Zusammenleben  

Wo es hakt

Ein Auge für die Lebenssituation Anderer

Vor Kurzem durfte ich Frau D. kennenlernen. Sie hat sich in der Nachbarschaft für den Ruhestand ein behindertengerechtes Haus gebaut mit Garage. Mit dem Auto fährt sie dennoch nicht. Ihre Ausfahrt ist ständig zugeparkt. Bis die Falschparker sich einfinden oder der Abschleppdienst kommt, sind ihre Termine meist verstrichen.

Also hat sich Frau D. auf die öffentlichen Verkehrsmittel verlegt. Aber auch das braucht Geduld und Mut: Regelmäßig muss Frau D. die Straßenbahnen weiterfahren lassen, weil deren Einstiegshilfe für ihren Rollstuhl defekt ist. Das können dann schon mal drei, vier Straßenbahnen in Folge sein, sagt sie. Auf Nachfrage bei den Fahrern, warum das Funktionieren nicht vor Fahrtbeginn kontrolliert wird, erhielt sie die Antwort: „Machen wir, aber es gibt keine Ersatzteile mehr. Deswegen können wir Sie dann nicht mitnehmen.“

Sich nicht unterkriegen lassen

Und so steht Frau D. für eine Stunde Gottesdienst dann schon einmal eine Stunde in der Dunkelheit der kaum einzusehenden Haltestelle in unserer Nachbarschaft, um wieder nach Hause zu kommen. Sie erzählt mir das ohne Bitterkeit oder Ärger. Sie ist eine mutige Frau!

Sie hat entschieden, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie wehrt sich, wenn die Straßenbahn in ihrer Nachbarschaft Rollstuhlfahrer nicht mitnimmt, weil ein entsprechendes Signal fehlt. Sie recherchiert bis klar wird, dass das Signal einfach vergessen wurde. Dann hält die Straßenbahn, manchmal. Manchmal braucht es aber erst eine engagierte Debatte mit den Fahrern. Denn das entsprechende Signal wurde an anderer Stelle angebracht als gewöhnlich. Da schauen die Fahrer nicht hin, oder erst nach mehrfacher Aufforderung.

Frau D. ist vermutlich nicht überall beliebt. Sie hat sich schon viel gefallen lassen müssen, weil sie den Mund aufmacht. Aber sie erreicht viel. Andere haben dafür vielleicht einfach keine Kraft, weniger Lebenserfahrung, weniger Mut. Die müssen dann vermutlich einfach daheimbleiben?

Corona macht einsam

So wie die Bewohnerinnen und Bewohner in Einrichtungen für Menschen mit geistigen Einschränkungen im Lockdown. Die konnten von einem Tag auf den anderen auch nicht mehr aus den Häusern. Sie hätten die Abstandregeln nicht einhalten können.

Von einem Tag zum anderen brach das ganze soziale Leben vieler Menschen zusammen: Keine Arbeit mehr, denn auch diese Arbeitsplätze waren geschlossen. Keine Besuche in der Eisdiele. Die sozialen Treffs waren geschlossen. Die Pflegerinnen und Pfleger berichteten, dass sie in ihrer Not manchmal dreimal die Woche Haarpflege ansetzten oder Ähnliches, einfach, damit die Leute nicht nur herumsaßen.

Kaum jemand jenseits der Betroffenen nimmt davon Notiz. Bei uns muss man sich wehren können, um zur Kenntnis genommen zu werden.

Was aber vor allem fehlt, ist das Interesse für die Lebenssituation jener Menschen, die in irgendeiner Form mit Beschränkungen leben müssen.

Vielleicht auch eine Erklärung für den rauen Ton derzeit. Man muss sich schon bemerkbar machen können, sonst wird man übersehen. Ansonsten gilt: Jede und jeder wie er durchkommt.

© Foto: shutterstock.com/Camera Craft


ID ); $image = wp_get_attachment_image_src( get_post_thumbnail_id( $featured_post->ID ), 'quadratisch_cropped' ); $title = get_the_title( $featured_post->ID ); $content = get_the_content( null, false, $featured_post ); $content = apply_filters('the_content', $content); ?>

Weiterlesen

3
28.03.2024 Versöhnung
Tobias Zimmermann

»Ihr werdet mich nicht los!«

Es ist wirklich eine „verbeulte“ Kirche, wie Papst Franziskus sagt, mit der wir unterwegs sind. Aber diese Kirche sind nicht „die anderen“. Ich bin Teil davon, obwohl ich mich nicht erst seit gestern oft nicht daheim fühle oder dem Wunsch aktiv widerstehen muss, mich zu distanzieren. Aber sie wird mich nicht los, und ich sie nicht! – Ein ganz persönlicher Kar- und Ostertext von Tobias Zimmermann SJ

weiter
19.03.2024 Versöhnung
Nürnberg St. Clara

Was sagt das Magnifikat über Maria?

Die Evangelien berichten über Maria auf unterschiedliche Weise, und das Magnifikat, der Lobgesang Marias, ist eines der biblischen Bilder, das Maria prägnant kennzeichnet. ­Allerdings hat Maria wohl kaum das Magnifikat gedichtet. Der Jesuit Klaus Vechtel wirft einen näheren Blick auf eines der bekanntesten Gebete der Menschheit.

weiter
12.03.2024 Zusammenleben

»Es geht um jeden Menschen«

Jedes Jahr verlassen in Deutschland laut einer Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm rund 50.000 junge Menschen die Schule ohne Berufsreifeabschluss. Keinen Abschluss zu haben bedeutet gleichzeitig eine ungewisse und oft schwierige berufliche und persönliche Zukunft. Hier will das Ludwigshafener Heinrich Pesch Haus gemeinsam mit der Stiftung Jugend.Hafen mit dem Projekt „LU can learn“ helfen.

weiter