Zeitungstitel zur Papstwohl von Franziskus

Versöhnung  

Vom Karneval ins Feldlazarett

Gedanken von Johann Spermann SJ zum Tod von Papst Franziskus

Franziskus war kein Papst des Übergangs, keiner der nur bewahrte, sondern ein Papst, der die Türen öffnete. Franziskus stellte die Kirche in den Wind, er entkleidete das Amt vom herrschaftlichen Pomp. Er ging als Papst auf die Menschen zu und an die Ränder. Dieser Text folgt seinem Weg vom ersten schlichten ‚Buonasera‘ bis zu den Aufgaben jener, die heute bleiben – nicht trotz, sondern wegen der Wunden.

Man hatte einen Verwalter gewählt. Einen Hüter der Formeln, einen Bewahrer des Althergebrachten. Einen, der vielleicht noch einmal freundlich segnet, bevor der große Exodus beginnt. Was kam, war keiner, der bewahrte. Was kam, war einer, der Türen öffnete – und blieb, als der Wind hereinbrach.

„Er ließ dem Heiligen Geist die Tür einen Spalt offen – und ertrug den Durchzug.“ So fasste es ein alter Jesuit zusammen – halb erstaunt, halb erschrocken. Denn wer Türen öffnet in einer Welt der bröckelnden Sicherheiten, muss bereit sein, dass der Sturm die Möbel verweht.

Das erste Wort: nicht segnen, sondern grüßen

Als man ihn für seinen ersten Auftritt mit all den Machtinsignien seines Vorgängers kleiden wollte, lehnte er die roten Schuhe und die schimmernde Hermelin-Mozetta mit dem Satz ab: „Der Karneval ist vorbei.“ Und als Franziskus dann auf den Balkon trat, hob er nicht zuerst die Hände zum Segen. Er sagte: „Buonasera.“ Guten Abend. Kein Pathos, keine Machtgebärde. Nur der leise Eintritt in das, was unausweichlich war. Keiner, der von oben herab sein Papstamt ausüben wollte. Er wollte Hirte einer Kirche sein, die ohne rituelle Maske auskam.

Er wählte sich „Franziskus“ als Namen. Und dieser Name wurde Programm: Barmherzigkeit, ein Programm der Entwaffnung, der Abrüstung und der Öffnung für eine Welt im Wandel. Franziskus stellte Barmherzigkeit in die Mitte – und zerschlug damit alle Illusionen von Macht und Abgrenzung. Barmherzigkeit bedeutet: keine schnellen Urteile, kein bequemes Recht behalten, keine sauberen Grenzen zwischen drinnen und draußen. Wer Barmherzigkeit will, verliert Sicherheiten. Wer Barmherzigkeit wirklich will, muss sich selbst entwaffnen.

An den Rändern – Gott inmitten der Armen und der Verwundeten

Franziskus sah die Kirche nicht als strahlende Burg ewiger Wahrheiten, die ihre Heiligkeit vor der Berührung mit einer sündigen Welt im Wandel beschützen muss. Er sah sie als Feldlazarett – offen, improvisiert und improvisierend, im Dienst für die Verwundeten, die Gescheiterten, die Armen. Ein Ort, allzu menschlich, aber im Dienst für die Menschen. Denn ein Feldlazarett steht da, wo es brennt, wo Fragen lauter schreien als Antworten, wo manchmal Tränen das Gebet ersetzen.

Und Gott? Gott sitzt nicht sicher auf einem Thron außerhalb der Kämpfe. Gott geht durch die Reihen der Verwundeten. Er ist da in einer ausgestreckten Hand, die kein Evangelium zitieren kann. Er ist da im Blick eines Erschöpften, der trotzdem noch fragt: Bleibst du? Gott im Feldlazarett ist keine Vision der Stärke. Er ist die leise Gegenwart, die bleibt, wenn aller Glanz vergeht.

Ein Papst, der Gegenwind aushielt

Wer heute Kirche sein will, hat Aufgaben. Papst Franziskus sah die großen Machtapparate und eine Kirche, die sich vor allem auf liturgische Choreografien verlegte, mit Skepsis. Auch in den Reformdebatten schien es ihm oft weniger um Strategie, sondern um Haltung zu gehen. Das hat das Leben seiner Mitarbeiter im Amt nicht immer leicht gemacht.

Haltung zeigen: Bleiben, wo es weh tut. Treu sein, wo Treue keinen Applaus bringt. Papst Franziskus wurde Papst, wo das Pontifikat seines Vorgängers im Sumpf von Korruption und ungenügender Aufrichtigkeit in der Aufklärung sexualisierter Gewalt gestrandet war. Bleiben heißt in dieser Kirche heute: nicht resignieren, nicht zynisch werden oder sich absetzen ins bessere Recht. Die eigenen Wunden zeigen und trauern. Aushalten, was nicht sofort heilbar ist. Lieber eine verbeulte Kirche bei den – und für die Menschen, als eine unnahbare Kirche, die ihre Fehler mit Brokat und Weihrauch zu ummanteln versucht.

Ein Brückenbauer

Papst Franziskus war vielleicht weder der Reformer, den die einen erhofft hatten, noch der Bewahrer, den die anderen erwarteten. Was ihn wirklich antrieb, war, Brücken zu bauen, wo die Gräben tief sind. Nähe wagen, wo Schutzinstinkte raten, sich zurückzuziehen auf gesicherte Positionen. Hoffen und sich einsetzen für Frieden, wo Hoffnung kaum noch vernünftig erscheint.

Das war nicht immer diplomatisch und vielleicht auch nicht immer klug, wenn er z. B. mitten im beginnenden Ukrainekrieg laut darüber sinnierte, dass sich für Frieden einzusetzen auch bedeuten könne, die weiße Fahne zu hissen. Keine Aufforderung an die Ukraine. Aber es konnte in diesem Sinne missbraucht werden. Aber braucht es derzeit nicht genau auch so einen, der Sand ins Getriebe einer diplomatischen Welt streut, die ansonsten hauptsächlich mit Aufrüstung beschäftigt ist? Braucht es nicht einen, der den Gegenwind aushält und das Undenkbare ausspricht, dass Frieden erst dann zu haben sein wird, wenn alle Seiten endlich einsehen, dass sie am Ende nichts gewinnen werden, was dieses Morden rechtfertigt?

Franziskus hat die Kirche nicht zu neuer Glorie geführt. Aber er hat sie an ihre Rolle erinnert. Er hat sie dem Risiko ausgesetzt, zu den eigenen Wurzeln zu stehen.

Denn das ist doch die Botschaft dieses Osterfestes: Dass Gott sich nicht mit Macht über Menschen zeigt, sondern in einer Ohnmacht der Liebe, die verlässlich bei den Menschen bleibt, wo alles zu zerbrechen scheint. Dafür stand Franziskus: Kirche muss nicht über Menschen strahlen, sondern ist eine Kirche der Menschen für Menschen, eine Kirche, die dableibt, wo sich andere vom Acker machen. Denn manchmal ist der Ort Gottes nur ein kleines Stück Boden – und der Mut, darauf stehenzubleiben.

Foto: franckreporter/iStock.com


Johann Spermann SJ

Johann Spermann SJ, Jesuit, Theologe und Psychologe, Provinzökonom der Deutschen Provinz der Jesuiten. Er war 10 Jahre Direktor des Heinrich Pesch Hauses in Ludwigshafen und Co-Leiter des Zentrums für Ignatianische Pädagogik.

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