Zusammenleben  

Raus aus der Blase

Gesellschaftsveränderung fängt bei den Jüngsten an

Neulich, in Regensburg, eine Taxifahrt. Der Fahrer suchte das Gespräch mit mir – und outete sich als überzeugter Corona-Leugner und Querdenker. Ich durfte mir das ganze Programm – selbstverständlich unter Bezug auf wissenschaftliche Erkenntnisse – anhören: nicht schlimmer als eine Grippe, Maske tragen macht krank, leere Intensivstationen, lügende Medien und Politik, niemand hört ihm zu, wir leben im Faschismus und ohne Verfassung.

Ich habe versucht, tapfer zu argumentieren, erntete aber nur verächtliches Lachen vom vermeintlich Wissenden. Meine trotz allem freundliche Verabschiedung wurde so erwidert: „‚Bleiben Sie gesund‘ ist das neue ‚Heil Hitler‘!“

Wir leben in Blasen

Dieses Erlebnis hat meine Erfahrung bestärkt: Ich lebe in einer Blase. In der ich solchen Menschen mit ihren Meinungen normalerweise nicht begegne. Höchstens, wenn sie in Form erstaunlicher Auto-Demos hupend, mit Plakaten und Lautsprechern mal wieder an mir vorbeirollen. Doch da kann ich mich gut abwenden.

Diese Blase, sie ist ein geschützter, ein abgekapselter Raum, ohne Ecken und Kanten, in dem ich mich mit mir selbst und meinen Gesinnungsgenoss*innen wohlfühlen kann.

Die sich zwar schillernd und flexibel gibt – die aber platzen kann, sobald sie in Berührung gerät mit anderen Blasen oder äußeren Einflüssen. Ein stabiler Schutzraum sieht anders aus.

Wenn ich dieses Bild weiterdenke, dann kommen mir Seifenblasenkünstler*innen in den Sinn. Die können nicht nur große und kleine einzelne Blasen formen. Sie können diese auch teilen – und sie verschmelzen.

Kommunikation überwindet Zersplitterung

Aufgefordert, über das Zusammenleben in unserer nach meiner – weder neuen noch überraschenden – Wahrnehmung zutiefst zersplitterten, zerfurchten und in Blasen segregierten Gesellschaft nachzudenken, meine ich, es bräuchte solche Künstlerinnen und Künstler. Die in der Lage sind, uns ins Zuhören, Sprechen, Ernstnehmen zu bringen und so zusammenzuführen, was unvereinbar scheint. Die ihr Handwerk beherrschen – ein Handwerk, das vermutlich in allererster Linie „Kommunikation“ heißt. Und die somit, das macht es so schwierig, die Köpfe und Bäuche, Herzen und Seelen der Seifenlauge zu erreichen, die aus uns eigensinnigen Menschen besteht.

Wer kann das sein? Therapeutinnen oder große Redner? Priester oder doch Politikerinnen? Medienschaffende oder gar Werbetreibende? Wir alle, jede und jeder einzelne – oder am Ende doch niemand so richtig? Und wo kann es geschehen? Im großen Rahmen gesellschaftlicher Räume oder doch eher in meinem kleinen Nahfeld?

Blase Filter

Junge Menschen von Verlierern …

Kinder und Jugendliche waren und sind die eigentlichen großen Verlierer*innen während der Monate der Pandemie. Ihre Anliegen wurden, wie wir alle wissen, kaum gehört und weitgehend nicht ernstgenommen oder berücksichtigt, in der Schule und darüber hinaus in allen Bereichen ihrer Freizeit. Statt Solidarität freiwillig einzuüben, wurde ihnen diese verordnet. Und nun hören und lesen wir allenthalben von all den psychischen Folgeschäden und davon, dass gerade die Benachteiligten immer weiter abgehängt werden.

… zu Vorlebern werden lassen

Wie wäre es, wenn wir bei den Jungen und den Jüngsten anfangen, Blasen zu verschmelzen oder, besser, sie erst gar nicht aufzupusten? Wenn wir alle und ganz besonders Erzieher*innen, Lehrer*innen und Sozialpädagog*innen in der Kita und der Schule, in der Jugendarbeit und an anderen bildenden Orten ihnen gerade jetzt zeigen, dass Partizipation nicht nur ein pädagogisches Schlagwort ist, sondern erfolgreich gelebt werden kann? Dass auf sie gehört wird und ihre Meinungen und Wünsche etwas zählen? Dass wir ihnen etwas zurückgeben von dem, was ihnen genommen wurde – Bildung, Freiheit, Wirksamkeit, ja: Würde?

Gemeinschaft einüben, Verantwortung übertragen und Vertrauen stärken:

Die Bildungsinstitutionen aller Art mit ihren engagierten Mitarbeitenden sind gerade jetzt die unbedingt richtigen Orte, um ein wertschätzendes Miteinander in der Gesellschaft kommunikativ zu prägen und so mentale Scheren zu schließen.

Von den für diese Institutionen Verantwortlichen wünsche ich mir, dass sie das Verschmelzen und das Platzenlassen der Seifenblasen aktiv zulassen und befördern. Ein Traum? Nein, große Kunst.

Foto: © David-W/photocase.com


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