Was Jesus, Allah, Buddha und der Humanismus zu Wachstum und Nachhaltigkeit sagen
Offensichtlich müssen wir etwas anders machen, um unseren Nachkommen ein gutes Leben auf dieser Erde zu ermöglichen. Meine Generation der Baby-Boomer (also jetzt in den 50ern) hätte noch halbwegs problemlos umsteuern können, aber wir haben es verbockt, der Eisberg kratzt schon an der Titanic. Um endlich durchzustarten, müssen wir fragen, welche Werte uns tragen. Also nicht die Sonntagsreden und Hochglanzpapiere, sondern was denken und glauben wir wirklich?
Da scheint sich etwas zu verändern. Als Professor für Nachhaltigkeit in BWL-Studiengängen war ich vor zehn bis 20 Jahren eher der Revoluzzer, jetzt scheinen die Diskussionen zu drehen, die Studierenden fordern Umbrüche.
Religiöse und humanistische Wertesysteme
Es gibt zwei große Gruppen von Wertesystemen, die religiösen und die humanistischen. Der Humanismus stammt aus der Aufklärung, basiert auf der Menschenwürde und findet seinen Ausdruck beispielweise in der Charta der Vereinten Nationen, die 193 Staaten unterstützen. Die enthaltenen Werte wie das Recht auf Leben, Freiheitsrechte oder Sozialfürsorge entsprechen auch den Wertvorstellungen von Religionen, nur führen die sie auf Quellen jenseits herkömmlicher Naturwissenschaften zurück.
Als Managementprofessor stelle ich im Sinne des Küng’schen Weltethos fest: Prima, wir sind uns auf der Ebene der handlungsleitenden Werte völlig einig, wir können an Schlussfolgerungen und Umsetzung gehen. Doch stellt sich überall ein fundamentaler Zielkonflikt ein, denn Bedürfnisbefriedigung der Menschen setzt Ressourcenverbrauch voraus, und mit dem materiellen Wachstum haben wir es übertrieben.
Jesus, Allah und Buddha – und ihre Meinung zu Nachhaltigkeit
Das Leben von Jesus macht das anschaulich: Er war ein fast mittelloser Wanderprediger, der dann als etwas spinnerter Dissident hingerichtet wurde. Jesus gebietet den Jüngern bei der Aussendung, nur ein Hemd mitzunehmen (Lukas 9,3) – eine Vorgabe, die wir sicher auf die Hygienevorstellungen von heute anpassen dürfen.
Meinen muslimischen Studierenden verdanke ich die Erkenntnis, dass der Koran eine Umweltethik im ursprünglichen Sinne vertritt, also der Natur an sich einen Wert beimisst (Sure 17, Vers 44). Persönlich ist mir das intuitiv verständlich und tief sympathisch, aber in meiner wissenschaftlichen Arbeit vermeide ich diese Wertbasis. Zu fremd erscheint es unserer Gesellschaft, den Wert von Büffeln, Bäumen und Blumen an sich zu würdigen, statt über den Nutzen für uns Menschen zu argumentieren.
Buddha hat ja der Überlieferung nach alles Mögliche ausprobiert, Wohlstand, Askese und Liebesleben. Bezeichnenderweise kam die Erleuchtung in der Meditation: Alle Erscheinungen sind „Samsara“ (der leidvolle Kreislauf des Seins), „Nirwana“ (der glückliche Zustand des Erlöstseins) erfordert Loslassen.
Wie sieht der Humanismus den Zielkonflikt zwischen Bedürfnisbefriedigung und Schutz der Lebensgrundlagen?
Prägend für die Diskussion sind die 17 Sustainable Development Goals der UN. Sie betonen Grundbedürfnisse (kein Hunger, keine Armut …) und Ressourcenschutz (Energie, Klima, Wasser …). Längst verfügen wir über die Technologie für die nötigen Energie-, Verkehrs-, Agrar- usw. Wenden, wir müssen es nur wollen. Was hindert? Auf der globalen Ebene fehlt die internationale Kooperation, beim Einzelnen hindern oft fehlendes Wissen, das Gefühl von Selbstunwirksamkeit sowie Furcht vor Verzicht.
Müssen wir verzichten?
Die Unterscheidung von drei Formen des Wachstums hilft weiter:
- materielles
- finanzielles und
- „wirkliches“.
Erfreulicherweise schwächt sich das materielle Wachstum in den vergangenen Jahren in Deutschland ab, während das finanzielle weitergeht.
Beispielsweise brauchen wir immer weniger Energie, um 1.000 Euro Bruttosozialprodukt zu erzeugen. Die Wachstumsbranchen haben sich also ins Immaterielle verlagert, weniger Autos, mehr Netflix. Das „wirkliche“ Wachstum fragt nach Zufriedenheit und Glück. Zeit für sich selbst, Familie und Freunde. Körperliche Freuden wie Sport, Spiel oder … Gartenarbeit. Naturerlebnis und Kulturevent, „Zeitreichtum“ (Begriff von Nico Paech) für spirituelles Wachstum. Dazu soll Geld der Zweck sein. Zu oft ist der Zweck noch Geld, wir tanzen ums Goldene Kalb.
Streben wir Lebensqualität statt höheren Lebensstandard an, Suffizienz (für jeden genug) statt materielles Mehr.
Lassen Sie mich mit zwei Gedanken schließen, einen als Wissenschaftler, den anderen als Mensch. Als Wissenschaftler muss ich bescheiden erkennen, wie wenig wir wissen. Meine eigene Profession hat die Finanzkrise 2008 nicht voraussagen können.
Der Weltklimarat betont immer wieder, dass unsere Supercomputer die Komplexität des Klimageschehens nicht wirklich abbilden können. Und die Naturwissenschaft beantworten uns nicht das Woher und Wohin des Menschen – es ist keine physikalische Frage, was vor dem Urknall war oder wer ihn auslöste. Dies lässt mich als Menschen hoffen, dass alles ganz anders ist. Die mit 20 Ehrendoktorwürden ausgestattete Elisabeth Kübler-Ross zeigt beispielsweise in ihrer Nahtodforschung, dass unser herkömmliches Weltbild „Anomalien“ aufweist, also unerklärbare Phänomene. Somit öffnet sich die logische Möglichkeit einer „wissenschaftlichen Revolution“ (Thomas Kuhn), einer kopernikanischen Wende wie von der Scheibenwelt zum Bild der Erde als Kugel.
Es eröffnet die Denkoption, dass unsere Geschicke gelenkt sind, dass wir mehr sind als ein biologischer Supercomputer, in deren Gehirnsynapsen selbst der geschickteste Arzt nie Bewusstsein entdecken kann.
Die Bilder in diesem Beitrag zeigen Gewächshäuser und Wachstumstunnel von oben: Was nach Anmut und Geometrie ausschaut, ist meist pure Monokultur und hat mit Natur und Artenvielfalt kaum etwas zu tun.
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