Samuel Koch

Sinn  

Willkommen in Holland

Samuel Koch über das Ungeplante im Leben

Loslassen ist wie eine Reise: Du planst Italien, landest aber in Holland – und bist erst einmal frustriert. Samuel Koch gibt Antwort auf die Frage, warum uns das Aufhören so schwerfällt.

Am Anfang von allem Leichterwerden steht das Aufhören, das Loslassen. Warum fällt uns das so schwer? Vielleicht hat es mit dem Greifreflex zu tun, den wir ja schon als winzige Babys haben. Wir klammern uns an unsere Vorstellungen, Ideale und Beziehungen, als hinge unser Leben davon ab. Aber: Tut es das?

Es ist eine der wichtigsten und schwierigsten Tugenden, von der wir alle irgendwann Gebrauch machen müssen, ganz gleich, ob man ein Haustier loslässt, einen Freund, der wegzieht, Träume, Wunschvorstellungen oder liebe Menschen … Aber manchmal ist Festhalten schmerzhafter als Loslassen. Und so schafft zum Beispiel das kleine beschwerliche Wörtchen „Nein“ Erleichterung. Los-LASSEN durch Schweres-TUN.

Loslassen bietet eine Chance

Anbei eine Geschichte, die mir auf meiner Reise begegnet ist und schon vielen Menschen die Chance vor Augen geführt hat, die dem Loslassen innewohnt. Zum ersten Mal erzählt wurde sie mir von der Mama der lieben Elva, die bereits im Rollstuhl sitzt, seit sie hätte laufen können:

Wenn man ein Kind erwartet, ist das ein bisschen so, als würde man eine Urlaubsreise planen. Zum Beispiel nach Italien. Schon immer wolltest du dieses Land sehen. Jeder hat dir erzählt, wie wunderbar es dort ist. Du schaffst dir einen Haufen Reiseführer an und beginnst, Pläne zu schmieden, was du alles sehen willst: das Kolosseum, den David von Michelangelo, die Gondeln in Venedig. Du lernst schon mal ein paar Sätze auf Italienisch.

Nach Monaten der eifrigen Vorbereitung ist es dann endlich so weit. Du packst die Koffer und los geht es.

Einige Stunden später landet das Flugzeug. Die Flugbegleiterin sagt: „Willkommen in Holland!“

„Holland?“, rufst du. „Was soll das heißen, Holland? Ich wollte doch nach Italien!“ Doch die Maschine ist in Holland gelandet, und du kannst nichts dagegen machen.

Das Gute ist, du bist nicht an einem hässlichen, üblen Ort gestrandet. Nur an einem anderen als geplant. Also musst du jetzt losgehen und dir neue Reiseführer besorgen. Du musst eine komplett neue Sprache lernen. Und du wirst eine ganze Menge neuer Leute treffen, denen du sonst nie begegnet wärst.

Es ist einfach ein anderer Ort. Das Tempo ist ein bisschen langsamer als in Italien. Vielleicht hat es auch nicht dasselbe Flair. Aber nach und nach bemerkst du, dass es in Holland diese schönen Windmühlen gibt. Und leckeren Käse. Und sensationelle Tulpen. Und Rembrandt.

Aber immer noch schwärmen dir deine Freunde von Italien vor, dem absoluten Traumland. Und für den Rest deines Lebens denkst du: „Ja, das war es, wo ich eigentlich hinwollte. Das war es, was ich geplant hatte.“

Und der Schmerz darüber wird niemals vergehen. Weil der Verlust dieses Traums ja auch real und schmerzhaft ist.

Aber wenn du dein Leben damit verbringst, darüber zu trauern, dass du nicht in Italien gelandet bist, dann wirst du vermutlich nie die ganz eigene, besondere, liebenswerte Schönheit von Holland genießen können.

Die radikalsten Folgen des Nicht-Loslassens unterstrich wohl schon Jesus vor knapp 2000 Jahren: „Wer sein Leben um jeden Preis festhalten will, wird es verlieren.“ (Joh. 12,25) Das kleine Wörtchen „Nein“ fällt schwer, aber macht vieles leichter. Eine schwere Entscheidung, und schon bin ich viel Schwere los.

Das Jesuiten-Magazin

Jesuiten-Magazin 1/2025

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe 1/2025 vom Jesuiten-Magazin. Das Heft steht unter dem Thema »Vom Aufhören« und berichtet über Schlussstriche, Abbrüche, Ungewissheiten – und Neustarts.

Sie können das Heft kostenlos bestellen. Hier gelangen Sie zu weiteren Informationen:

Portraitfoto: © Nancy Ebert


Samuel Koch

ist Schauspieler am Theater, in TV und Kino sowie Autor von vier Bestsellern. Er hält Lesungen und Vorträge für Unternehmen und kirchliche Veranstalter. Mit seinem Verein „Samuel Koch und Freunde“ setzt er sich für andere Menschen ein.

Bild: Nancy Ebert

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