Selbstvertrauen der Erwachsenen stärkt die Kinder
Im TAGESSPIEGEL vom 4.11.2021 lese ich auf der Titelseite, groß aufgemacht: „Was Kinder stark macht: Viele Eltern fürchten, dass ihre Kinder in der Pandemie zu wenig gelernt haben. Doch Bildungsforscher sagen: Dem Nachwuchs hilft jetzt Kontakt zu anderen. Warum die Klassenfahrt jetzt mehr bringt als Nachhilfe.“ Dem kann ich nur aus ganzem Herzen zustimmen. Trotzdem gibt es da einiges im Text dieses Aufmachers, das mich nachdenklich stimmt.
Zum einen ist es ja schön, wenn Bildungsforscher zu Einsichten kommen, die alle pädagogisch Tätigen mit Verstand und ordentlich reflektiertem Erfahrungswissen auch wissen können. Und Eltern eigentlich auch. Ähnlich freue ich mich, wenn ich auf andere Statements von Wissenschaftlern zu pädagogischen Fragen stoße, die Erfahrungswissen vor Ort bestätigen.
Zum Beispiel unterstreichen Hirnforschung ebenso wie viele Studien die Einsicht, dass für den Lernerfolg von Kindern und Jugendlichen die Unterrichts-Methode nur zu einem sehr geringen Prozentsatz von Bedeutung ist, dafür aber zu über 90 Prozent die Qualität der Beziehung zwischen Schülern und Lehrern. Auch das kann man wissen, wenn man im täglichen Unterrichtsgeschäft unterwegs ist oder wenn man abends seinen Kindern zu Hause zuhört.
Wenn Erkenntnisse aus der Wissenschaft und pädagogisches Erfahrungswissen in elementarsten Fragen so sehr übereinstimmen, warum tut dann die Politik nicht viel mehr für die Förderung eben dieser klassischen, auf analoger Präsenz beruhenden Faktoren in unserem Schulsystem? Klar, man soll das Analoge fördern und dabei das Digitale nicht lassen. Doch vielleicht könnte die in Corona-Zeiten auf bittere Weise bestätigte Einsicht nachdenklich stimmen, dass die entscheidende Voraussetzung für gutes Lernen im Unterricht die guten sozialen Kontakte vor Ort sind – und entsprechend Akzente im Diskurs verschieben.
Woher kommt die Angst der Eltern?
Und noch ein Punkt: „Viele Eltern fürchten …“. Ja, das kann ich bestätigen. Aber woher kommt diese Angst? Sie ist das Resultat eines Bildungsdiskurses, der in den letzten 20 Jahren am Messbarkeitsideal ausgerichtet wurde und über Rankings aller Art das Wettbewerbs-Paradigma stark machte. Daran knüpft nun im Gefolge der Corona-Krise das aufgeregte Gerede um „Nachholen“, „Aufholjagd“ usw. an.
Es ist aber heuchlerisch, über die psychosozialen Schäden zu lamentieren, die durch Schulschließungen, Fernunterricht und Abstandsregeln aller Art bei den Kindern und Jugendlichen angerichtet wurden, um sie nun mit noch mehr Druck in den Wettbewerb zu jagen. Da ist der Aufmacher im TAGESSPIEGEL einerseits ein kleiner Trost. Doch andererseits müssen Eltern, Lehrerschaft, Schulpolitik und Medien bei sich selbst anfangen. Starren auf Studien, auch dann, wenn da Richtiges und Kluges steht, ersetzt die Arbeit an sich selbst nicht. Erwachsene übertragen nur dann ihre eigenen Ängste und Befürchtungen nicht auf die Jugendlichen, wenn sie diese selbst – und damit sich selbst – reflektieren.
Also: Gebt den Kindern Raum, indem ihr selbst erst einmal durchatmet.