Ein Museum zum Ekeln
Ich stehe vor der Tür des Disgusting Food Museums in der Berliner Schützenstraße, einen Steinwurf entfernt vom Checkpoint Charlie. Die große Glasfront gibt den Blick frei in das Innere, wo Plexiglashauben auf Edelstahltischen stehen. Will ich da wirklich rein?
Denn seien wir doch mal ehrlich – Ekel ist kein schönes Gefühl. Es ist etwas, das wohl jeder am liebsten vermeiden möchte. Und dafür soll ich nun noch Geld bezahlen, nicht wenig übrigens, und mich ganz bewusst aus meiner Komfortzone bewegen? Aber es ist ja schließlich ein Museum … die Neugier siegt schließlich und ich öffne die Glastür.
Drinnen wirkt alles etwas improvisiert, so als habe man die Ausstellung nur für ein paar Wochen aufgebaut. Aber das Museum gibt es bereits seit Mai 2021. An der Kasse erhalte ich als Eintrittskarte eine Spucktüte „für den Fall, dass es dir zwischendurch zu viel wird“, wie mich die freundliche Mitarbeiterin informiert. Nun gut. Mein Blick fällt zunächst auf eine große Wand in einem undefinierbaren braun-grün mit dem Schriftzug „Volle Dose Ekel“.
Es ist Pantone 448 C, die als hässlichste Farbe der Welt gilt, wie auf dem kleinen Schild zu lesen ist.
Okay, stimmt irgendwie, aber Ekel erregend ist das noch nicht.
Was ist Ekel überhaupt?
Ekel ist, auf den Punkt gebracht, „ein Gefühl der extremen Abneigung gegen bestimmte Dinge“. Ekel ist individuell und Vorstellungen von Ekel können sich im Laufe der Zeit verändern. Darüber informiert eine Tafel zu Beginn der Ausstellung. Sieben Kategorien des Ekels sind hier aufgelistet: Nahrung, Krankheit, Körper(-flüssigkeiten), Missgestaltung, Tieranmutung, Sexualität und Moral.
Damit ist der theoretische Teil des Museums auch schon abgehandelt, es folgen rund 90 Food-Exponate, die alle den Anspruch erheben, Ekel erregend zu sein. Kuhurin aus Indien und Kobra-Herz, ein Potenzmittel aus Vietnam, gibt es da; in Reiswein eingelegte Schlangen (Habushu aus Japan), Fischspermasäcke (Shirako) aus Japan und Heuschrecken gehören ebenso dazu wie Hundefleisch. Ein Schaubild zeigt die einzelnen Teile des Hundes – ähnlich der Schaubilder von Schwein oder Rind, die wir aus der Metzgerei kennen. Oder ein bekannter Schokoriegel, der in Japan auch mit Fisch- oder Fleischgeschmack angeboten wird.
Eine Konsistenz wie Schnupfenschleim
Auch Eierlikör ist unter den Exponaten zu finden, dessen Konsistenz, so die Beschriftung, an „Bratensoße oder Schnupfenschleim“ erinnere, ebenso Blutwurst und Gummibärchen. Es zeigt sich eben, dass die Geschmäcker verschieden sind. Zu jedem Nahrungsmittel gehört eine kurze Beschreibung der Herkunft, des Aussehens und Geschmacks. Genannt wird auch das Herkunftsland.
Nun, so richtig ekelerregend finde ich das alles nicht. Die Glashauben und die helle Beleuchtung sorgen dafür, dass ich alles mit der Distanz der neugierigen Betrachterin anschauen kann.
Außerdem fehlt eine wichtige Sache, um Ekel zu erregen – der Geruch.
Der kommt nur an einer einzigen Stelle ins Spiel, bei der „Stinky Cheese Bar“. Hier kann man Duftproben von kräftigen Käsen nehmen. Ob das Ekel erregt, liegt wiederum in der Nase des Riechers.
Den selbstgesetzten Anspruch, „ein ökologischer und interkultureller Lernort“ zu sein, erfüllt das „Museum“ (das ich hier bewusst in Anführungszeichen setze), nur am Rande. Mit einem Video wird etwa die gavage, die Nahrungszufuhr über eine Schlundsonde, von Gänsen gezeigt – aus deren Leber dann die von vielen geliebte Delikatesse foie gras hergestellt wird. An anderer Stelle weisen zwei mit Spritzen gespickte Schweine auf die Massentierhaltung und den Antibiotika-Einsatz hin. Wem dann noch nicht der Appetit vergangen ist, der kann am Ausgang getrocknete Insekten probieren, die von einem Berliner Start-up hergestellt werden.
Hier werden Chancen vergeben
Es bleibt der Eindruck, dass es den Ausstellungsmachern vor allem um die Effekthascherei geht – im Wissen, dass vom Ekel auch eine gewisse Faszination ausgeht.
Nicht umsonst zieht das „Dschungelcamp“ mit seinen Prüfungen alle Jahre wieder ein großes Publikum vor die Monitore. Mein Fazit am Ende des Rundgangs, wo im obligatorischen Shop noch ein paar Ekeleien erworben werden können: Es ist leider nur eine der typischen Touristenfallen, die sich rund um den Sightseeing-Hotspot Checkpoint Charlie angesiedelt haben. Die Ausstellungsmacher*innen haben die Chance vertan, sich mit wichtigen Themen wie der Nahrung der Zukunft und den Ursachen für Ekel wie auch dessen Überwindung näher zu beschäftigen.
Das Disgusting Food Museum Berlin ist eine Einrichtung von philo science – gemeinnützige Gesellschaft für Wissenschaftsvermittlung mbH. Die Ausstellung hatte ihren Ursprung 2018 im schwedischen Malmö. Entwickelt wurde sie von Museumsdirektor Martin Völker und Kurator Samuel West mit dem Ziel, über Ekel ins Gespräch zu kommen.
Fotos: © Anette Konrad