Interview mit der Sterbe- und Trauerbegleiterin Johanna Klug
Noch nicht einmal 20 Jahre alt, kerngesund und doch soll der Tod Teil des Lebens von Johanna Klug werden: Johanna ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin seit nunmehr sieben Jahren und begleitet Menschen und ihre Zugehörigen auf dem Weg in den Tod. Jetzt hat sie ein Buch geschrieben „Mehr vom Leben“ und erzählt im Gespräch mit Katharina Gebauer, warum sie immer eine Kleinigkeit zu ihren Besuchen mitbringt, aber keine Bucket List hat.
Wie fühlten Sie sich, als Sie das erste Mal das Zimmer eines fremden Sterbenden betreten haben?
Eigentlich fühlte es sich ganz normal an. Ich glaube nicht, dass ich irgendwas Besonderes gefühlt habe. Klar, ich wusste, dass diese Menschen auf der Palliativstation sehr, sehr krank sind und hier wahrscheinlich sterben werden. Das war mir schon klar. Gleichzeitig wusste ich aber, das sind auch nur Menschen. Ich denke, ich habe mir da vorher gar nicht so viele Gedanken gemacht. Mir war klar: Ich will das, ich kann das, es fühlt sich richtig an.
Mit 16 Jahren habe ich zwei Jahre im Pflegeheim mitgeholfen, das Essen portioniert und verteilt. Auch wenn nie viel Zeit war, habe ich mich viel mit den Menschen unterhalten.
Auf der Palliativstation komme ich ebenfalls nie mit leeren Händen, ich bringe immer etwas mit; sei es ein kleiner Schokokuss oder selbstgebackene Plätzchen oder eine Blume. So habe ich immer etwas dabei, was die Situation am Anfang erstmal auflockert.
Wie reagieren die Menschen darauf, wenn Sie von Ihnen besucht werden? Und wie verbringen Sie die gemeinsame Zeit?
Ich komme, wie schon gesagt, nie mit leeren Händen. Das erstaunt die Leute oft. Manche sind ganz irritiert und sagen „Aber ich will doch gar keine Blume kaufen”. Dann entgegne ich: „Die sollen Sie auch nicht kaufen, die bekommen Sie einfach so.“ Das erstaunt und überrascht die Menschen. Da kommt eine junge Frau und ist einfach da, verbringt hier ihre Zeit freiwillig mit einem Menschen und bringt sogar noch Blumen mit. Je nach Verfassung und Stimmung der Menschen entwickelt sich daraus ein Gespräch oder es bleibt einfach bei der kleinen Aufmerksamkeit. Ich stelle dann die Blumen auf den Nachttisch und gehe wieder. Trotzdem bleibt dieser kleine Glücksmoment.
Das erste Kapitel ihres Buches behandelt das Thema Essen. Das kommt ein wenig unerwartet, soll es doch um den Tod gehen. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Essen und Sterben?
Mir war es wichtig, die Menschen, die dieses Buch lesen bei einem zentralen Thema abzuholen. Essen und Trinken hat dabei sehr viel mit Lebensqualität zu tun. Im Leben ganz besonders, aber eben auch im Sterben. Viel zu oft vergessen wir, dass Sterbende ja auch Menschen sind. Menschen, die Bedürfnisse haben, gerade was Essen und Trinken betrifft. Wir alle können uns mit der Frage nach dem Essen identifizieren: Was esse ich heute? Wo gehen wir heute essen? Essen verbindet und schafft auch Gemeinschaft.
Im Sterben ändert sich das. Wir sind es so gewohnt, dass Essen unsere Lebensqualität beeinflusst, dass wir Angst haben, jemand stirbt, wenn dieser Mensch aufhört zu essen. Dabei ist es genau andersherum: Menschen hören auf zu essen, weil sie sterben. Das ist ein völlig normaler, biologischer Prozess. Dieses Wissen war mir wichtig, am Anfang des Buches und dann auch im weiteren Verlauf zu vermitteln.
Wissen kann viel dazu beitragen, dass wir unbefangener, entspannter und angstfreier in die Situation mit Sterbenden gehen. Wenn wir unsere Mitmenschen beispielsweise in der Nahrungsaufnahme unterstützen wollen, dürfen wir sie nicht überfordern. So reicht ein kleines Stückchen Schokolade völlig, da braucht es keine ganze Tafel. Oder aber bei Wein: Statt eines ganzen Glases Wein, dass ein Sterbender nicht mehr trinken kann, die trockenen Lippen mit Wein benetzen …
Diese Brücke zwischen Lebenden und Sterbenden zu bauen war mir besonders wichtig. Denn alles, was in unserer lebenden Realität geschieht, hat immer auch einen Bezug zu unserer Endlichkeit.
Sie schreiben, Kinder werden immer den Tod als was Schreckliches sehen, wenn wir Erwachsenen es Ihnen vorleben. Wie können wir Kinder behutsam an das Thema Tod heranführen?
Wir sollten mit Kindern offen über das Thema Tod und Sterben sprechen. Selbstverständlich kindgerecht, so dass sie das auch verstehen. Wie wichtig es ist, einander auf Augenhöhe zu begegnen, sehen wir besonders an uns selbst, wenn wir in einer Arztpraxis sind und uns mit komplizierten Fachbegriffen eine Krankheit erklärt wird. Da verstehen wir als Laien auch kein Wort und verlassen das Zimmer mit einem großen Fragezeichen.
Mit Kindern über Trauer sprechen, hat einen besonderen Vorteil: Sie nehmen uns die Schwere aus der Situation, denn sie haben einen ganz anderen Blick aufs Leben. Kinder sind noch ganz pur, ich würde sagen, sehr weise.
Also sollten wir Kindern das Thema Sterben und Tod zumuten?
Wenn wir uns vor den Fragen der Kinder drücken, nicht mit ihnen in den Austausch gehen und das Tod und Sterben immer beiseiteschieben, geben wir unsere Angst weiter. Schließlich werden die Kinder auch irgendwann Erwachsene sein, die Tod als etwas Schreckliches sehen, das tabuisiert und verdrängt wird, wenn wir ihnen kein besseres Vorbild sind. Das gilt es bereits im Kindesalter aufzubrechen.
In meinen Begleitungen habe ich gemerkt: Wenn ein offener Umgang mit dem Tod zwischen Kindern und Erwachsenen und untereinander gelebt wird, macht das etwas mit dem System Familie. Doch mit Verdrängung und Angst zu leben, macht auf Dauer mehr kaputt, als dem Tod einfach einen Platz zu geben.
Haben Sie Rituale, wenn ein Mensch, den Sie begleitet haben, stirbt?
Nein, konkrete Rituale habe ich keine, da jede Begleitung individuell ist. Es gibt also auch keine allumfassende Checkliste, die ich dann Punkt für Punkt abarbeite. Ich denke, das kommt daher, dass ich mich sowieso ständig an der Schnittstelle zwischen Leben und Tod befinde und so für mich einen guten Umgang und ein feines Gespür entwickelt habe, was ich brauche. Stirbt eine Person, die ich begleitet habe, höre ich in mich hinein und mache dann das, was mir in der Situation guttut.
Mal ist das ganz viel Zeit für mich selber, in der ich mich zurückziehe und wieder neue Kraft sammeln muss. Ein anderes Mal suche ich aber den engen Kontakt zu Freund:innen und Familie. In diesen Begleitungen habe ich so viel über mich gelernt, dass ich gemerkt habe, dass ich das gut mit mir selbst ausmachen kann.
Mir gibt meine Arbeit Kraft und Zuversicht, denn in diesen Begleitungen steckt alles: Trauriges und Schweres, aber auch Fröhliches und Lebensbejahendes.
Ich bin damit einverstanden, wie das Leben kommt, denn all das macht uns Menschen aus. Da sein und Aushalten hat für mich die Fülle am Leben.
Welche drei Dinge möchten Sie unbedingt erlebt haben, bevor Sie sterben?
(Zögert lange) Puh, keine Ahnung. Am liebsten möchte ich das Leben passieren lassen. Seit ich in der Sterbebegleitung bin, passieren so viele schöne Dinge, so viel Unerwartetes. An solche Dinge habe ich vorher nicht einmal gedacht. Bevor ich dieses Ehrenamt angefangen habe, war ich übrigens sehr schüchtern. Da war so viel noch nicht in meinem Horizont. Und klar, natürlich habe ich auch ein paar Reiseziele auf meiner Liste, aber das ist wirklich nicht das krasseste, was ich je erlebt haben möchte.
Am Ende geht es um Beziehungen. Und da bin ich einfach unfassbar dankbar, dass ich so wunderbare Eltern, zwei tolle Schwestern und ein paar ganz besondere Freund:innen habe. Da brauche ich keine Bucket List. Und ich muss noch eine Sache ergänzen: Ich kann mir mein Leben ohne die Begleitung Sterbender gar nicht mehr vorstellen. Vielleicht ist es also genau das. 😊
Johanna Klug
Mehr vom Leben
160 Seiten
Kösel Verlag 2021