Ein Projekt bringt Duftmarketing in Kirchenräume – Interview mit Björn Hirsch
Kirchenräume ganz neu erlebbar zu machen – und zwar über den Geruch. Das hat sich ein Projekt am Zentrum für angewandte Pastoralforschung (zap) der Ruhr-Universität Bochum zur Aufgabe gemacht und die zap:aerothek realisiert. Theologen und Parfümeure haben vier Düfte im Blick auf die Themenschwerpunkte des Kirchenjahres kreiert. Was es mit den unterschiedlichen Geruchsnoten und der Idee an sich auf sich hat, erklärt Björn Hirsch aus dem Projektteam.
Herr Hirsch, bei Ihrem Projekt ist von „Duftmarketing“ die Rede. Riechen Kirchen nicht gut genug?
Das kommt immer auf die Nase an. Tatsächlich ist es so, dass es stark von unseren Erfahrungen abhängt, was uns gut oder schlecht riecht. Die „Riechschule“ beginnt dabei schon im Mutterleib. Während unseres gesamten Lebens lernen wir, Gerüche wahrzunehmen, einzuordnen und zu bewerten. Irgendwann wissen wir für uns selbst, was uns stinkt und was wir gut riechen können. Aber das ist bei jedem Menschen anders.
Der eine liebt den Duft von Lavendel, weil er ihn an die Urlaube mit seiner Familie in der Provence erinnert, der andere kann ihn nicht ausstehen, weil die ungeliebte Tante mit den dicken Kusslippen immer Lavendel-Parfüm trug. So ist es auch vom jeweiligen kulturellen Umfeld abhängig, was als Wohl- oder Übelgeruch wahrgenommen wird.
Übertragen auf Kirche heißt das: Wer in seiner Kindheit häufig in der Osternacht oder in der Christmette mit Weihrauch in Berührung kam und diese Feste als schön empfunden hat, wird diesen Geruch tendenziell mögen. Heute besuchen jedoch immer weniger Menschen einen Gottesdienst und werden daher nicht mehr katholisch sozialisiert, auch nicht auf Geruchsebene. Für sie muss Kirche Geruchswelten schaffen, die ein Gefühl von Wohlbefinden und Willkommen-Sein vermitteln. Denn Nutzerorientierung macht auch vor der Nase nicht halt.
Woher kam die Idee, Düfte für das Kirchenjahr zu kreieren?
Im Jahr 2016 fand im Kölner Dom das Event „Silent Mod“ statt. Die Idee war es, während der weltweit größten Computerspielemesse „Gamescon“ ein kirchliches Angebot zu schaffen, welches das eher junge Publikum dieser Messe ansprechen würde. Neben Licht- und Klanginstallationen wurde auch der Duft „Insence 2.0“ entwickelt, der mithilfe von Diffusoren in der altehrwürdigen Kathedrale verströmt wurde. Dieser Duft avancierte zum heimlichen Star der Veranstaltung, weil sich die Besucher:innen durch ihn von Beginn an wohl und heimisch fühlten.
Angetrieben durch diesen Erfolg wurde dann in einem längeren Prozess die aerothek entwickelt, um Kirche einerseits dabei zu helfen, bei Menschen einen guten ersten Geruchseindruck zu hinterlassen und andererseits die Wirkung von Düften für eine tiefere Gottesbegegnung zu nutzen.
Was bedeutet das Wort „aerothek“?
Jeder von uns kennt Bibliotheken oder Artotheken, also Orte, an denen bestimmte Dinge aufbewahrt werden, in diesen Fällen entweder Bücher oder Kunstwerke. Auch die „aerothek“ ist ein solcher „Aufbewahrungsort“ (gr. „thékē“), nur eben nicht für Literatur oder Gemälde, sondern für „Duftluft“ (bezogen auf gr. „aẽr“/ „aero“, Luft).
Wie war der Weg von der ersten Idee zum fertigen Duft?
An der Entwicklung der Düfte haben Expert:innen aus verschiedenen Bereichen mitgewirkt: Riechforscher, Parfümeure, Dufttechniker, Marketingexperten Theologen. Gemeinsam durchliefen sie einen Entwicklungsprozess. Zu Beginn wurde festgelegt, dass sich die zu entwickelnden Duftkreationen an bestimmten Zeiten im Kirchenjahr orientieren sollen. In einer „Ideenschmiede“ wurden anschließend Assoziationen und wilde Duftgedanken zu den einzelnen Zeiten geäußert, diskutiert und festgehalten.
Danach wurde mit der Kreativtechnik des „Moodboarding“ weitergearbeitet. Hierbei entstanden Collagen, die sich aus Fotos, Illustrationen und Bildern zusammensetzten und die die einzelnen Düften visuell beschrieben. Sie dienten als Grundlage und Leitfaden für die späteren Duftkompositionen. Nach Fertigstellung der Düfte wurden die Duftkreationen zunächst im Team und dann von potenziellen Kunden getestet und bewertet, bevor sie zur Marktreife weiterentwickelt wurden und in Produktion gingen.
Welche Düfte wurden bis jetzt entwickelt? Wonach riechen sie?
Im Projekt entstanden bislang vier Düfte kreiert. Sie tragen die Namen PHYSIS, KENOSIS, DYNAMIS und PHRONESIS tragen. Die Düfte lassen sich der Reihenfolge nach den kirchlichen Hochfesten Weihnachten, Ostern und Pfingsten zuordnen. Der letzte Duft steht für die nicht-geprägten Zeiten im Kirchenjahr, sozusagen für den Alltag.
Bei der Entwicklung der Düfte wurde darauf geachtet, dass sie nicht banal wirken. So hat man beispielsweise darauf verzichtet, den Weihnachtsduft nach Zimt und Tanne riechen zu lassen. Vielmehr ist es der Anspruch, dass jeder Duft zu tieferen Bedeutung des jeweiligen Festes hinführt.
So riecht der Weihnachtsduft PHYSIS zunächst nach Vanille, ein Geruch, den wir intuitiv mit Muttermilch oder warmer Haut in Verbindung bringen. Er vermittelt uns das Gefühl von Geborgenheit und drückt aus, dass Gott in Jesus Mensch geworden ist. Gleichsam enthält der Duft auch Myrrhe, Tabak und Moschus, Gerüche, die an die Herausforderungen im Leben eines Menschen erinnern. Sie sagen aus, dass Jesus sich dem realen Leben in all seinen Facetten stellt und seiner Schöpfung in ihrer Gebrochenheit annimmt. So ist dieser Duft auch schon ein Vorausgriff auf Ostern, wo Jesus den Kreuzestod erleiden wird.
Der Osterduft ist eine Kombination aus der Myrrhe des Kreuzestodes und der Frische des Ostermorgens. Dynamis ist als Pfingstduft von erfrischenden, belebenden und anregenden Gerüchen geprägt, die für das Wehen des Heiligen Geistes und einen neuen Anfang stehen. Der Alltagsduft setzt sich aus den Düften der drei Hochfeste zusammen und bringt damit zum Ausdruck, dass wir an jedem Tag Weihnachten, Ostern und Pfingsten erleben. Geborgenheit und Verlassenheit, Schmerz und Freude, Abbrüche und Aufbrüche sind Dinge, mit denen wir tagtäglich konfrontiert werden. In all dem ist Gott gegenwärtig und schenkt uns immer wieder neue Hoffnung.
Wie sind denn die Rückmeldungen von den Menschen, die die Düfte erleben?
Mittlerweile arbeiten an vielen Orten bereits Menschen mit der aerothek und die Rückmeldungen sind durchweg positiv. Frau Schlaud-Wolff aus dem Bistum Limburg hat die zap:aerothek beispielsweise auf einem Kongress mit 250 Teilnehmer:innen eingesetzt und durchweg positives Feedback erhalten. Und Frau Dr. Liedtke, die am Tool-Book zur aerothek mitgearbeitet hat, meint, das mit der zap:aerothek Duft als bisher vernachlässigter Zugang zum Glauben neu entdeckt werden kann.
Dabei könnten die bisherigen Einsatzorte der aerothek kaum unterschiedlicher sein. So wird die aerothek beispielsweise in der Autobahnkirche Baden Baden eingesetzt, damit Menschen hier für einen kurzen Augenblick ihre Reise unterbrechen, „aufatmen“ und neu Kraft tanken können. In der Citypastoral Offenburg dienen die Düfte als Unterstützung einer Kunstausstellung, in einem Einkaufszentrum bei Bonn reiht man sich in die Geschäfte ein, die schon längst mit Düften arbeiten, und baut so eine weitere Schwelle ab, um Menschen mit Kirche und Glaube in Berührung zu bringen.
Wir haben in Zukunft noch viel vor. Beispielsweise wird in Kürze ein Testbericht erscheinen, der durch ein Team des Bistums Limburg und der Redaktion des bistumseigenen NETZ-Magazins entstand. Des Weiteren sind „Dufttagungen“ in verschiedenen deutschen Bistümern geplant, um hier Menschen auf eine anschauliche Art mit diesem Thema in Berührung zu bringen. Und auch für Großveranstaltungen wurde die zap:aerothek schon gebucht.
Wir sind sehr gespannt, wie sich das Projekt weiterentwickelt und freuen uns über jeden Kontakt, der noch entstehen wird. Also nur Mut. Sprechen sie uns an.
Die zap:aerothek
Vier Düfte arbeiten geruchsästhetisch Themen des Kirchenjahres heraus und so setzen so in Kirchenräumen einen besonderen Akzent. Weitere Informationen zum Projekt, zur Entstehung der Düfte und den Einsatzmöglichkeiten finden Sie auf der Website der zap:aerothek: