Jana Sand Meinung

SANDS MEINUNG

Wenn Ironie zu weit geht

Kritik üben ist in Ordnung – es kommt aber auf die richtige Form an

Manche Reaktionen auf die Aktion #allesdichtmachen waren unverhältnismäßig. Weder Morddrohungen noch eine Androhung, keine Jobangebote mehr zu erhalten, sind gerechtfertigt.

Ich empfand die Aktion als pietätlos und falsch. Und nein, auch mir geht es dabei nicht darum, keine Kritik an den Maßnahmen der Bundesregierung äußern zu dürfen. Aber ich möchte betonen, dass der Weg, dies zu tun, niemals egal sein darf. Hier wurde mit den Mitteln von Ironie und Zynismus versucht, die Regeln der Bundesregierung zu kritisieren. Die Angst der Menschen wird imitiert, Atemgeräusche hinter der Maske nachgemacht – ich kann verstehen, dass Ärzt:innen und das Pflegepersonal sich hier massiv angegriffen fühlen, die seit über einem Jahr parallel dafür sorgen, dass schwerkranke Menschen in der Pandemie versorgt werden.

Gewalt gegen Kinder – das geht gar nicht

Ich möchte aber auch die Perspektive von mir als Pädagogin hier einbringen.  Denn die Videos, die eine Persiflage zu Gewalt an Kindern wiedergeben oder karikieren, dass Geschwisterkinder nicht mehr miteinander spielen dürfen, finde ich fatal und falsch. So beginnt ein Video mit der Aussage, das Tagebuch des Ur-Großvaters gefunden zu haben, aus dem der vierfache Vater „einige Sachen ziemlich gut abgucken konnte“. Seine Kinder müssen nun strammstehen, wenn er den Raum betrete, seien sie frech wären, bekommen sie eins hinter die Ohren. „Und im Wiederholungsfall werden sie schon mal übers Knie gelegt oder müssen mit Eselsmütze in der Ecke stehen.“ Das falle ihm nicht leicht, aber er mache das für seine Kinder und die Gesellschaft.

Bei solchen Aussagen – ironisch gemeint oder nicht – lasse ich den Kunstaspekt und das gewählte Genre nicht zu und es geht mir entschieden zu weit, gerade weil hier die Gelegenheit gewesen wäre, ernsthaft auf Gewalt in Familien hinzuweisen.

Falsche Wahl der Mittel

Ein anderer Schauspieler beschreibt, dass er seine Familie, die in der gleichen Wohnung lebt, ein Jahr lang nicht gesehen habe. Auch wenn seine Tochter im Nachbarzimmer kreische, könne er leider nicht zu ihr. Das ist schlichtweg falsch und hat auch mit einer Kritik an den Maßnahmen nichts mehr zu tun, da die beschriebenen Geschwisterkinder natürlich auch während des Lockdowns miteinander spielen durften. Selbst wenn hier zynisch auf Missstände aufmerksam gemacht werden soll, so sind weder der Inhalt noch das Mittel hier richtig gewählt. Auch hier fallen mir thematisch viel passendere Aspekte ein, auf die wirklichen Missstände in den Familien aufmerksam zu machen, die es zweifelsfrei gibt.

Unter dem Strich bleibt mir bei der Aktion ein Gefühl von Wut über das Gesagte und Unverständnis über so viel nicht Gesagtes, das an der Stelle mit einer gewissen Ernsthaftigkeit deutlich mehr Erfolg gehabt hätte.


Jana Sand

Themen, die Familien und Fachkräfte wirklich bewegen zu erkennen und dann passgenaue Angebote für sie zu schnüren, dafür pocht das Herz der Diplom-Pädagogin. Die Leiterin der Familienbildung und Referentin im Zentrum für Ignatianische Pädagogik hat sowohl den direkten Kontakt zu Familien und organisiert Fachveranstaltungen und Qualifizierungen für verschiedenste Zielgruppen.
familienbildung-ludwigshafen.de

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