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Das Ohr von Donald Trump und das Aushalten der Komplexität

Warum das Attentat zu noch mehr Schwarz-Weiß-Denken führen wird

Es ist Sonntagmorgen, konkret der 14. Juli und als erste Nachricht taucht auf den Informationskanälen auf, dass auf Donald Trump ein Attentat verübt wurde. Viel weiß man noch nicht. Es war wohl ein junger Mann, der das Feuer eröffnete. Donald Trump wurde am Ohr getroffen, ein anderer Mann tödlich verletzt und auch der Attentäter erschossen.

Ich halte das Handy in der Hand und bin über mich selbst erschrocken, wenn nicht sogar bestürzt. Mein erster Gedanke war wirklich, warum nur das Ohr? Ich werde den Gedanken tunlichst für mich behalten und niemand davon erzählen. Denn auch wenn man den Tyrannenmord als akzeptabel für die Lösung eines moralischen Dilemmas hält – man wünscht einfach niemand den Tod und auch ich tue dies nicht wirklich.

Beim Nachdenken über die eigenen Abgründe erinnere ich mich an eine kürzlich gelesene Information: Das unkontrollierte, vegetative Nervensystem benötigt nur 0,4 Sekunden, um auf einen Reiz zu reagieren. Das rationale Großhirn braucht hingegen mindestens 0,8 Sekunden, um eine Information zu verarbeiten. Vielleicht gibt es auch sowas wie eine moralische Erstreaktion, die erst eine Kultivierung, ein Nachdenken braucht, das uns zum Menschen macht. Denn natürlich würde auch sein Tod kein Ende der Fake News, der Lügen, der verbalen Gewalt bedeuten, und Mord darf nie ein Mittel der politischen (oder sonst einer) Auseinandersetzung sein.

Wem wird das Attentat nutzen?

Wem wird das Attentat nutzen, frage ich mich, und ich hoffe, dass meine Antwort sich nicht als erfüllende Prophezeiung erweisen wird: Das Attentat wird dazu beitragen, die Komplexität der Welt nicht auszuhalten, sondern noch mehr in Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen. Wir leben in einer überfordernden Gesellschaft und viele suchen die einfachen Antworten, fernab von Sachargumenten und der mühsamen Suche nach der Wahrheit im Dschungel widerstrebender Meinungen.

Man wird Donald Trump als Märtyrer sehen, der für seine Überzeugungen sogar bereit ist, sich zu opfern. Das Bild in den sozialen Medien, bereits zur frühen Stunde tausendfach geteilt, wird ikonografisch werden und den Wahlkampf mitbestimmen. Seine Anhänger (und zahlenmäßig wohl geringeren Anhängerinnen) werden sich bestätigt fühlen, dass es ein Kampf, ja sogar ein Krieg zwischen Gut und Böse ist, in dem sie stehen. Und man wird den Stimmen, die seine Politik ablehnen, aber gleichzeitig betonen, dass sie das Attentat scharf verurteilen, wie ich das tue, keinen Glauben schenken.

Eine Schwelle ist längst überschritten

Natürlich fällt mir das Zitat ein, dass man üblicherweise Voltaire zuschreibt: „Auch wenn ich verdamme, was Du sagst, werde ich mein Leben dafür einsetzen, dass Du es sagen kannst!“ Und gleichzeitig nehme ich wahr, dass längst eine Schwelle überschritten ist: In der politischen Auseinandersetzung, im politischen Kampf und Streit müssen wir Gegner sein, um für das bessere Argument einzutreten und wir wollen den Gegner besiegen, aber wir sehen ihn nicht als Feind, als absoluten Widersacher, den es zu vernichten, also im schlimmsten Fall auch zu töten gilt. Diese Grenze vom Gegner zum Feind und damit auch zur Entmenschlichung des Anderen ist längst überschritten.

Es gilt, die Komplexität auszuhalten, diese Grenze und rote Linie deutlich zu machen, von den Widersprüchlichkeiten zu reden. Auch davon, dass natürlich jede und jeder seine Meinung sagen darf und dafür keine Angst haben muss, von einer Kugel getroffen zu werden, nicht einmal am Ohr. Wir müssen reden, wir müssen kämpfen für Menschlichkeit und auch im politischen Gegner den Menschen mit seiner Würde sehen.


Siegfried Grillmeyer

Er ist seit 2008 Leiter des Caritas Pirckheimer Hauses, der Akademie der Erzdiözese Bamberg und des Jesuitenordens, sowie Geschäftsführer des dazugehörigen Tagungshotels. Zahlreiche Veröffentlichungen zur politischen Bildung sowie privat von Essays und Kurzgeschichten.
www.grillmeyer.info

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