Wie Corona unsere Gottesdienste befreit
Die Krise hat einige meiner vitalsten Quellen im Gottesdienst ausgetrocknet. Ich darf nicht mehr mit anderen singen. Das wiederum hat einige Schieflagen, die es zuvor schon gab, noch unerträglich verstärkt: Die Wortlastigkeit, die jede Stille zutextet. Die Messe als One-Man-Show – eine Form, der die wenigsten gewachsen sind, weil sie der Versuchung, das eigene Ego in die Mitte zu stellen, nicht widerstehen können.
Und als Folge wachsende Müllhalden aus routinierten Plattitüden Sonntag für Sonntag, die dennoch die Leere nicht füllen können. Bereits im April gestanden mir selbst einige Tapferste unter den Tapferen, für die noch bis vor wenigen Monaten der Kirchgang völlig unhinterfragt zum Sonntag gehört hatte, dass sie nun in der Krise entdeckten, wie schön doch auch ein Sonntag beim Frühstück im Kreis der Familie sein könne.
Und was fiel uns Klerikern in dieser Zeit ein? Bei einigen Kollegen konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie nun in den gestreamten Gottesdiensten zu Höchstformen aufliefen, da keine Gemeinde mehr die perfekte Kleriker-Show stören konnte.
Andere schlossen ihre Kirchen so schnell und ersatzlos ab, dass man den Eindruck gewinnen konnte, sie seien ganz froh, dass Corona sie von leeren Gottesdiensten erlöst hatte.
Und ich mitten in all dem?
Ganz viele nötigen mir Respekt ab, wie sie auf unterschiedlichsten Wegen versuchten, in Verbindung zu bleiben. Und ich mitten in all dem? Ich mochte meine Rat- und Hilflosigkeit kaum aushalten, die mich lange im Griff hielt. Erstmalig löste etwas, was unter der Rubrik „Kirchenkrise“ daherkam, tatsächlich in mir Sorge um die Zukunft unserer Kirche aus.
Ich fragte mich, ob wir gerade zusahen, wie das Herzstück aus dem Erbe Jesu virensicher entsorgt wurde: Gemeinsam die Schrift deuten und das Brot brechen, ein Erbe, das Leben verändern kann, das mein Leben verändert hat. Nicht individualistische Sinnsuche, kein klerikales Ballett pathetisch aufgeladener Riten, sondern einfach Menschen, die, komme, was da wolle, ihr Leben unter dem Wort Gottes reflektieren, sich verändern lassen, von dem Geist, der uns Nahrung wird, im Brot, das wir teilen. Menschen, die entschieden sind, diesen Geist weiterzutragen, indem sie ihn Fleisch und Gestalt werden lassen im eigenen Leben.
Doch die Krise bringt auch Geschenke.
Und vielleicht war das Weihnachtsgeschenk dieser Krise, dass wir in den Gottesdiensten die routinierten Wege verlassen mussten.
Die Christmette musste bei uns als Präsenzveranstaltung ausfallen. Stattdessen haben wir einen Gottesdienst online gefeiert, in einer Konferenzplattform. Als Priester durfte ich helfen, dass es möglich wurde.
Aber am Ende brachten die Menschen selbst alles mit, was es braucht: Ihr Leben, ihre Gedanken, ihre Sehnsucht, und die Bereitschaft, dieses ihr Leben mit anderen zu teilen und sich gemeinsam von Gottes Wort verändern zu lassen.
Ich kann nur für mich reden: Für mich stand plötzlich über diesem brüchigen gottesdienstlichen Provisorium ein Stern, dessen Glanz mich tröstete. Und ich bin heute schon voller Vorfreude, wohin er uns führen wird.