Warum Christian Andrees Menschen beim Laufen mitnimmt – obwohl sie gar nicht mit dabei sind
Laufen, Joggen, Walken … während der Corona-Zeit haben viele Menschen die wohl einfachste Form des Sports für sich entdeckt. Für manche ist es nicht nur ein Sport geworden, sondern auch eine Lebenshaltung. Christian Andrees ist passionierter Läufer – und Laufbuddy. Er nimmt auf seinen Kilometern auch Menschen mit, die gerade nicht laufen können.
Gleich vorweg: Wann sind sie das letzte Mal gelaufen – und wie lange?
Das war ein Lauf an Silvester. Das sind dann am Ende 20,20 Kilometer geworden. Ich fand die Zahl ganz lustig und passend zum Jahresabschluss, obwohl es dadurch am Ende ganz schön zäh wurde.
„Schmerz ist unvermeidlich, Leiden ist eine Option.“ So ein Spruch unter Läufern. Laufen ist manchmal eine Qual – vor allem am Anfang. Wie kamen Sie dazu, regelmäßig zu laufen?
Regelmäßiges Laufen war interessanterweise auch aus einem Neujahrsvorsatz heraus entstanden, vor mittlerweile genau sieben Jahren. Damals hatte ich noch diesen idealisierten Traum einmal in meinem Leben einen Marathon zu laufen; ohne zu wissen, was das konkret bedeutet und was da auf einen zu kommen könnte. Der innere Schweinehund war da am Anfang noch gewaltig. Irgendwann taucht man dann aber tiefer ein in die Läuferszene und mit Unterstützung von Lauffreunden, einem halbwegs guten Plan und ein bisschen Willen ist das alles keine Zauberei mehr.
Falls es mal vorkommt: Merken Sie, wenn Sie mal länger nicht mehr gelaufen sind?
Ja, auf jeden Fall. Im Frühjahr dieses Jahres hatte ich in einem Fuß unbestimmte Schmerzen und habe dann mit dem Laufen komplett ausgesetzt. Erst im Sommer habe ich wieder langsam begonnen mich zu bewegen. Das Wiedereinsteigen war vom Körperlichen her so, wie neu mit dem Laufen anzufangen. Das war ziemlich frustrierend. Ein Vorteil ist, dass sich der Kopf an all das erinnert, was man schon mal gelaufen ist. Er weiß, dass du es kannst und auch dass du schon mal weiter gelaufen bist. Das hilft einem dran zu bleiben und über die anfängliche Enttäuschung hinweg.
Auf Ihrem facebook-Kanal berichten Sie regelmäßig, dass Sie Laufbuddy sind. Was hat es damit auf sich – und wie kam es dazu?
Ich hatte vor ein paar Monaten angefangen von meinen Läufen Bilder zu posten. Eine Kollegin, die ich auf einer Fortbildung kennenlernte, hatte eins dieser Bilder kommentiert. Sie läuft selbst ab und zu, musste sich aber nun als Corona-Kontaktperson in Quarantäne begeben. Sie hatte mich darum gebeten einmal eine Stecke für sie mitzulaufen.
Aus diesem Lauf ist dann nach einer Anfrage von einer anderen Person spontan die Aktion „Laufbuddy“ geworden. Ich laufe dabei für Personen, bei denen es gerade im Leben nicht so gut läuft und bin dann quasi der „Buddy“ an ihrer Seite.
Wie bekommen Sie die Anfragen?
Ganz unterschiedlich. Entweder melden sich die Personen bei mir direkt über Messenger-Dienste mit eigenem Anliegen – wie oben beschrieben. Oder ich nehme von mir aus Leute mit auf den Lauf, von denen ich denke, es würde ihnen guttun.
Was passiert da eigentlich, wenn Sie jemanden bei Ihrem Lauf „mitnehmen“. Ist das so etwas wie Fürbitte halten?
Das ist ein interessanter und vielleicht treffender Vergleich. Gebet ist für mich weniger ein Aufsagen vieler Worte, als ein Eintauchen in die Gegenwart Gottes.
Ich bin nicht der Typ für langes Stillsitzen. Doch auch beim Laufen passieren bei mir ähnliche Dinge: nach einer Weile kann ich wunderbar abschalten und den Kopf frei bekommen, Dinge reflektieren oder auf neue Ideen kommen.
Wenn ich meinen nächsten Lauf plane, nehme ich die entsprechende Person in Gedanken auch schon mit hinein; und beim Laufen dann auch in meine und die Gegenwart Gottes. Ich erinnere mich an Begegnungen mit ihr und formuliere eben auch Bitten für sie. Das verändert mich und ich bin überzeugt davon, auch die Person, für die ich laufe.
Macht es eigentlich einen Unterschied, ob Sie für sich laufen oder als Laufbuddy unterwegs sind?
Unbedingt. Wenn ich allein laufe, achte ich viel stärker auf meine Umgebung: auf die Menschen, die mir entgegenkommen und die Natur um mich herum. Beim ‚Laufbuddy‘-Sein ist der Fokus mehr nach innen gerichtet, also eher wie meditieren oder eben beten.
„Mehr Sport“ taucht bestimmt bei vielen Menschen unter den Vorsätzen für das neue Jahr auf. Was ist Ihre Empfehlung für Anfänger?
Nun bin ich weiß Gott kein Laufexperte. Wichtig finde ich allerdings, sich zunächst zu überlegen, warum oder eben wofür man aktiver sein will. Für den einen ist es vielleicht das große Ziel, für die andere die eigene persönliche Veränderung. Die Gefahr ist, sich dabei zu überfordern oder bei Rückschlägen allzu schnell wieder aufzugeben.
Entscheidender ist dann die Frage, was hilft mir persönlich, an der Sache dran zu bleiben? So kann ein möglichst konkretes Ziel motivieren oder auch die Unterstützung durch Gelichgesinnte. Für mich ist es momentan die geschenkte Zeit, die ich beim Laufen genieße – gerade in Beruf und in der Familie mit zwei kleinen Kindern.
Ich laufe in der Regel am Morgen, wenn der Tag noch frisch und unverbraucht ist. Alles ist dann so herrlich still und nach einem Lauf komme ich oft sehr berauscht zurück. Dann ist schon etwas getan, noch bevor die eigentliche To-Do-Liste an die Reihe kommt (oder die Familie aufgestanden ist). Das ist ein gutes Gefühl, an das ich dann auch später am Tag noch gern zurückdenke.
Erst als es mir gelungen ist, das Laufen wie selbstverständlich in meinen Alltag zu integrieren und Freude daran zu empfinden, konnte ich es richtig genießen. Und dann läuft’s.
Fotos: Christian Andrees. Sie können das Projekt auf instagram verfolgen