Tobias Zimmermann SJ Jesuit

ZIMMERMANNS MEINUNG

Roms Glaubenshüter verursachen Ärgernis – wieder einmal!

Wenn die Kirche mit Segen geizt, zeigt das: Nicht mehr der Glaube führt sie, sondern Angst und Macht

In einer Situation, in der in Deutschland viele Menschen ohnehin das Vertrauen in die Kirchenleitung verloren haben und in der so viele Menschen die Kirche verlassen, wie kaum je zuvor, hätte es aus Rom Vieles gebraucht, etwa Worte des Trostes und der Versöhnung. Selbst Schweigen wäre besser gewesen. Stattdessen gießen die Glaubenswächter wieder einmal Öl in das lodernde Feuer. Die Frage ist doch: Woher kommt dieser offensichtliche Mangel an Einsicht, Judiz und Mitgefühl?

Der nachgeschobene Kommentar stellt klar, was der Zweck des Schreibens ist. Es diene dazu „die Weltkirche dabei zu unterstützen, besser den Forderungen des Evangeliums zu entsprechen, Streitigkeiten zu schlichten und eine gesunde Gemeinschaft im heiligen Volk Gottes zu fördern”. Soso, eine gesunde Gemeinschaft wollte der Generalpräfekt der Glaubenskongregation Kardinal Luis Ladaria also fördern. Gut, der Kardinal ist Spanier. Aber den Übersetzern ins Deutsche hätte es aufstoßen können. Mir jedenfalls wird auch nach 70 Jahren noch übel, wenn die Funktionäre einer Organisation ihre Vorstellungen von Wohlverhalten und den Ausschluss aller, die diesen Vorstellungen nicht entsprechen, mit der Begründung durchsetzen wollen, dies diene der „gesunden“ Gemeinschaft“.

Davon abgesehen kann es einen nur ratlos zurücklassen, wie der Kardinal und seine Behörde beabsichtigten, in der gegenwärtigen Situation der Kirche in Deutschland mit diesem Schreiben „Streit zu schlichten“.

Furcht vor dem Diskurs

Der Versuch des Gesprächsabbruchs per Dekret offenbart vor allem eines: Die Furcht vor dem Diskurs. Und diese Furcht hat einen Grund: Den Mangel an haltbaren theologischen Argumenten. Aus der Schrift lassen sich eher keine belastbaren, exegetischen Begründungen für das vatikanische Verdikt gegen homosexuelle Paarbeziehungen ableiten. Und man muss auch nicht tief in der Geschichte abgeschaffter ewiger Wahrheiten graben, über welche die Glaubenskongregation im Laufe ihrer Geschichte wachte, um über die willkürliche Verwendung von „Naturrecht“ und „Tradition“ ins Grübeln zu kommen.

Aber die katholische Kirche hat sich in den letzten Jahrzehnten eben doch verändert, wenn auch für viele Betroffene sicher quälend langsam. Umgehend distanzierten sich führende Kirchenvertreter, allen voran der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, von diesem Versuch, einen offenen Diskurs per Dekret zu beenden. Und das ist finde ich wohltuend und wichtig: Denn sie zeigen damit eine Qualität, die in der Kirchenleitung der letzten Jahrzehnte Mangelware war: Sie sind Seelsorger, nicht nur verwaltende Funktionäre und Hüter ihres eigenen geschlossenen Kosmos von Wahrheiten!

Und Seelsorger bräuchte es nun mehr denn je. Seelsorger und Leitungspersonal, das dialogfähig ist. Denn es gibt derzeit tatsächlich eine sehr schmerzhafte Spaltung in der katholischen Kirche in Deutschland.

Was das Schreiben eigentlich offenbart

Nicht nur in Köln verlassen Christinnen und Christen massenweise die Kirche. Der Kardinal Woelki, dessen Amtsführung ein entscheidender Anlass des Ärgernisses und des massiven und massenhaften Verlustes an Glaubwürdigkeit ist, hat beschlossen, das Problem auszusitzen. Ein Mangel an Verantwortung im Leitungsamt, den man sich in kaum einer anderen öffentlichen Institution in dieser Weise vorstellen kann. Ein Schreiben aus Rom dieses Inhaltes zu diesem Zeitpunkt mit dem angeblichen Ziel, die Einheit zu bewahren, offenbart nicht nur einen erschreckenden Mangel an Judiz und Inspiration.

Wer in dieser Situation immer noch meint, mit einem Machtgestus einen Diskurs beenden zu wollen, in dem sich elementare Hoffnungen und Sorgen von Christinnen und Christen in Deutschland artikulieren, der macht deutlich, dass in Rom noch immer zu viele Funktionäre das Sagen haben. Der Mangel an Seelsorgern und der Überfluss an Funktionären machen die Kirche seit Jahrzehnten krank.

Menschen ein Segen zu sein, d.h. mit Menschen so in Beziehung zu treten, dass sie sich von Gott angenommen und geliebt wissen, ist ein Grundauftrag Jesu an alle Frauen und Männer, die ihm folgen. Der Segen hat die Kraft Menschen zu befähigen, im Wissen, von Gott angenommen zu sein, selbst ein Leben in Liebe und Verantwortung füreinander zu führen. Andere nicht nur zu segnen, sondern selbst zum Segen zu werden, ist geradezu ein Charaktermerkmal für die Gemeinschaft mit Jesus.

Wer den Segen auf eine Amtshandlung reduziert und als Mittel einsetzt, um gegenüber Menschen eigene Interessen durchzusetzen, und seien sie noch so „heilig“ gemeint, der hat sich nicht nur weit von den Menschen, sondern auch weit von den eigenen Quellen entfernt. Der Generalvikar in Speyer, Andreas Sturm, schreibt: “Ich habe Wohnungen, Autos, Fahrstühle, unzählige Rosenkränze usw. gesegnet und soll zwei Menschen nicht segnen können, die sich lieben? Das kann nicht Gottes Wille sein.” Dem habe ich nichts weiter hinzuzufügen.


Tobias Zimmermann SJ

ist Priester, Pädagoge und Jesuit. Als Autor und als Mitbegründer des Zentrums für Ignatianische Pädagogik (ZIP), das er seit Oktober 2019 leitet, arbeitet Tobias Zimmermann an Projekten der Entwicklung der katholischen Schulbildung und Spiritualität, in der Schulentwicklung, im Coaching für Leitungskräfte und in der Fortbildung von Schulleitungen und Pädagogen. Seit Oktober 2019 ist er Direktor des Heinrich Pesch Hauses und wirkt mit an der Weiterentwicklung der Akademie im Bereich Online-Bildung, neue Schwerpunktthemen sowie an der Entwicklung der Heinrich Pesch Siedlung, einem Modellprojekt für soziale und ökologische Stadtentwicklung.

Foto: Stefan Weigand

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