Klaus Mertes SJ Kolumne

MERTES’ MEINUNG

Ein Schmierenstück?

Welche Fragen die Inszenierung der Missbrauchsaufklärung im Erzbistum Köln stellt

Die Pressestelle des Erzbistums Köln vermeldete am 18. März 2021: „Im Rahmen einer Pressekonferenz haben der Kölner Strafrechtsexperte Prof. Dr. Björn Gercke und seine Kollegin Dr. Kerstin Stirner heute Vormittag die Unabhängige Untersuchung zum Umgang mit sexueller Gewalt im Erzbistum Köln vorgestellt und an Kardinal Woelki übergeben. Ebenso wurden die Ergebnisse der Untersuchung zunächst an Herrn Peter Bringmann-Henselder vom Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln übergeben …“

Es ist mir bisher nicht gelungen, den Eindruck zu überwinden, dass die Veranstaltung am 18. März 2021 ein niederträchtiges Schmierenstück war. Vor allem diese eine Szene will mir nicht aus dem Sinn gehen: Der Kardinal sitzt mit der Presse zusammen vor den Gutachtern und hört zu. Er kennt den Inhalt des Gutachtens angeblich nicht, nimmt ihn also erst jetzt zur Kenntnis.

Der Vortrag des Gutachters ist beendet. Der Kölner Kardinal ist von Schuld freigesprochen worden – kein roter Zettel, anders als etwa der ehemalige Generalvikar und jetzige Erzbischof von Hamburg, der gleich 11 rote Zettel bekommen hat.

Woelki steht nun vor der versammelten Presse auf und senkt den Daumen: Diese und diese Personen, die gerade in dem Gutachten wegen Pflichtverletzungen namentlich erwähnt wurden, werden mit sofortiger Wirkung von ihren Amtspflichten freigestellt.

Tausend Fragen stellen sich mir. Da folgt bereits der nächste Akt in dem Stück. Die Presse preist den Kardinal, weil er als erster personelle Konsequenzen wegen Missbrauchsvertuschung gezogen hat. Auch diese Wendung hatte sich angekündigt. Die Beilage der ZEIT, Christ & Welt, hatte sich wochenlang auf Woelkis Fehler konzentriert. Doch tags zuvor, am 17. März, änderte sie den Ton: Handelt der Kölner Kardinal nicht vorbildlich, wenn er morgen Köpfe rollen lassen wird, gerade auch, wenn man auf die anderen Bistümer blickt, bei denen trotz Aufklärungsberichten noch gar keine Köpfe gerollt sind?

Seltsame Allianzen. Vor allem: Wem nützen sie? Wem nützt die ganze Inszenierung der letzten Monate? Den Betroffenen sicherlich nicht.


Klaus Mertes

Als Klaus Mertes, geb. 1954, noch nicht wusste, dass er eines Tages Jesuit, Lehrer und Kollegsdirektor werden sollte, hatte er eigentlich zwei Berufswünsche: Entweder in die Politik gehen und Reden halten, oder an die Oper gehen und als Tristan in Isoldes Armen sterben. Rückblickend lässt sich sagen: Als katholischer Priester kann man beides gut kombinieren: Öffentlich reden und öffentlich singen. Die Jugendlichen, die Eltern, die Kolleginnen und Kollegen in den Schulen und alles, was so im Lebensraum Schule und Internat anfallen kann, halfen ihm, vor den großen Fragen nicht zurückzuschrecken und zugleich bei den Antworten nach Möglichkeit nicht abzuheben. Seit Sommer 2020 hat er den Schuldienst nun verlassen und ist seitdem vor allem publizistisch und seelsorglich in Berlin tätig.

Foto: Wolfgang Stahl

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