischen gut gewollt und gut gemacht so groß, wie bei der nachhaltigen Geldanlage. Insbesondere bei der Kapitalanlage in Form von handelbaren Wertpapieren – insbesondere Aktien oder Anleihen – muss der Nachhaltigkeitsanspruch stark bezweifelt werden. Viele Anlageprodukte (z. B. Zertifikate, klassische Investmentfonds, börsenfähige Investmentfonds (= ETFs)) investieren unser Geld letztlich auch überwiegend wieder in Aktien und Anleihen, stellen also lediglich „Hüllen“ oder Umverpackungen dar. Und für die kapitalbildenden Altersvorsorgeprodukte (Riester, Rürup, betriebliche Altersvorsorge und private Lebens- oder Rentenversicherungen) gilt exakt das gleiche.
Somit betrifft das nachstehend erläuterte Problem nahezu alle Anlagemöglichkeiten mit Ausnahme von Direktinvestitionen, also z. B. der Installation einer eigenen Fotovoltaik-Anlage oder des gemeinschaftlichen Baus eines ökologischen Mietshauses mit bezahlbarem Wohnraum für nach Sozialkriterien ausgewählte Nutzer.
Auf die Wirkung kommt es an
Durch die genannten Direktinvestitionen passiert etwas Nachhaltiges, das ansonsten nicht stattfinden würde. Sie erzeugen also eine Wirkung (neudeutsch einen „Impact“). Worin besteht jedoch der Impact, wenn wir auf den Finanzmärkten bevorzugt nachhaltige Aktien und Anleihen (= green Bonds) erwerben und/oder parallel nicht nachhaltige vermeiden – z. B. durch Anwendung sogenannter Ausschlusskriterien für Waffenhersteller, besonders CO2-intensive Unternehmen oder Branchen mit hohem Ressourcenverbrauch?
Eine eindeutige Wirkung würde sich dann ergeben, wenn die „Bösen“ von der Finanzierung Ihrer Aktivitäten völlig abgeschnitten würden und – bildhaft gesprochen – austrocknen und vom Markt ausscheiden. Eine etwas schwächere Wirkung würde sich auch dann ergeben, wenn die „Bösen“ zwar nicht ganz an ihrer Finanzierung gehindert würden, diese sich jedoch für Sie stark verteuerte. Kurz gesagt, nachhaltiges Anlegen müsste zu einem Wettbewerbsvorteil für die guten (viel niedrigere Finanzierungskosten) und einem Wettbewerbsnachteil für die „schlechten“ Unternehmen (viel höhere Finanzierungskosten) auf den Kapitalmärkten führen.
Es tut mir selbst im Herzen weh, doch dafür gibt es leider keinen Anhaltspunkt, wie das nachstehende Bild der kommunizierende Röhren symbolisiert. Auf effizienten Finanzmärkten wird nämlich selbst bei geringen Renditedifferenzen eine sofortige Gegenreaktion einsetzen, die die angestrebte Wirkung gerade wieder aufhebt.
Bild der kommunizierenden Röhren
Stellen Sie sich vor, dass die große Röhre links von Investoren befüllt wird, die keine speziellen Nachhaltigkeitsziele verfolgen und in einen weltweit streuenden ETF investieren.
- In die schlangenförmige Röhre investieren die Gegner von Waffenfirmen.
- In die kugelige Röhre investieren die Gegner von Alkohol, auch Bier.
- In die rechte Röhre diejenigen, die den CO2-Ausstoß senken wollen.
Interessanterweise haben die bayerischen Waffengegner aber nichts gegen Bier. Umgekehrt kümmern texanische SUV-Fahrer weder Waffen noch CO2, aber Alkohol geht für sie gar nicht. Das heißt, dass selbst im Lager der Nachhaltigen gegenläufige Kräfte wirken, die sich gegenseitig aufzuheben drohen.
So richtig unerfreulich wird es aber, wenn ein Teil der Anleger aus hehren Zielen Geld verstärkt in ESG-Unternehmen lenkt, während andere genau gegenteilig handeln – um bereits geringste Mehrrenditen von den nicht nachhaltigen Unternehmen “abzupflücken“. Die mit gutem Willen nachhaltig investierenden Anleger bewirken also keinen Impact, verzichten vielleicht minimal auf Rendite, erleiden jedoch mit Sicherheit größere Nachteile, wenn sie scheinbar nachhaltige Anlageprodukte erwerben, die mit hohen Kosten versehen sind.
Gibt es wirklich Investoren, die gegen Nachhaltigkeit agieren?
Leider ist die Antwort ein klares „Ja“. Und zeigt, dass die obige Abbildung keineswegs eine theoretische Überlegung darstellt. Recherchieren Sie z. B. nur einmal die Begriffe „Sündenfonds“ oder „Vice-Fund“, so können Sie sehen, dass mit der erhofften Mehrrendite von gerade nicht nachhaltigen Unternehmen geworben wird. Man kann nun hoffen, dass die wenigen Sündenfonds nicht ausreichen, um den positiven Effekt der nachhaltig ausgerichteten Kapitalströme zu verhindern.
Neben den Sündenfonds investieren jedoch auch viele große Hedgefonds frei von irgendwelchen ethischen Zielen oder Nachhaltigkeitsüberlegungen. Und selbst Manager von „ganz normalen“ aktiven Investmentfonds gewichten nicht nachhaltige Unternehmen einfach etwas stärker in Ihren Portfolien. Die meisten tun dies stillschweigend, manche kommunizieren dieses Tun aber sogar ganz offensiv und werben mit einer besonders hohen Dividendenrendite.
Andere Ansatzpunkte nachhaltigen Handelns sind aussichtsreicher
So lange es keine anderen politischen Rahmenbedingungen (z. B. Regulierungen) gibt und ein Waffenhersteller seine Waffen verkauft und ein Tabakunternehmen seine Zigaretten, werden sich leider immer genügend Marktteilnehmer finden, die das finanzieren. Und gerade durch den Krieg in der Ukraine wurde sichtbar, dass gut gemeint eben nicht gleich gut gemacht ist. Auf die militärische Aggression Putins reagieren westliche Regierungen nicht nur mit einer Aufstockung der Budgets und bewirken Nachfrage nach Rüstungsgütern. Sie haben auch zusätzlich und schon im Vorfeld durch kapitalmäßige Beteiligungen an Rüstungsunternehmen sichergestellt, diese von der Entwicklung der Finanzmärkte weitgehend zu immunisieren.
Lässt man die Besonderheiten der Rüstungsindustrie einmal „außen vor“, so wird erkennbar, dass Bürger viel wirkungsvollere Hebel besitzen, als kostenintensive jedoch wahrscheinlich wenig wirksame Nachhaltigkeitsprodukte der Finanzdienstleistungsindustrie zu erwerben.
Denn wenn die Nachfrage nach ökologisch bedenklichen Produkten und Dienstleistungen stark zurückgeht oder sogar zusammenbricht, werden Investoren auch keine Finanzierungsmittel mehr bereitstellen.
Auch gut abgestimmte gesetzliche Maßnahmen wie Verbote, verbindliche Mindeststandards usw. halte ich für erheblich wirkungsvoller als Investments in (angeblich) nachhaltige Investmentvehikel der globalen Finanzmärkte.
Ein konstruktiver Ausblick Ihrer Möglichkeiten:
Kaufen und konsumieren Sie nachhaltig – damit erreichen Sie ganz sicher eine Wirkung. Fahrrad statt Auto, verbrauchsärmeres Auto statt schwerer SUV – die Ansatzpunkte und Möglichkeiten sind vielfältig.
Investieren Sie nachhaltig vor der eigenen Haustür. Wenn Sie konkrete Sachinvestments mit positiver Ökobilanz (Stromerzeugung für den Eigenverbrauch, Zisterne usw.) vornehmen können, dann ist das fraglos gut.
Geben Sie regionalen Nachhaltigkeitsprojekten eine Chance, soweit Sie die Seriosität der Initiatoren einschätzen können und das Projektmanagement professionell durchgeführt wird (Auch bei Nachhaltigkeitsprojekten lässt sich Sachverstand nicht ganz durch guten Willen ersetzen).
Achten Sie bei Kapitalmarktprodukten erstens auf die einmaligen und laufenden Kosten und halten Sie diese niedrig. Denn Abzocke im Nachhaltigkeitsmantel hilft niemandem, aber schädigt Sie.
Achten Sie zweitens auf das Engagement des Produkteanbieters (Fondsgesellschaft, Vermögensverwalter), sich bei finanzierten Unternehmen einzubringen. Es gibt z. B. Anbieter preiswerter ETFs (börsengehandelter Investmentfonds), die sowohl bei Nachhaltigkeits-ETFs als auch sonstigen Produkten ein intensives Einwirken auf die Zielunternehmen versprechen und transparent nachweisen. Diese Einwirkung wird auch als „Engagement“ oder „Stewardship“ bezeichnet und kann z. B. im Rahmen der Stimmrechtsausübung erfolgen, jedoch weit darüber hinausgehen. Und wenn ein großer ETF-Anbieter oder Vermögensverwalter wirklich seine gesammelten Stimmrechte zugunsten von Nachhaltigkeitszielen in die Waagschale wirft, dann bringt das viel mehr, als wenn Sie und ich unsere paar Stimmen individuell auf der Hauptversammlung geltend machen.
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