Wählen ist ein Privileg – und eine Verantwortung. Doch welche Partei entspricht christlichen Werten? Jesu Botschaft von Nächstenliebe, Gerechtigkeit und Weitsicht gibt Orientierung. Der Jesuit Ludger Hillebrand greift Aussagen aus der Bibel auf und bringt sie mit heutigen Herausforderungen zusammen.
Jesus lebte während der Besatzungszeit der Römer in Israel. Weder seine Familie noch er konnten wählen. Während sie auf ihrer Flucht in Ägypten waren, konnten sie dort ebenso wenig den gesellschaftlichen Kurs mitbestimmen wie die Geflüchteten heute bei uns.
Die eigene Welt per Wahl mitbestimmen zu können, ist ein Privileg. Wir können unsere Gesellschaft demokratisch mitgestalten! Gott sei Dank!
Kirchen beziehen klar Position gegen die AfD
Die evangelischen und katholischen Kirchen sagen klar, dass die AfD für Christen nicht wählbar ist. „Deutschland den Deutschen!“, „Deutschland zuerst!“- all diese Parolen widersprechen Jesus, der das Wohl der Welt will und nicht das Wohl „nur“ eines Volkes. Gott schuf den Menschen. Biblisch sind wir alle einander Schwestern und Brüder. Welch eine himmlische Weite! Es steht eben nicht in der Schöpfungsgeschichte: Er schuf den Juden oder den Israeli oder den Deutschen oder den Katholiken.
Maria, die Mutter Jesu, betete: Gott stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen. Hungrige macht er satt und lässt die Reichen leer ausgehen (Lukas 1). Für mich ergibt sich daraus die Frage: Welche Partei will die Macht der Reichen reduzieren? Welche will Kleine groß machen?
Jesus betont: Lasst die Kinder zu mir kommen. Ihnen gehört das Himmelreich (Markus 10). Also kommen für mich die Parteien infrage, die für gute Kindergärten, Schulen und Ausbildungen eintreten.
Biblische Geschichten als Entscheidungshilfe
Kurz vor seinem Tod erzählt uns Jesus drei Geschichten (Matthäus 25): Fünf kluge Mädchen besorgen vorsorglich Öl für ihre Fackeln, damit sie den Bräutigam, selbst wenn der spät in der Nacht kommt, zur Feier begleiten können. Sie sind bei Gott willkommen. Fünf verpennte Mädchen denken nicht langfristig, sie kommen zu spät zum Hochzeitssaal und Gott lässt sie vor den verschlossenen Türen stehen. Welche Parteien blicken wachsam über das Heute hinaus?
In der zweiten Geschichte nutzen zwei Menschen ihre Talente und einer nicht. Die zwei, die gut gewirtschaftet haben, werden belohnt. Der Nichtsnutzige geht leer aus. Welche Parteien belohnen Menschen, die ihre Talente einsetzen und ausbauen? Gutes Wirtschaften führt zu großer Freude!
In der dritten Geschichte identifiziert sich Jesus mit Hungrigen, Durstigen, Fremden, Obdachlosen, Nackten, Kranken und Gefängnisinsassen. „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan.“ Auf in den Himmel! „Was ihr einem der geringsten nicht getan habt“, ab in die Hölle. Klar wird: Wer Politik gegen die Armen macht, macht ihnen das Leben zur Hölle. Wer sich für Notleidende einsetzt, ist schon hier und jetzt ein Teil des Himmels.
Fremde als Bedrohung?
Fremde werden seit ein paar Jahren oft als Bedrohung wahrgenommen. Gibt es eine andere jüdisch-christliche Sicht? Klar, da wir im Alten Testament bei Levitikus 19 lesen: „Liebe den Nächsten wie dich selbst (Vers 18)!“, und „Liebe den Fremden wie dich selbst (Vers 34)!“ Wie viele Christen wissen, dass das Gebot der Nächstenliebe und das Gebot der Fremdenliebe aus dem Kernbestand der jüdischen Bibel stammen und beide für uns bindend sind?
Unsere Realität: Ein Syrer ermordete 2024 mit einem Messer drei Menschen. Über 972.000 Syrer bei uns töten niemanden. Über den Mörder wird ausführlich berichtet.
Ein Arzt, der aus Saudi-Arabien stammte, ermordete mit seinem Auto sechs Passanten und verletzte über 300. Ein todbringender Arzt, über den wieder und wieder berichtet wird. Wie viele arabische Mediziner heilen Jahr für Jahr Tausende Deutsche? Würdigen wir das?
Vor Jahren steuerte ein deutscher Pilot sein Flugzeug mit 150 Passagieren bewusst gegen einen Berg. Alle starben. Sind deshalb alle deutschen Piloten gefährlich?
Wie viel reicher uns Fremde machen
Wo wären wir, wenn türkischstämmige Wissenschaftler in Deutschland keine wirksamen Coronamittel entdeckt hätten? Wie arm wäre unsere Gesellschaft ohne den Döner und das vietnamesische Restaurant? Die indischen Schwestern im St. Annaheim unserer Pfarrei umsorgen liebevoll unsere Senioren. Ich lebe in einer Wohngemeinschaft mit acht Flüchtlingen. „Unser“ Inder macht gerade eine Lehre als Altenpfleger und „unser“ Afghane lässt sich zum Pflegeassistent ausbilden. Wie viel haben wir schon jetzt durch die „Fremden“ in unserem Land!
Wie wunderbar, wenn aus ehemals bedürftigen Notleidenden Menschen werden, die uns bedürftigen Deutschen helfen!
Viele Themen sind zur Wahl zu beachten: die Migration, die Fragen zur Abtreibung, zum Cannabiskonsum, zur Wirtschaft, zur Rüstung und Verteidigung, Schule und Menschenrechte, Klima und Verkehrspolitik, usw. Jesus verurteilte unvernünftige Menschen (Markus 7,22). Erst wenn ich alle Lebensbereiche sorgfältig betrachte, was die Parteien dort machten und machen wollen, komme ich zur Partei meiner Wahl. Es wird keine Partei geben, die alles richtig macht. Aber Gott sei Dank sind unter den wählbaren Parteien auch keine, die von vornherein alles falsch machen wollen.
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