Johanna Beck Männerkirche

Zusammenleben  

Mach neu, was dich kaputt macht

Warum ich in die Kirche zurückkehre und das Schweigen breche

Johanna Beck hat als Jugendliche bei den katholischen Pfadfindern sexuellen Missbrauch erlebt. Nachdem sie sich viele Jahre von der katholischen Kirche abgewandt hatte, fand sie Jahre später eher zufällig in einen Gottesdienst. Dort erfuhr sie von einen Gott der Freiheit – sie beschloss Theologie zu studieren und arbeitet seit 2020 im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz mit, um sexuellen Missbrauch aufzuarbeiten. In ihrem Buch „Mach neu, was dich kaputt macht“ fordert sie umfassende Reformen in der katholischen Kirche. Wir bringen hier einen Auszug daraus.

Schluss mit der Männerkirche

Auf Twitter stellte kürzlich eine Userin folgende Frage: „Who made you a feminist?“, und ich antwortete geradezu reflexartig: „Catholic priests“. Und je länger ich darüber nachdenke, desto zutreffender finde ich meine spontane Antwort, denn es waren in der Tat besonders katholische Priester beziehungsweise die klerikalistischen Missstände in der katholischen Kirche, die mich endgültig zur Feministin gemacht haben.

Bei der Aufarbeitung meines Falles, bei meiner Recherche zu Pater Dietmar sowie im Zuge meiner allgemeinen Auseinandersetzung mit dem Thema Missbrauch in der katholischen Kirche ist mir noch einmal klar geworden, dass Missbrauch an Mädchen und Frauen in der Kirche auch sehr eng mit dem katholischen Frauenbild, der allgemeinen Diskriminierung von Frauen und mit den patriarchalen Strukturen verknüpft ist. Und obwohl die
Frauenfrage in der MHG-Studie [einer Studie zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen von 2018] nur ganz am Rande zur Sprache kommt, so haben doch in letzter Zeit weiterführende Untersuchungen, die wegweisende Tagung „Gewalt gegen Frauen in Kirche und Orden“ sowie viele Zeugnisse betroffener Frauen in „Erzählen als Widerstand“ deutlich gemacht, dass auch die Frauenfrage in der katholischen Kirche dringend im Lichte der Missbrauchskrise betrachtet werden muss.

Das Problem der Männerbünde

Da sind zum einen die patriarchalen Machtasymmetrien, an deren Spitze ausschließlich geweihte Männer stehen, dann kommen die ungeweihten Männer und dann erst die Frauen. Und klar ist: Je weiter unten jemand in dieser Hierarchie steht, desto größer ist die Gefahr, dass sie oder er Opfer von Missbrauch wird.
Zudem weisen zahlreiche Missbrauchsstudien immer wieder auf den Problemfaktor Männerbündigkeit hin. Extrem enge, teilweise schon seit dem Priesterseminar bestehende, hermetische Klerikerbünde begünstigen, dass sich bei einem Missbrauchsfall der schützende Mantel der männlichen Seilschaften über den Täter legt und der Schutz der Opfer vernachlässigt wird oder gar völlig ausbleibt. Der im Kölner Gercke-Gutachten veröffentlichte Name der Meisner’schen Giftakten – „Brüder im Nebel“ – offenbart genau diese Problematik:

Hier herrschten mehr Fürsorge und Schutz für die brüderlichen Täter als für die Opfer sowie Vertuschung, Schweige-Omertà und Intransparenz vor.

Nicht vergessen werden darf darüber hinaus die in manchen katholischen und besonders in den fundamentalistischen Kreisen immer noch kursierende, hochproblematische Dichotomie von zwei Frauenbildern, wie ich sie ebenfalls als Mädchen und Jugendliche erleben musste. Da ist einerseits das Idealbild der reinen, dienenden, gehorsamen und demütigen Maria, das leider viel zu oft genutzt wurde und wird, um Frauen zu passiven, alles erduldenden Verfügungsobjekten zu degradieren. Und da ist andererseits das Bild der „normalen“ Frau als Sünderin und Verführerin, das sich fatalerweise optimal für Täter-Opfer-Umkehr-Strategien eignet.

Dass eine solche Dichotomie nicht nur hochgradig misogyn ist und den biblischen Quellen widerspricht, sondern darüber hinaus auch einen perfekten Nährboden für (Macht-)Missbrauch bietet, habe ich am eigenen
Leib und an der eigenen Seele erfahren müssen. Auch ich war als Mädchen und junge Frau einem Priester ausgesetzt, für den Frauen offenbar eine Mischung aus Gefahrgut und Verfügungsobjekt waren und dem das Lehramt und das katholische Frauenbild offenbar eine Legitimation für diese Sichtweise bot. Zudem werde ich den Verdacht nicht los, dass der Missbrauch und die damit einhergehende Angst auch ein Mittel von Pater
Dietmar war, um aufmüpfige und ungefügige Mädchen wie mich zu brechen.

Gleiche Würde, weniger Rechte

Aber neben der missbrauchsbegünstigenden Seite der Frauenfrage gibt es natürlich auch noch die generell herrschende und himmelschreiende Geschlechterungerechtigkeit in der katholischen Kirche, in der Frauen zwar offiziell die gleiche Würde, aber nicht die gleichen Rechte besitzen. Schließlich dürfen Frauen (im 21. Jahrhundert!) weder zur Diakonin noch zur Priesterin – geschweige denn zur Bischöfin oder Päpstin – geweiht werden. Diese patriarchalen Zustände und dieser Ausschluss der Frauen vom Priesteramt lassen mich regelmäßig verzweifeln und immer wieder aufs Neue zur Feministin werden:

Statt die vielen wunderbaren, fähigen und sich berufen fühlenden Frauen – von denen sich einige im wegweisenden Sammelband „Weil Gott es will“ auf beeindruckende Weise zu Wort gemeldet haben – zur Weihe zuzulassen, verwehrt man ihnen aus theologisch fragwürdigen Gründen diesen Schritt und riskiert so das Ausbluten von Gemeinden und ein Verkümmern der Sakramente und des Evangeliums. Die Herausgeberin des Bandes, Schwester Philippa Rath, brachte es in einem Interview mit katholisch.de auf den Punkt: „Ich bin überzeugt, dass unsere katholische Kirche, so wie sie jetzt als ›klerikale Männerkirche‹ erscheint,
eine ,amputierte‘ Kirche ist, weil sie mehr als die Hälfte aller Gläubigen, nämlich die Frauen, von den Weiheämtern ausschließt.«

Statt ihren weltweiten Einfluss zu nutzen, um ein starker und glaubwürdiger Global Player für Frauenrechte zu werden, droht die katholische Kirche vielmehr zur letzten Bastion von Frauendiskriminierung und Misogynie zu werden.

Statt auf erhellende „Schwestern im Licht“ setzt man lieber auf verdunkelnde „Brüder im Nebel“.

Statt auf den äußerst wertschätzenden und für seine Zeit höchst progressiven Umgang Jesu mit den Frauen in seinem Umfeld zu blicken, instrumentalisiert man seinen vermeintlichen Willen für ein Verbot der Frauenweihe.

Wichtige Frauen im Neuen Testament

Dabei wissen wir doch aus dem Neuen Testament, dass Jesus den Frauen mit sehr viel Respekt, Wertschätzung und auf Augenhöhe begegnete und dass die Frauen – ungewöhnlich für seine Zeit – ein fester Bestandteil
seiner Gemeinschaft waren. Ebenso wissen wir, dass Frauen in der Urkirche wichtige Funktionen und Ämter innehatten, die man ihnen später mehr und mehr versagt hat. Und statt auf die vielen starken, wegweisenden und ermutigenden Frauen in der Bibel und in der Kirchengeschichte zu blicken und ihre Erinnerung hochzuhalten, versucht(e) man über Jahrhunderte, sie unsichtbar zu machen und zum Verstummen zu bringen.

Gerade im Neuen Testament gibt es so viele kluge und beeindruckende Frauen, die sich für christliche Feministinnen wie mich wunderbar als Vorbild eignen und die uns Katholikinnen und Katholiken der Gegenwart so viel zu sagen haben: Da ist Maria, die Mutter Jesu, die im „Magnificat“ zur prophetischen Vorkämpferin für alle Ohnmächtigen und Erniedrigten wird, bei der Jesus den intensiven Glauben und den Kampf für Gerechtigkeit mit der Muttermilch aufgesogen hat, die als eine der Ersten das Potenzial und den Auftrag ihres Sohnes erkannte und freisetzte, die unter größten seelischen Schmerzen unter dem Kreuz ausharrte und die schließlich eine der zentralen Figuren der nachösterlichen Gemeinde wurde. Da ist Maria Magdalena, die
»Apostelin der Apostel«, die Jüngerin und enge Vertraute Jesu, die ebenfalls unter dem Kreuz mitlitt. Während die meisten männlichen Gefährten Jesu feige geflohen waren, wollte sie unter Lebensgefahr den Leichnam Jesu salben und wurde so zur ersten Auferstehungszeugin. Ohne ihren Bericht gäbe es keine Osterbotschaft
und vermutlich auch kein Christentum und keine Kirche.

Wir finden im Neuen Testament noch viele andere wichtige und wegweisende Frauen wie Junia, Phoebe, Thekla und Lydia, die aber ein patriarchales Kirchensystem für lange Zeit unsichtbar gemacht oder sogar bewusst diskreditiert hat: Aus Jesu Mutter Maria wurde ein eingehegtes und verzerrtes Idol der Demut, Gefügigkeit
und Asexualität. Maria Magdalena wurde zur Hure gemacht und als Inbegriff der Sünderin und Verführerin diffamiert und aus Junia wurde in der Überlieferung kurzerhand ein Mann: Junias.

So kann und darf es nicht bleiben! Denn wenn es eine Form von Spaltung gibt, vor der die katholische Kirche wirklich Angst haben sollte, dann ist es die der Abspaltung der Frauen, der „Women-drain“.

Denn der Exodus der Frauen wäre zugleich auch der Exitus der Kirche.

»Mach neu, was dich kaputt macht«

Beck Mach neu

Der Text ist ein Auszug aus Johanna Becks Buch „Mach neu, was dich kaputt macht“. Es ist 2022 im Herder Verlag erschienen.

Johanna Beck, geb. 1983, ist Literaturwissenschaftlerin und angehende Theologin. Als Mitglied des DBK-Betroffenenbeirats arbeitet sie seit Anfang 2021 auch beim Synodalen Weg mit und engagiert sich öffentlich für die Aufarbeitung des sexuellen und geistlichen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Sie lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.

Foto: © Stephen Barnes/istock.com


Johanna Beck

Jahrgang 1983, ist Literaturwissenschaftlerin und angehende Theologin. Als Mitglied des DBK-Betroffenenbeirats arbeitet sie seit Anfang 2021 auch beim Synodalen Weg mit und engagiert sich öffentlich für die Aufarbeitung des sexuellen und geistlichen Missbrauchs in der katholischen Kirche. Johanna Beck lebt mit ihrer Familie in Stuttgart.

Foto: © Heinz Heiss

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