Sinn  

Das Leben einfach mal auf Pause stellen

Von den Höhen und Tiefen einer Auszeit

Mittlerweile ist sie ihrer Berufung nähergekommen und arbeitet in ihrem neuen Job für die Berufungsklärung anderer Menschen: Philippa Warsberg ist Geschäftsführerin des Zentrums für Berufungspastoral (ZfB) in Frankfurt am Main.

Frau Warsberg, als Sie Ihrem Leben eine neue Richtung geben wollten, haben Sie einfach Ihren Job gekündigt und sich eine Auszeit genommen. War es wirklich so einfach und was haben Sie sich davon erhofft?

Nein, es war ganz und gar nicht einfach, die Entscheidung zu treffen: Ich habe meinen Job gekündigt, alle festen Strukturen und sogar die Stadt verlassen. Das hat viel Mut gekostet und war ein großer Sprung ins Ungewisse. Aber der Wunsch nach etwas Neuem war so groß, dass ich es gewagt habe. Ohne den Rückhalt von meinen Freunden und Familie wäre es nicht möglich gewesen.

Ich wollte raus aus allem, um zu mir zu finden und um zu sehen, was ich von meinem Leben möchte. Ich wollte rausfinden, wie ich mein Leben sinnvoll gestalten kann und ich wollte die Möglichkeit haben, Interessen nachzugehen, die gar keinen Raum haben, wenn man fest in einen Job eingebunden ist. Ich wollte neuen Weitblick für mein Leben – auch auf spirituelle Art. Ich habe mich auf die Suche nach Gott gemacht, um herauszufinden, welche Rolle er in meinem Leben spielen könnte.

Wie war die Auszeit für Sie?

Am Anfang war es großartig: ein ganz großes Freiheitsgefühl und das Gefühl, Zeit zu haben – für mich selbst, meine Interessen und andere Menschen. Aber die Entscheidung, wie es weitergeht, fällt eben nicht vom Himmel. Es kamen also auch Zweifel in mir auf: Wie geht es weiter? Ich habe mir dann einen Coach gesucht und habe mit ihr meine Stärken, Schwächen, Talente, Erwartungen und Sorgen erarbeitet. So etwas habe ich auch schon mal vor zehn Jahren gemacht – damals in der Hoffnung, dass man so ein Coaching nur einmal im Leben macht, um zu wissen welches Studium oder welche Ausbildung man wählt. Aber ich habe dann festgestellt, dass man innerhalb von zehn Jahren teilweise neue Talente entwickelt, sich die Erwartungen an das Leben wandeln und man sich insgesamt dann einfach in veränderten Lebensumständen wiederfindet. Deshalb fand ich es super, mit 30 Jahren nochmal draufzuschauen.

Ist es Ihnen irgendwann nicht auch langweilig geworden oder hätten Sie die Zeit sogar gerne noch verlängert?

Langweilig wurde es überhaupt nicht. Ich habe mir die Zeit genommen, um tief in mich reinzuhören. Ich habe mir unterschiedliche Lebensformen angeschaut und auch einige handwerkliche Dinge ausprobiert: Zum Beispiel habe ich einen Drechselkurs, einen Buchbindekurs und einen Nähkurs gemacht. Ich hatte Spaß daran, etwas zu machen, bei dem man direkt ein Ergebnis in der Hand hält. Ich habe die Zeit also sehr genossen – auch wenn ich nicht so schnell vorankam, wie ich eventuell hätte vorankommen können.

Gerne hätte ich verlängert. Aber ich habe auch gemerkt, wie wichtig es für mich ist, eine Aufgabe in Form eines Jobs zu haben. Ich habe quasi die Wertigkeit eines Jobs für mich entdeckt: Dass ein Job nicht nur Arbeit und Bezahlung ist, sondern eine erfüllende Aufgabe sein kann.

Besinnung Auszeit Berufung

Hat Ihnen die Auszeit rückblickend das gebracht, was Sie sich gewünscht haben? Haben Sie jetzt eine Antwort auf die Frage nach dem Lebenssinn?

Ja, das hat es. Vor allem hat es mich näher zu mir selbst gebracht, weil ich Zeit hatte, auf mich selbst zu schauen: Ich bin mir klarer darüber geworden, welche Erwartungen ich an meinen Job habe, was mir ein Job geben kann und was nicht. Das muss ich mir dann woanders suchen. Ich weiß jetzt auch besser, an welchen Orten, mit welchen Menschen ich mich lebendig fühle und wo ich mit meinen Talenten und Stärken etwas bewirken kann.

Und wie haben Sie das für sich herausgefunden?

Ich habe es selbst als wertvoll erlebt, während meiner Auszeit Begleitung zu haben. So habe ich mich auch an Themen herangewagt, die ich allein vielleicht nicht angegangen wäre. Bei mir waren es ein Coach, ein Glaubenskurs und intensive Gespräche mit Familie und Freunden, die mir geholfen haben. Erst nach meiner Auszeit habe ich von Geistlicher Begleitung erfahren. Ich bin mir sicher, das hätte meinen Prozess bereichert, weil ein Geistlicher Begleiter noch einen anderen Blickwinkel einbringen kann – eine Perspektive, die unabhängig ist von Job und Karriere. Deshalb finde ich es gut und wichtig, dass auch andere von diesem Angebot erfahren.

Was hat Sie dazu getrieben, den Job beim Zentrum für Berufungspastoral in Frankfurt anzunehmen? Wieso ist es ausgerechnet dieser Arbeitsplatz geworden?

Ich habe meinen vorherigen Job gerne gemacht und dabei viel gelernt. Aber mir hat irgendwann die Sinnhaftigkeit dabei gefehlt. Das hat mich immer mehr in meinem Leben gestört. Ich hatte das Gefühl, dass ich andere Leute in ihrem Leben noch weiterbringen kann, als durch meine Tätigkeit in der Werbebranche. Es geht im Leben um mehr als um Kaufen, um mehr als um Autos und Zigaretten.

An dem Job beim ZfB hat mich gereizt, dass er nah am Menschen ist und hier immer die Suche der Menschen nach Mehr im Leben im Vordergrund steht. Mit dem Verständnis, das ich selbst über Berufung gewonnen habe, kann ich hier anderen Leuten helfen – und das macht den Job für mich sinnvoll. Und dass das dann auch noch was mit Gott zu tun hat, ist so besonders. Ich kann jetzt den Glauben, den ich vorher nur privat ausgelebt habe, auch im Job einbringen – ich kann das Berufliche und den Glauben miteinander verknüpfen.

Nachdem Sie selbst Ihre Berufung lange Zeit gesucht haben, sind Sie jetzt täglich mit dem Thema der Berufungsklärung konfrontiert. Was bedeutet das für Sie?

Es hat mich überrascht, mitzubekommen, wie viele Menschen auf der Suche nach ihrer Berufung sind – und zu sehen, dass die Berufungssuche nie abgeschlossen ist. Auch für mich ist die Suche nicht abgeschlossen – irgendwann vielleicht… Ne, eigentlich glaube ich, dass es ein ständiges Neu-Entdecken ist.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es guttut, sich Zeit für sich zu nehmen, dass man so glücklich werden kann und dann auch andere mit seinem Glück anstecken kann.

Deshalb freut es mich, hier zu sehen, dass andere sich anstecken lassen und sich auch Zeit für sich und ihre Berufung nehmen.

Würden Sie es wieder tun?

Ich würde es wieder tun! Aber ich tu mich schwer damit, es anderen zu raten, weil es eben auch mit vielen Risiken verbunden ist – vor allem mit finanziellen Risiken. Und es ist Luxus: Ich weiß, dass es nicht jedem möglich ist. Aber die Freiheit, die ich gespürt habe, war einfach unglaublich!

Mehr Infos unter www.berufung.org.

Mirjam Beitz führte das Interview.


ID ); $image = wp_get_attachment_image_src( get_post_thumbnail_id( $featured_post->ID ), 'quadratisch_cropped' ); $title = get_the_title( $featured_post->ID ); $content = get_the_content( null, false, $featured_post ); $content = apply_filters('the_content', $content); ?>

Weiterlesen

3
28.03.2024 Versöhnung
Tobias Zimmermann

»Ihr werdet mich nicht los!«

Es ist wirklich eine „verbeulte“ Kirche, wie Papst Franziskus sagt, mit der wir unterwegs sind. Aber diese Kirche sind nicht „die anderen“. Ich bin Teil davon, obwohl ich mich nicht erst seit gestern oft nicht daheim fühle oder dem Wunsch aktiv widerstehen muss, mich zu distanzieren. Aber sie wird mich nicht los, und ich sie nicht! – Ein ganz persönlicher Kar- und Ostertext von Tobias Zimmermann SJ

weiter
19.03.2024 Versöhnung
Nürnberg St. Clara

Was sagt das Magnifikat über Maria?

Die Evangelien berichten über Maria auf unterschiedliche Weise, und das Magnifikat, der Lobgesang Marias, ist eines der biblischen Bilder, das Maria prägnant kennzeichnet. ­Allerdings hat Maria wohl kaum das Magnifikat gedichtet. Der Jesuit Klaus Vechtel wirft einen näheren Blick auf eines der bekanntesten Gebete der Menschheit.

weiter
12.03.2024 Zusammenleben

»Es geht um jeden Menschen«

Jedes Jahr verlassen in Deutschland laut einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm rund 50.000 junge Menschen die Schule ohne Berufsreifeabschluss. Keinen Abschluss zu haben bedeutet gleichzeitig eine ungewisse und oft schwierige berufliche und persönliche Zukunft. Hier will das Ludwigshafener Heinrich Pesch Haus gemeinsam mit der Stiftung Jugend.Hafen mit dem Projekt „LU can learn“ helfen.

weiter