Ein Plädoyer für kritisches Überprüfen von Expertenaussagen
„Die chemische Verbindung Kohlendioxid kennt die Allgemeinheit als Treibhausgas in der Atmosphäre und wegen seines klimaerwärmenden Effekts. Allerdings kann Kohlendioxid auch ein nützlicher Ausgangsstoff für chemische Reaktionen sein.“ Diese Aussagen in einer Presseinformation eines renommierten Forschungsinstituts zur Herstellung von Graphen aus Kohlendioxid (CO2) sind vollkommen richtig. Allerdings erwecken sie durch die Aneinanderreihung den Eindruck, eine Lösung zur Begrenzung des Klimawandels zu präsentieren. Eine einfache Rechnung widerlegt dies: Der mögliche Beitrag bewegt sich im Bereich von Tausendstel Prozent der aktuellen globalen CO2-Emissionen.
Fakt, kein Fake und trotzdem falsch?
„Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt zeigen, dass links- statt rechtsherum drehende Windkraftanlagen die erzeugte Energiemenge um ‚bis zu 23 Prozent‘ steigern“, schreibt ein Journalist.
Damit weckt er Assoziationen zu links- und rechtsdrehender Milchsäure und das Interesse eines gesundheitsbewussten Publikums. Mit Windkraftanlagen hat das jedoch nichts zu tun.
In der Fachpublikation, auf die er auf Rückfrage verweist, steht überhaupt keine Prozentzahl, sondern nur die Prognose eines möglichen Mehrertrags in bestimmten Situationen. Und eine einfache Rechnung zeigt: Mit 23 Prozent mehr würde der maximale Wirkungsgrad von Windkraftanlagen überschritten.
„Frankreichs künftige Energieversorgung wird günstiger, wenn neue Atomkraftwerke gebaut werden.“ Zu diesem Schluss kommt die Studie „Futurs énergétiques 2050“ des französischen Stromnetzbetreibers RTE. Liest man genauer ab Seite 603 der Studie, erfährt man, dass dies nur unter sehr unrealistischen Annahmen zum Zinssatz für das benötigte Kapital gilt, andernfalls ist eine 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung die günstigste Option.
Drei Beispiele von Aussagen, die auf seriösen wissenschaftlichen Arbeiten beruhen, einmal richtig, aber missverständlich kombiniert, einmal falsch zitiert und einmal falsch auf den Punkt gebracht.
Richtig wiedergeben, Kontext beachten, überschlägig nachrechnen!
Es sind oft einfache Mittel, die eine falsche Information oder eine falsche Interpretation als solche erkennen lassen, seien diese nun versehentlich oder absichtlich gestreut worden, aus welchen Motiven auch immer. Bei den genannten Beispielen hilft es, genau zu lesen, richtig wiederzugeben, die Aussagen in einen Kontext zu setzten, auf Plausibilität zu prüfen und gegebenenfalls eine überschlägige Rechnung durchzuführen.
Das Widerlegen von Schwachsinn erfordert eine Größenordnung mehr Energie als dessen Produktion.
Brandolinis Gesetz
Es erfordert oft einen großen Aufwand, einen Fehler zu finden, doch es ist auch oft recht einfach, eine Unstimmigkeit nachzuweisen, etwa wenn etwas dem Energieerhaltungssatz oder anderen Erhaltungssätzen widerspricht. Das ist der Fall bei dem angeblichen Mehrertrag von 23 Prozent bei Windkraftanlagen.
Auf kritische Überprüfung durch viele Bürgerinnen und Bürger kommt es an
In einer zunehmend komplexen und sich schnell verändernden Wirklichkeit trauen sich immer weniger Menschen zu, Sachverhalte zu beurteilen und Entscheidungen zu fällen. Das führt einerseits zu einer immer größeren Rolle von Experten, andererseits zu einem allgemeinen Misstrauen in ihre Urteile und endlosen Debatten darüber, wer denn nun Experte ist. Diese Entwicklung ist eine Herausforderung für die Demokratie.
Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn sich zu wenige für ihren Erhalt interessieren, geht sie zugrunde. Sie braucht das Engagement vieler Bürgerinnen und Bürger.
Das kann darin bestehen, Expertenaussagen zu überprüfen und das Ergebnis bekannt zu machen. Dafür genügen in vielen Fällen durchschnittliche Kenntnisse. Zahlreiche Menschen sind somit in der Lage, falsche Aussagen als solche zu erkennen, und noch viel mehr können die Aufdeckung von Falschaussagen nachvollziehen. Natürlich passieren vielen bei solchen Überprüfungen ihrerseits Fehler, aber wenn sich hinreichend viele mit umfassenderer Kenntnis und Kompetenz beteiligen, können die Debatten darüber Demokratie neu beleben und einer Diktatur tatsächlicher oder vermeintlicher Experten entgegenwirken.
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Demokratie oder Expertokratie (online)
Am Montag, 24. April 2023, spricht Dr. Michael Stöhr um 19:30 Uhr bei einem Online-Vortrag des Heinrich Pesch Hauses über Entscheidungsfindung in einer unübersichtlichen Welt.
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