Merz gibt den starken Friedrich und beschädigt fast alles, wofür die Union einmal stand
Dass Angela Merkel sich einschaltet, ist in der Tat ein Zeichen dafür, wie die Hütte bei der Union gerade brennt. Sie werde Tagespolitik nicht kommentieren und Nachfolgern keine Ratschläge geben. Daran hat sie sich bisher eisern gehalten. Auch sie hat aber offenbar den Eindruck, dass die von Friedrich Merz angekündigte Sanierung der Union nun zur Entkernung der eigenen Identität verkommt.
Dabei kann man den Frust durchaus ein Stück verstehen: Merz hat kurz vor der Wahl ordentliche, aber eben über das eigene Lager hinaus marginale Zustimmungswerte. Vor allem konnte er bisher sein Versprechen nicht halten, die Werte der AFD zu halbieren. Hier gibt es Überschneidungen zu handelnden Personen aus der Konkursmasse der Ampelregierung: Gemeinsam war es allen nämlich durchaus gelungen, die Erfolge der AFD zu begrenzen, durch ordentliche Sachpolitik. Deutschland hatte keinen kalten Winter, trotz ausbleibendem russischem Gas … Aber dann stellten ein Gerichtsurteil und massive wirtschaftliche Krisensymptome, Inflation, hohe Energiepreise und erneut steigende Zahlen von Geflüchteten alle vor die Frage: Wie soll die Bewältigung dieser Krisen bezahlt werden?
Krisenängste geschürt
Teile der Union witterten Morgenluft und gingen prompt in die „Söderfalle“, welche die Union schon einmal eine Wahl gekostet hat: Weg von Sachfragen und den Mühen der politischen Ebene. Stattdessen wurden die in der Bevölkerung ohnehin vorhandenen Krisenängste geschürt und damit einhergehend ein politisches Lagerdenken, welches wenig Spiel lässt für Kompromisse. Kurzfristig hat das die eigene Statistik poliert. Auf Dauer aber die politischen Spielräume immer enger gemacht. Und nun zahlt die Union und mit ihr die politische Kultur in Deutschland den Preis, weil es in der derzeitigen Situation eben keine konstruktiven Schwarz-Weiß-Antworten gibt, die eine auch von der Union aufgeheizte Debatte fordert.
Zwei Anliegen teile ich, die Friedrich Merz offenbar angetrieben haben: Es gibt ein sehr reales Gefühl der Überforderung durch die hohen Zahlen von Immigranten. Es gibt deutliche Zeichen einer Überlastung nicht nur unserer Infrastruktur, sondern auch von Menschen, und zwar auch von solchen, die sich für die Integration aktiv engagieren. Auf der anderen Seite gab es wenig Anzeichen, dass insbesondere der regierende Kanzler Olaf Scholz diese Krise wirklich ernst nahm und zur Chefsache machte. Und das ist nicht nur politisch kurzsichtig, sondern angesichts der Verunsicherung eines Teils der Bevölkerung sogar politisch fahrlässig, also ebenfalls eine Frage politischer Ethik. Deutschland hat in der Folge vieles blockiert: wieder einmal ein deutscher Alleingang in Europa.
Deutscher Alleingang als Rezept
Insofern ist es ein wichtiger Schritt, dass hier jemand im demokratischen Spektrum Führung zeigt. Dass Friedrich Merz – ausgerechnet aber in einer Situation, in der hart errungene europäische Lösungen auf dem Weg sind – erneut einen deutschen Alleingang als Rezept verkündet, das ist für die CDU, für die Partei der europäischen Bewegung, keine Nebensache. Es betrifft den Kernbestand dessen, wofür die Union steht:
Deutschland kann nur in einem starken und blühenden Europa stark sein und blühen.
Dass die vorgeschlagenen Lösungen auch inhaltlich ins Nirgendwo führen, ist in den letzten Tagen ausreichend debattiert worden. Aber sich tatsächlich den Fragen zuzuwenden, die sich nach Mannheim, Magdeburg und Aschaffenburg stellen, würde vermutlich zu einer Debatte über die Ausstattung von Polizei und Justiz und von politischer Bildung führen. Und damit zur Frage, woher das Geld dafür kommen sollte.
Insbesondere in der politischen Jugendbildung erleben wir seit Jahren, wie allein die Tatsache, mit Jugendlichen in Ruhe Parteiprogramme zu lesen, ihnen Raum zu geben, die Fragen miteinander zu reflektieren und zu diskutieren, dazu führt, dass die widersprüchlichen Scheinkonzepte und die verlogenen Phrasen von Parteien wie der AFD unter dem kritischen Urteil der jungen Leute von selbst zerbröseln. Aber das braucht Raum und Geld.
Die politische Jugendbildung wird nicht nur seit einem Jahrzehnt tot gespart. Jede neue Regierung legt neue Akzente. Die Programme sind kurzatmig und von der Tagesaktualität getrieben. Lösungen, wie politische Jugendbildung, sind keine kurzfristigen Patentlösungen. Aber sie wirken nachhaltig. Allen Fragen der Finanzierbarkeit will man aber derzeit offenbar genauso ausweichen, wie dem mühsamen Weg, der Bevölkerung klarzumachen, dass es für die Probleme Lösungen gibt, aber nicht aus der Portokasse.
Markiges Auftreten und hohle Slogans
Stattdessen folgen Teile der Union erneut dem Rezept, markiges Auftreten mit hohlen Slogans zu verbinden: Die Schließung der nationalen Grenzen, vermehrte Rückführung, Einschränkung des Rechts auf Asyl und Familiennachzug. Dass diese Lösungen wirkungslos sein dürften, ist das eine. Vor allem aber folgen sie der Versuchung, kollektiv einer Gruppe von Menschen, den „Geflüchteten“, die Schuld einzelner Täter aufzubürden. Diese Parolen negieren all das, wofür Deutschland mit seinen oft ehrenamtlichen Helfenden und wofür eine Mehrheit der Menschen, die zugewandert sind, auch stehen: erfolgreiche Integration! Der Sündenbockreflex ist uralt. Sich dagegen zu wenden, ist christlicher Kernbestand.
Der Unionfraktionschef zeigte sich völlig unbeeindruckt von der klaren Distanzierung der Kirchen und vieler christlicher Gruppen, die der Union nun entgegenschlägt. Das ist kein Zeichen der Stärke, sondern ein Zeichen, wie fortgeschritten in manchen Kreisen der Union der innere Totalabriss fortgeschritten ist.
Friedrich Merz ruft hämisch den protestierenden Fraktionen von Grünen und SPD hinterher, sie verkörperten eine schwindende Minderheit, er aber eine Mehrheit. Ist das so? Politische Arithmetik ist verräterisch: Innerlich hat Friedrich Merz damit offenbar den Rubikon schon überschritten: Er sieht sich in einem Boot mit der AFD, denn nur dann hat er ja eine Mehrheit. Und da sollte er sich doch noch einmal die Befragungen der Wähler anschauen. Ja, die Bevölkerung wünscht sich politische Lösungen in Fragen der Migration; mit einer noch deutlicheren Mehrheit wollen die Deutschen aber eben keine Regierungsbeteiligung der AFD.
Tugenden müssen gelebt werden
Das Gerede über die Brandmauer zur AFD hat mich immer mit Unbehagen erfüllt. Es lässt schnellt vergessen, dass die AFD ja nicht nur deshalb abzulehnen ist, weil sie strukturell und personell rechtsextrem ist. Diese Partei ist, auch wenn manche ihrer Wähler, die nicht zum rechtsextremen Milieu gehören, dies offenbar gerne übersehen, wenn man die geschichtsvergessene Nostalgie und die leeren Phrasen abzieht, einfach auch eine hohle Partei: keine Moral, keine Ideen, noch nicht einmal eine vernünftige Analyse der Probleme.
Dazu kommt: Über Tugenden redet man nicht dauernd, man lebt sie. Die Union ist sicher noch nicht auf dem Weg zu einer rechtsextremen Partei. Aber sie ist jetzt schon akut bedroht, unter dem Label Sanierung von ihrem ideellen Herz und ihrem Ethos entkernt zu werden. Noch ist Zeit, diesen Kurs zu stoppen. Denn auch über Brandmauern redet man nicht. Man lebt sie, zumindest, wenn man noch über einen inneren Kompass politischer Moral verfügt.
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