Demokratie Corona

Zusammenleben  

Demokratie zu Corona-Zeiten

Warum in Deutschland kein autoritäres Regime droht

Weltweit hat der Corona-Virus nicht nur zahlreiche Menschenleben gefordert, sondern auch die Demokratie geschwächt. Verschwörungsgläubige und Corona-Leugner sammeln immer mehr Anhänger, die Corona-Demonstrationen werden nicht nur immer größer, sondern auch aggressiver. Es stellt sich die Frage: Ist die Demokratie in Deutschland gefährdet? Zeit für eine erste Bilanz.

Bereits im Juni warnten mehr als 500 Personen des öffentlichen Lebens, darunter zahlreiche Nobelpreisträger*innen und ehemalige Regierungsoberhäupter sowie pro-demokratische Organisationen, dass die Corona-Pandemie eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie weltweit darstelle. In dem offenen Brief “A Call to Defend Democracy” machten sie darauf aufmerksam, dass nicht nur autoritäre Regime die Situation nutzten, ihre Macht zu festigen und unliebsame Opposition auszuschalten. Auch einige demokratische Staaten hätten weitreichende Notstandsregelungen erlassen, Grundrechte eingeschränkt und staatliche Überwachung ausgebaut, ohne die Parlamente ausreichend einzubeziehen oder diese Maßnahmen zeitlich zu beschränken.

Die Warnung scheint ungehört verhallt zu sein. Die amerikanische Nichtregierungsorganisation „Freedom House“ wies im Oktober darauf hin, dass sich die Menschenrechtssituation seit Beginn der Corona-Pandemie in 80 Ländern verschlechtert hat. Insbesondere in repressiven Systemen und instabilen Demokratien sei zu beobachten, dass Regierungen die Pandemie dazu missbrauchten, demokratische und bürgerliche Rechte auszuhöhlen. Als besonders problematisch nannten die Experten von Freedom House vier Bereiche:

  • fehlende Transparenz der Regierungen und keine Informationen zur Corona-Situation,
  • Korruption in der staatlichen Bürokratie,
  • kein ausreichender Schutz von Benachteiligten und Minderheiten und
  • Machtmissbrauch durch die Regierung.

Eingeschränkte Grundrechte – funktionierende Gerichte

Sind wir noch eine Demokratie?   Wie transparent war die Bundesregierung? Wurden unter Angela Merkel Grundrechte ausgehebelt? Und war jemals die Meinungs- und Pressefreiheit in Gefahr?

Tatsächlich schränkten Bundes- und Landesregierungen mit Blick auf die Ausbreitung des Corona-Virus über Verordnungen zahlreiche Grundrechte, vor allem Freiheitsrechte, ein: Die Versammlungsfreiheit, die Freizügigkeit (Stichwort „Beherbergungsverbot“) oder auch über entsprechende Quarantäneregelungen die grundlegende Freiheit der Person, um nur einige zu nennen. Dies könnte Anlass zur Sorge sein, gerade weil zu Beginn der Maßnahmen auch praktisch keine Gegenstimmen – weder im Parlament noch in den Medien – zu hören waren. Opposition fand nicht statt.

Doch dies heißt nicht, dass die Verordnungen des Bundes und der Länder ohne Widerspruch hingenommen wurden. Immer wieder kippten deutsche Gerichte in den letzten Monaten Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, weil sie nicht verhältnismäßig oder ausreichend begründet waren.

Die meisten Gerichte sahen die „Maskenpflicht“ zwar als legitim an; in Jena konnte im Frühjahr jedoch ein Schüler erfolgreich gegen das Tragen einer Maske im Unterricht klagen. Die Richter waren nicht überzeugt, dass der damalige Stand der Corona-Zahlen eine solche Pflicht rechtfertige.

Ein weiteres Beispiel ist die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern zum Verbot von Tagesausflügen auf die deutschen Ostseeinseln. Das Gericht hob dieses Verbot mit der Begründung auf, es sei nicht deutlich, warum die Regelung nur für Inseln und nicht für andere Reiseziele innerhalb Mecklenburg-Vorpommerns gelten solle.

Aus demokratischer Perspektive am wichtigsten waren sicherlich die Entscheidungen zum Demonstrationsrecht. Gerichte hoben immer wieder Versammlungsverbote auf und ein Fall aus Gießen schaffte es sogar vor das Bundesverfassungsgericht. Dieses kippte in einer Eilentscheidung das Verbot von zwei Demonstrationen als zu pauschal. Die Kundgebungen konnten unter Auflagen stattfinden.

Debatten fördern Transparenz und Vertrauen

Um es ganz klar zu sagen: Die vieldiskutierten „Hygiene-Demos“ in Stuttgart, Berlin und anderswo belegen alleine durch ihr Stattfinden, dass Deutschland kein autoritäres Regime ist. Unzufriedenheit und Protest ist Teil der Demokratie. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass sicherlich nicht alle Teilnehmenden an diesen Demonstrationen Rechtsextreme oder Verschwörungsgläubige waren. Jede und jeder Teilnehmende muss sich aber bewusst sein, mit wem man Seite an Seite demonstriert und wer auf der Bühne das Wort erhält. Und im Zweifelsfall nicht mit den extrem Rechten marschieren.

Eines haben die Proteste jedoch auch deutlich gemacht: Bundes- und Landesregierungen müssen ihre Corona-Politik besser erklären und sie nicht nur in Pressekonferenzen und Podcasts kommunizieren. In einer Demokratie gehört es zu den Aufgaben des Parlaments, das Handeln der Regierenden zu überwachen. Die Debatte im Bundestag, die Nachfragen und Kritik einer gut aufgestellten Opposition tragen zur Transparenz bei. Und in der Politik gilt: Transparenz schafft Vertrauen. Wir wissen inzwischen mehr über das Virus als im Frühjahr. Ausreichend Zeit für die Debatte im Parlament können und sollten wir uns nehmen.

Foto: promifotos.de/photocase.com


Kai Stenull

ist stellvertretender Direktor Bildung des Heinrich Pesch Hauses. Als Politikwissenschaftler und Osteuropa-Historiker arbeitet er seit mehr als 20 Jahren zu theoretischen und praktischen Fragen der Demokratie und politischen Bildung.

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