Johann Spermann SJ und Tobias Zimmermann SJ teilen ihre Gedanken über den neuen Papst und ihre Hoffnungen für sein Pontifikat
Was für ein Bild: Der Rauch ist weiß, der Jubel groß. Auf der Loggia erscheint – ein Amerikaner, der sich Peru zur Heimat auserkoren hat. Einer, über den die, die ihm begegnet sind, sagen, er sei freundlich, leise; er könne zuhören. Noch wissen wir nicht genau, was Robert Prevost dazu bewogen hat, den Namen Leo, also „Löwe“, zu wählen.
Sein Motto: Leo, der Löwe?
War Leo XIII. sein Vorbild? Der entschärfte den innerkirchlichen Lagerkampf an der Wende zum 20. Jahrhundert, indem er nicht, wie befürchtet, das „Unfehlbarkeitsdogma“ des Vorgängers dazu nutzte, eine Flut von Glaubenswahrheiten zu zementieren. Leo XIII. war ein Diplomat und ein Mann des Ausgleichs in schwierigen Zeiten: Viele nationale Kirchen suchten eigene Wege und wurden von sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Entwicklungen und Krisen herausgefordert.
Unter anderem mit der Enzyklika „rerum novarum“ öffnete der Papst die Türe zur Moderne und bereitete der katholischen Soziallehre den Weg. Er bezog Stellung gegen die Ausbeutung der Arbeiter in dieser Phase der Industrialisierung und gegen die Sklaverei. Leo XIII. war so etwas wie der Begründer einer katholischen Friedensdiplomatie. Er war allerdings auch der Papst, der den römischen Zentralismus stärkte. Nur einer aus einer ganzen Reihe sehr profilierter Päpste mit dem Namen Leo.
Mit beiden Beinen verwurzelt in Nordamerika; das Herz, das für eine südamerikanische Kirche in Solidarität mit den Armen schlägt; das römische Händchen für diplomatische Wirksamkeit …
… so lesen viele die Botschaft, die von dieser Papstwahl ausgehen soll. Wenn dies so eintreffen sollte, dann könnte vieles von dem, was Papst Franziskus begonnen hat, aufgehen und Wirksamkeit bekommen, ohne dass sich die innerkirchlichen Strömungen weiter auseinandertreiben lassen:
Denn die Kirchen der südlichen Hemisphäre dürften weiter an Gewicht gewinnen. Anders als die Kirche in Europa wachsen sie. Und Robert Prevost weiß aus eigener Ansicht um beides. Er weiß, wie das Christentum in Europa um Zukunftsfragen ringen muss, um nicht endgültig marginalisiert zu werden. Er weiß aber auch, wie es andernorts schlicht ums Überleben der Menschen geht. Seine Kirche könnte eine sein, die beide Bewegungen kennt – und keiner davon den Vorzug gibt.
Als Bischof in Peru lebte der Augustiner Robert Prevost, was seinem Vorgänger ein zentrales Anliegen war: eine Kirche an der Seite der Armen.
Für eine solidarische Kirche
„El Gringo Santo“, wie sie ihn dort nannten, organisierte Sauerstoff für die COVID-Kranken und legte selbst Hand an. Ihm geht es, jenseits rhetorischer Folklore, um eine solidarische Kirche, die konkret und sichtbar an der Seite der Armen steht. Hier zahlt sich aus, dass Franziskus nicht nur über die Armen redete, sondern bei Kardinalsernennungen den Kirchen in den ärmeren Regionen der Welt entschieden mehr innenpolitisches Gewicht gab. Die Wahl Leo XIV. ist mit dem Signal an die Welt verbunden, dass die Reformen der Kirche hier voranschreiten werden. Sie prägen den konkreten Alltag und die Reformdebatten der katholischen Kirche in Europa und Amerika noch wenig.
Die Wahl von „El Gringo Santo“ ist aber auch ein sprechender Wink an den derzeitigen Präsidenten der USA, dass sein Bild eines Amerikas, geteilt in Nord und Süd durch Deportationen, hohe Mauern und Stacheldraht, nicht der Botschaft Jesu Christi entspricht. Ein Wink, der durchaus auch an die Adresse europäischer Politik geht, insofern sie die Bekämpfung der Ursachen der Migration durch solidarische Politik mit den Ländern der südlichen Hemisphäre immer weiter eindampft und sich nur noch mit dem Aufbau von Mauern und Stacheldraht gegen die „illegale“ Migration beschäftigt. Dieser Papst dürfte eher keiner sein, der der sozialen und politischen Dimension der christlichen Botschaft die Spitze nimmt zugunsten einer privatistisch-spirituellen Sinnsuche, wie das auch hierzulande einige gerne hätten.
Miteinander reden statt übereinander urteilen
Die Reformen von Franziskus gehen also weiter, aber möglicherweise leiser, verbindlicher, mit mehr Kollegialität und weniger großer Geste. Diese Wahl ist auch eine Entscheidung, nicht auf „the next big thing“ zu setzen in die eine oder andere Richtung. Papst Franziskus rief Robert Prevost 2023 nach Rom und ernannte ihn zum Leiter des Dikasteriums für die Bischöfe. Dort agierte er leise, hörte viel zu, sprach wenig – und genau das sprach sich offenbar herum. Robert Prevost ist bisher nicht aufgefallen als einer, der dauernd Botschaften in die Welt twittert. Er merkt sich Namen, hört zu – und dann erinnert er sich auch ein halbes Jahr später an den Namen deiner Nichte; das sagen die, die mit ihm zu tun hatten.
In einer Kirche, die viel zu oft noch mit dem Senden von Botschaften und der Belehrung anderer beschäftigt ist, wäre ein Kirchenoberhaupt, der Zuhören und Interesse für Andere verkörpert und dem es gelingt, auch bei Dissens unaufgeregt im Gespräch zu bleiben, eine gute Voraussetzung, um die runden Tischen der Weltsynode – bildlich gesprochen – in den Alltag und eine Kultur geschwisterlicher Beratung und kollegialer Leitung zu übersetzen.
Anders als Papst Franziskus, der durchaus über das eigene Ego spotten konnte, ist Papst Leo wohl eher kein Mann der großen Gesten und provozierend-zuspitzender Pointen. Was seiner politischen Wirksamkeit nicht unbedingt Abbruch tun muss: Denn wer sich nicht inszenieren muss, ist nicht berechenbar.
In einer Welt, in der Polarisierung zur Tugend geworden ist und Kompromiss als Schwäche gilt, hat sich die katholische Kirche für jemanden entschieden, der glaubt, dass Zuhören eine Leitungstugend ist. Vielleicht ist das die radikalste Entscheidung von allen.
„In illo uno unum“ – „In dem Einen eins“
Das ist der Wappenspruch des neuen Papstes. Papst Franziskus war von hiesigen, kirchlichen Kommentatoren naserümpfend gerügt wurde, weil er sich in seiner letzten Enzyklika dem Herzensgebet zuwandte; offenbar in manchen Kreisen verschrien und irrtümlich verwechselt mit einer angeblich frömmelnden, weltabgewandten Gebetspraxis aus dem neunzehnten Jahrhundert.
Der neue Papst setzt – so meinen wir – genau hier an: Nur im Hinhören auf den Herzschlag, der sie als weltweite Gemeinschaft verbindet, wird den regional und kulturell sehr unterschiedlichen Gemeinden der katholischen Kirche auch in Zukunft das gelingen, was das Kardinalskollegium gerade durch eine sehr einmütige Wahl in kurzer Zeit unter Beweis gestellt hat. Die Kirche kann auch heute – unter den Vorzeichen wachsender Diversität – als das Jesusprojekt einer weltweiten Menschheitsfamilie gelingen; eine Weltgesellschaft, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit und in Konflikten aushält, sich in der Not gegenseitig nicht im Stich lässt und gemeinsam nach Wegen sucht, als weltweite Gesellschaft auf die Herausforderungen der Gegenwart menschliche Antworten zu finden.
Noch sehen wir nur Gründe, die uns plausibel machen, warum die Kardinäle sich auf diesen Mann als neuen Papst geeinigt haben. Noch ist nichts getan. Aber: Wir haben einen Papst. Und was für einen!