Zusammenleben  

Hilfe für Asylsuchende gerät unter Beschuss

Warum die Einschränkung staatlicher Hilfen Menschenwürde und Einzelfallgerechtigkeit gefährdet

Die politische Auseinandersetzung um den Umgang mit Flüchtlingen wird seit einiger Zeit schärfer und die Tendenz, staatliche Hilfe für Schutzsuchende drastisch zu reduzieren, immer stärker. Ein Gesetzentwurf, über den der Bundestag gerade berät, soll dafür sorgen, dass Flüchtlinge, die ihren Asylantrag in Deutschland gestellt haben, obwohl ein anderer europäischer Staat hierfür zuständig wäre, fast überhaupt keine Leistungen mehr bekommen. Kirchen und Verbände warnen davor, mit einer solchen Regelung sehenden Auges Europarecht und das Grundgesetz zu verletzen. Ob diese Warnung Gehör findet, ist zweifelhaft.

Bezahlkarte wird eingeführt

Beschlossene Sache ist bereits, die Auszahlungen von Bargeld an Flüchtlinge einzuschränken. Das entsprechende Gesetz ist am 16. Mai 2024 in Kraft getreten. Eine Bezahlkarte ist seither eine zusätzliche Option der Leistungsgewährung, über die die Behörden vor Ort entscheiden sollen. Am 20. Juni 2024 einigten sich die Regierungschefs der Bundesländer auf die Empfehlung, dass der Barbetrag, der mit der Karte abgehoben werden kann, bei Erwachsenen maximal 50 Euro pro Monat betragen soll. Mehrere Bundesländer haben inzwischen entsprechende Regelungen erlassen.

Gerichte sind skeptisch

Unter den Gerichten ist dies umstritten. Zwei Sozialgerichte (SG) haben Zweifel daran erkennen lassen, dass damit die Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet ist. Das SG Hamburg erhebt keine Einwände gegen das „Ob“ einer Bezahlkarte, äußert aber Zweifel vor allem an der festgelegten Grenze der Barauszahlung. Es dränge sich „unmittelbar die Frage auf, wie die Leistungsverwaltung mit einer starren Obergrenze individuellen Bedürfnissen und Umständen vor Ort gerecht werden kann“. Besonders bei Mehrbedarfen, etwa für Kinder oder Schwangere, müssen die Bargeldobergrenzen erhöht oder die entsprechenden Geldleistungen in bar gewährt werden.

Wirtschaftliches Handeln wird unmöglich

Schärfer argumentiert das SG Nürnberg: Die Sozialbehörde habe bei der Wahl der Leistungsform die Umstände des Einzelfalls in den Blick zu nehmen. Die Einschränkungen der Dispositionsfreiheit für die Hilfeempfänger durch die Bezahlkarte seien grundsätzlich bedenklich. So entfällt etwa die Möglichkeit, Gebrauchs- oder Konsumgüter im Online-Handel oder im privaten Verkehr kostengünstiger als im Ladengeschäft zu erwerben.

Nicht überall im Einzelhandel ist eine Kartenzahlung möglich, schon gar nicht an Verkaufsständen oder bei öffentlichen Veranstaltungen. Deshalb birgt, so das SG, die zeitlich unbeschränkte Leistungsgewährung per Bezahlkarte mit einer starren Bargeldobergrenze die Gefahr, dass es den Betroffenen „nicht in ausreichendem Maße möglich wäre, durch eigenverantwortliches wirtschaftliches Handeln Ansparungen aus ihren Sozialleistungen vorzunehmen oder diese umzuschichten, um auf diese Weise ihr individuelles Existenzminimum insgesamt sicherzustellen“.

Menschenwürde und Eigenverantwortung

Bei zwei vorläufigen Gerichtsentscheidungen kann man noch nicht von einer gefestigten Rechtsprechung reden. Aber die Richtersprüche machen deutlich, dass die Praxis bei der Bezahlkarte das Grundprinzip des Sozialhilferechts nicht ausreichend berücksichtigt: Staatliche Hilfeleistungen müssen in Art und Weise so gestaltet sein, dass sie den realen Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen und ihnen eine menschenwürdige, mithin auch eigenverantwortliche Lebensführung ermöglichen. Das ist auch mit einer Bezahlkarte möglich, aber erfordert eine flexible Ausgestaltung.

Migranten sind nicht Nummern, sondern Personen, Gesichter, Namen und Geschichten.“

Einzelfallgerechtigkeit

Die Karte soll Geldtransfers in die Heimatländer verhindern. Die Behauptung, Asylsuchende würden Sozialleistungen hierfür nutzen, ist jedoch nie empirisch belegt worden. Das weitere Argument, die Bezahlkarte sei notwendig, um die Zahlen neu ankommender Schutzsuchender zu senken, ist ebenso kontrafaktisch. Sozialleistungen sind keine Pull-Faktoren.

In der Beratung erleben wir immer wieder: Die Flüchtlinge wollen arbeiten und selbstständig sein, nicht von staatlicher Hilfe leben müssen. Will man etwa Sozialleistungen so gestalten, dass Menschen von der Schutzsuche in Deutschland abgeschreckt werden? Das wäre unanständig und würde Grundwerte unserer Gesellschaft verletzen.

Auch bei Sozialleistungen an Flüchtlinge gilt das Mahnwort von Papst Franziskus, nie zu vergessen, „dass die Migranten an erster Stelle nicht Nummern, sondern Personen sind, Gesichter, Namen und Geschichten.“

Foto: FrankHH/shutterstock.com


Stefan Keßler

arbeitet seit 2003 für den Jesuiten-Flüchtlingsdienst und ist seit Juli 2014 dessen Leiter in Deutschland. In seinem Studium hat der Historiker gelernt, wie schnell die Ausgrenzung und Entrechtung einzelner Bevölkerungsgruppen die Demokratie und den Zusammenhalt einer Gesellschaft gefährden können.

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